Am Ursprung des
nationalen Fremdsprachenzwists
steht Ernst Buschor, 71. Der frühere Zürcher CVP-Erziehungsdirektor machte 1998
Englisch zur ersten Sprache in
den Primarschulen, Französisch wurde zur Zweitsprache zurückgestuft. Seither
tobt an den Schulen der
Sprachenstreit.
Ernst Buschor: Kein Drama, wenn Appenzeller und Urner ausscheren.
"Die Schweiz braucht keinen Schulvogt", Sonntagszeitung, 2.11. von Nadja Pastega
Herr Buschor, die
kantonalen Erziehungsdirektoren haben diese Woche klar gemacht: An zwei
Fremdsprachen in der Primarschule wird nicht gerüttelt.
Das war und bleibt
ein politischer und kein pädagogischer Entscheid.
Inwiefern?
Die Welschen haben
erreicht, dass Französisch in den Deutschschweizer Primarschulen bindend ist.
Im Gegenzug können die Deutschschweizer Englisch als erste Fremdsprache wählen.
Dieser Kompromiss ist politisch nicht
zu umgehen, sonst droht Bundesrat Berset mit einer Bundesintervention.
Die Mehrheit der Kantone hat zwei Fremdsprachen
bereits umgesetzt,
jetzt soll man das durchziehen.
Danach sieht es aber
nicht aus. Uri und Appenzell Innerrhoden haben kein Frühfranzösisch,
in Thurgau und Nidwalden gibt es Bestrebungen, dieses Fach aus der
Primarschule zu kippen.
Solche Vorstösse wird
es wohl in mehreren Kantonen geben. Aber das heisst noch lange
nicht, dass das auch durchkommt. Ich habe ein gewisses Verständnis, dass
einzelne Kantone wie Appenzell mit kleinen, dezentralisierten Schulen Probleme haben.
Man kann von Lehrpersonen nicht verlangen, dass
sie zwei Fremdsprachen unterrichtsreif beherrschen. Man wird grösszügig sein
müssen mit Ausnahmen für Zwergschulen vor allem im Berggebiet.
Es ärgert Sie, dass
Bundesrat Alain Berset durchgreifen will, wenn Kantone ausscheren?
Wenn ein paar Hundert
Appenzeller und Urner Schüler anders unterrichtet werden, ist das doch kein
Drama! Die Schweiz braucht keinen Schulvogt. Die
Sprachenfrage wird masslos hochgespielt und von ideologischen Bundespolitikern
zur heiligen Kuh erklärt. Wichtiger ist, dass die Schüler am Ende
der Volksschule den gleichen Sprachlevel erreichen, und nicht, wann sie mit dem
Unterricht anfangen.
Mit der Einführung
von Frühenglisch haben Sie den Sprachenstreit selber angezettelt.
Das stimmt, und ich
würde es wieder tun. Erstens haben wir schon vor Frühenglisch in
Zürich Französisch ab der 5. Klasse eingeführt. Zweitens ist der wichtige
emotionale Zugang zu Englisch bei Kindern in der Deutschschweiz viel
besser, weil Englisch im Alltag der globalen Welt eine wesentlich
wichtigere Rolle hat. Drittens gehen wir in die Schule, um zu lernen, was wir
wirklich brauchen, und nicht so, wie Ideologen es für politisch wichtig
halten. Zudem hat dieses Land andere Schulprobleme als diese Sprachenfrage.
Zum Beispiel?
Die Förderung der
Muttersprache und der Naturwissenschaften. Ein endloser
Sprachendisput führt dazu, dass man das knappe Geld in die Französischförderung
investiert, statt die Muttersprache und die Naturwissenschaften auf ein höheres
Niveau zu bringen.
Die Romands warnen, der Zusammenhalt des Landes stehe ohne
Frühfranzösisch auf dem Spiel.
Das stimmt überhaupt
nicht. Keine einzige Studie weist das nach.
Was noch nicht
heissen muss, dass die Westschweizer falsch liegen.
Es soll mir mal
jemand begründen, warum die Appenzeller die schlechteren Schüler sein sollen,
weil sie später Französisch lernen. Der nationale Zusammenhalt hängt von ganz
anderen Werten ab, wie Respekt vor den Minderheiten, die
Solidarität mit schwächeren Kantonen und die hohe regionale
Kulturfreiheit, die grundsätzlich auch Fremdsprachen
umfasst. Ich glaube
nicht, dass ein Bundesvolksschulvogt bei einem Referendum Chancen hätte.
Lokalfürsten in den
Kantonen sind aber auch keine Lösung.
Seit der Revision der
Bundesverfassung haben wir immer mehr kantonale Kompetenzen auf Bundesstufe
verschoben – das war in manchen Fällen richtig. Dies
aber wäre der Anfang vom Ende der föderalistischen Kultur- und
Schulordnung, der praktisch letzten grossen autonomen Kantonsaufgabe. Wenn
es in Einzelfällen beim Sprachenunterricht anders kommt, gehen die
Eidgenossenschaft und der nationale Zusammenhalt nicht unter. Der Respekt vor
der Vielfalt unseres Landes wird von den Bundespolitikern
ohne Not einer Ideologie der Einheitlichkeit geopfert.
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