2. November 2014

Buschor: "Das war ein politischer und kein pädagogischer Entscheid"

Am Ursprung des nationalen Fremdsprachenzwists steht Ernst Buschor, 71. Der frühere Zürcher CVP-Erziehungsdirektor machte 1998 Englisch zur ersten Sprache in den Primarschulen, Französisch wurde zur Zweitsprache zurückgestuft. Seither tobt an den Schulen der Sprachenstreit.



Ernst Buschor: Kein Drama, wenn Appenzeller und Urner ausscheren.


"Die Schweiz braucht keinen Schulvogt", Sonntagszeitung, 2.11. von Nadja Pastega


Herr Buschor, die kantonalen Erziehungsdirektoren haben diese Woche klar gemacht: An zwei Fremdsprachen in der Primarschule wird nicht gerüttelt.
Das war und bleibt ein politischer und kein pädagogischer Entscheid.
Inwiefern?
Die Welschen haben erreicht, dass Französisch in den Deutschschweizer Primarschulen bindend ist. Im Gegenzug können die Deutschschweizer Englisch als erste Fremdsprache wählen. Dieser Kompromiss ist politisch nicht zu umgehen, sonst droht Bundesrat Berset mit einer Bundesintervention. Die Mehrheit der Kantone hat zwei Fremdsprachen
bereits umgesetzt, jetzt soll man das durchziehen.
Danach sieht es aber nicht aus. Uri und Appenzell Innerrhoden haben kein Frühfranzösisch, in Thurgau und Nidwalden gibt es Bestrebungen, dieses Fach aus der Primarschule zu kippen.
Solche Vorstösse wird es wohl in mehreren Kantonen geben. Aber das heisst noch lange nicht, dass das auch durchkommt. Ich habe ein gewisses Verständnis, dass einzelne Kantone wie Appenzell mit kleinen, dezentralisierten Schulen Probleme haben. Man kann von Lehrpersonen nicht verlangen, dass sie zwei Fremdsprachen unterrichtsreif beherrschen. Man wird grösszügig sein müssen mit Ausnahmen für Zwergschulen vor allem im Berggebiet.
Es ärgert Sie, dass Bundesrat Alain Berset durchgreifen will, wenn Kantone ausscheren?
Wenn ein paar Hundert Appenzeller und Urner Schüler anders unterrichtet werden, ist das doch kein Drama! Die Schweiz braucht keinen Schulvogt. Die Sprachenfrage wird masslos hochgespielt und von ideologischen Bundespolitikern zur heiligen Kuh erklärt. Wichtiger ist, dass die Schüler am Ende der Volksschule den gleichen Sprachlevel erreichen, und nicht, wann sie mit dem Unterricht anfangen.
Mit der Einführung von Frühenglisch haben Sie den Sprachenstreit selber angezettelt.
Das stimmt, und ich würde es wieder tun. Erstens haben wir schon vor Frühenglisch in Zürich Französisch ab der 5. Klasse eingeführt. Zweitens ist der wichtige emotionale Zugang zu Englisch bei Kindern in der Deutschschweiz viel besser, weil Englisch im Alltag der globalen Welt eine wesentlich wichtigere Rolle hat. Drittens gehen wir in die Schule, um zu lernen, was wir wirklich brauchen, und nicht so, wie Ideologen es für politisch wichtig halten. Zudem hat dieses Land andere Schulprobleme als diese Sprachenfrage.
Zum Beispiel?
Die Förderung der Muttersprache und der Naturwissenschaften. Ein endloser Sprachendisput führt dazu, dass man das knappe Geld in die Französischförderung investiert, statt die Muttersprache und die Naturwissenschaften auf ein höheres Niveau zu bringen.
Die Romands warnen, der Zusammenhalt des Landes stehe ohne Frühfranzösisch auf dem Spiel.
Das stimmt überhaupt nicht. Keine einzige Studie weist das nach.
Was noch nicht heissen muss, dass die Westschweizer falsch liegen.
Es soll mir mal jemand begründen, warum die Appenzeller die schlechteren Schüler sein sollen, weil sie später Französisch lernen. Der nationale Zusammenhalt hängt von ganz anderen Werten ab, wie Respekt vor den Minderheiten, die Solidarität mit schwächeren Kantonen und die hohe regionale Kulturfreiheit, die grundsätzlich auch Fremdsprachen
umfasst. Ich glaube nicht, dass ein Bundesvolksschulvogt bei einem Referendum Chancen hätte.
Lokalfürsten in den Kantonen sind aber auch keine Lösung.
Seit der Revision der Bundesverfassung haben wir immer mehr kantonale Kompetenzen auf Bundesstufe verschoben – das war in manchen Fällen richtig. Dies aber wäre der Anfang vom Ende der föderalistischen Kultur- und Schulordnung, der praktisch letzten grossen autonomen Kantonsaufgabe. Wenn es in Einzelfällen beim Sprachenunterricht anders kommt, gehen die Eidgenossenschaft und der nationale Zusammenhalt nicht unter. Der Respekt vor der Vielfalt unseres Landes wird von den Bundespolitikern ohne Not einer Ideologie der Einheitlichkeit geopfert. 

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