Ambühl:" Was es sicher nicht braucht, sind Ultimaten an die Adresse der EDK".
"Die Kantone sind handlungsfähig", NZZ, 22.10. von Michael Schoenenberger
Herr Ambühl, es gibt Bundespolitiker, die den
Sprachenstreit auf Bundesebene regeln wollen. Haben Sie Freude daran?
Mir als Föderalisten macht das keine Freude. Es ist
auch nicht nötig, jetzt über eine Intervention des Bundes im Bereich der
Harmonisierung der obligatorischen Schule laut nachzudenken. Denn die Kantone
erstellen momentan die Bilanz dazu. Diese wird sämtliche Eckwerte umfassen,
welche die Bundesverfassung zu harmonisieren verlangt. Sie wird Mitte 2015
vorliegen und ist abzuwarten.
Die zuständige Bildungskommission des Nationalrats
macht aber Druck auf die kantonalen Erziehungsdirektoren.
Es geht vorwärts: Derzeit wird das Sprachenkonzept
der EDK in 23 Kantonen umgesetzt. So etwas braucht im Bildungssystem Zeit.
Aber es gibt doch heftige Opposition gegen das
EDK-Modell 3/5, also den Unterricht von zwei Fremdsprachen auf der Primarstufe
ab der 3. und 5. Klasse.
Es gibt Debatten. Aber man darf die Übungsanlage
nicht ändern, bevor sie überhaupt ordentlich eingeführt und evaluiert worden
ist.
Die Bundesverfassung verpflichtet die Kantone, die
Ziele des Fremdsprachenunterrichts zu harmonisieren. Einzelne Kantone dürfen
nicht ausscheren.
Ja, ein Ausbrechen einzelner Kantone steht im
Widerspruch zur Harmonisierungspflicht der Verfassung. Deswegen sind wir auch
herausgefordert.
Wie erklären Sie sich den Druck, den
Bundespolitiker machen. Ist das alles nur Profilierung?
Das kann ich nicht sagen. Jedenfalls sind es
unterschiedliche Einschätzungen. Bei der erstmaligen Umsetzung der
Bildungsverfassung ist ein geordnetes Vorgehen äusserst wichtig, es geht auch
um den Stil und die Respektierung der Rollen der Beteiligten. Was es sicher
nicht braucht, sind Ultimaten an die Adresse der EDK und der Kantone.
Hat die EDK eine Präferenz, wenn auf der
Primarstufe nur noch eine Fremdsprache unterrichtet würde?
Das zeichnet sich unseres Erachtens nicht ab. Für
die EDK ist überdies völlig klar, dass der Unterricht einer zweiten
Landessprache auf der Primarstufe beginnen soll. Es wäre undenkbar, 4 Jahre
lang angelsächsische Kultur und Sprache zu vermitteln und mit den
Landessprachen erst auf der Sekundarstufe I zu beginnen. Das wäre nicht unser
Verständnis eines mehrsprachigen Landes.
Zeigt das Beispiel der Sprachenfrage nicht
idealtypisch auf, dass begonnene Harmonisierungen und Zentralisierungen stets
nach weiteren Schritten rufen?
Das ausgesprochen subsidiäre Konzept, das wir im
Bildungsbereich gewählt haben, zeigt gerade das Gegenteil. Schule und Bildung
machen einen grossen Teil des heutigen Föderalismusverständnisses aus. Die
Hoheit der Kantone ist gewahrt. Jedoch überschreiten die Menschen auf ihren
Bildungswegen die kantonalen Grenzen schneller als früher. Die kantonalen
Bildungssysteme müssen sinnvoll aufeinander abgestimmt werden. Das heisst aber
nicht, dass sie zentral zu steuern wären. Für das Bildungsgeschehen ist besser
gesorgt, wenn es dezentral verantwortet wird.
Macht die Harmonisierung der letzten Jahre die
Bildung besser?
Das würde ich so nie formulieren. Bildung und
staatliches Engagement in der Bildung sind immer sehr abhängig von den
Umständen einer jeweiligen Zeit. Wenn wir es so machten wie unsere Vorfahren
vor hundert Jahren, die es gut machten, würden wir scheitern.
Derzeit gibt es Widerstand gegen
Harmonisierungsbestrebungen. Hat die EDK zu viel harmonisiert?
Wenn ich das daran messe, wie wir bis vor wenigen
Jahren von allen Parteien und Medien geradezu gedrängt worden sind, endlich
umfassend zu harmonisieren, dann sicher nicht. Wir harmonisieren nur die
wichtigsten Ziele und Strukturen der obligatorischen Schule.
Der Lehrplan 21 geht weit über einen reinen
Zielbeschrieb hinaus. Wäre dem Verfassungsauftrag nicht Genüge getan mit den
EDK-Grundkompetenzen?
Wie man den Verfassungsauftrag versteht, ist eine
politische Ermessensfrage. Das Harmos-Konkordat sagt nur, dass die
Zielharmonisierung, soweit sie über die gesamtschweizerisch definierten
Grundkompetenzen hinausgeht, Sache der Sprachregionen ist. Das Konkordat
schreibt keine sprachregionalen Lehrpläne vor, aber eine Harmonisierung der
Lehrpläne innerhalb der Sprachregion. Jeder Kanton der Deutschschweiz bleibt
frei, ob und wie er den Lehrplan 21 anwendet.
Ein Kanton muss also nur die EDK-Grundkompetenzen
übernehmen, nicht aber den Lehrplan 21, um den Verfassungsauftrag zu erfüllen?
Ob dieser Kanton der Verfassung Genüge tut, ist
eine Ermessensfrage. Denn die Verfassung ist auslegungsbedürftig in Bezug auf
Weg und Ausmass der Zielharmonisierung. Aber dem Harmos-Konkordat würde der
Kanton nachkommen, sofern er sich an die gesamtschweizerischen Grundkompetenzen
hält und seinen Lehrplan innerhalb seiner Sprachregion abstimmt.
Mit der Harmonisierung geht Wettbewerb verloren. Wäre
es nicht besser, die Kantone würden ihre eigenen Konzepte entwickeln, die
aufgrund der Konkurrenz besser würden?
Wettbewerb gibt es weiterhin in vielen Bereichen.
Denken Sie an die Schulorganisation, etwa die Eingangsstufe und die Gliederung
der Sekundarstufe I. Zu nennen sind überdies Promotion und Übertrittsverfahren,
die Sonderpädagogik, die Qualitätssicherung, das Schul- und Personalrecht. Das
ist gut so.
Umgekehrt beklagen die Akademien der Wissenschaften
Schweiz eine fehlende nationale Bildungsstrategie.
Dabei machen wir ja seit zehn Jahren genau, was die
Akademien fordern. Wenn die Autoren der Publikation genau hingeschaut hätten,
wäre ihnen das nicht entgangen. Neben der horizontalen Zusammenarbeit zwischen
den Kantonen hat sich die vertikale zwischen Kantonen und Bund etabliert. Dazu
gehört ein gemeinsames Bildungsmonitoring und der darauf basierende
Bildungsbericht. Ausgehend von diesem Bericht, formulieren Bund und Kantone
auch gemeinsame Ziele auf der Ebene des Gesamtsystems. Bildung ist in der
Schweiz allerdings keine Verbundaufgabe, sondern eine gemeinsame Besorgung
eines Systems mit unterschiedlichen Zuständigkeiten.
Müsste nicht die Ausbildung von Medizinern als eine
solche Verbundaufgabe definiert werden?
Das ist eines der wenigen Beispiele für eine
Dysfunktion im Schweizer Bildungssystem. Wir haben die Aufgabe, den Widerspruch
zwischen dem Ärztemangel und dem Numerus clausus aufzulösen. Ich will nicht
ausweichen, aber es treffen hier mehrere Politikbereiche aufeinander. Es sind
letztlich aus der Gesundheitspolitik herrührende Gründe, welche zum Numerus
clausus führen. Klinische Ausbildungsplätze fehlen. Aber hier haben wir eine
Zukunftsaufgabe, die es zu lösen gilt.
Wird das neue Hochschulkoordinationsgesetz mit der
Hochschulkonferenz ab 2015 Abhilfe schaffen?
Das hoffe ich. Übrigens sind das Hochschul- und das
Stipendienkonkordat der beste Beweis, dass Konkordate funktionieren, auch
politische Konkordate. Die Kantone sind handlungsfähig.
Ein weiteres Problem ist der Fachkräftemangel. Muss
der Staat nicht besser und mehr steuern?
Das kann der Staat nicht.
Wollen wir denn ein System wie in der DDR, die den Menschen vorgeschrieben hat,
was sie zu studieren haben? Nein, das wollen wir nicht. Wir müssen mit Anreizen
arbeiten und Kinder früh sensibilisieren, etwa für Naturwissenschaften und
Technik. Mit einer zentralen Steuerung durch eine Behörde ist in einer
liberalen Gesellschaft überhaupt nichts gewonnen.
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