Neue Lernformen sorgen für zusätzliche Belastung, Bild: Sonntagszeitung
Ausgebrannt im Klassenzimmer, Sonntagszeitung, 26.10. von Fabian Eberhard
Lehrer klagen seit
Jahren über Stress und Überlastung und stossen damit immer wieder auf Unverständnis: 13 Wochen
Ferien, ein guter Lohn – Jammern auf hohem Niveau? Jetzt zeigt die erste nationale
Studie zur Belastung von Lehrkräften: Viele Volksschullehrer laufen am Limit.
Die repräsentative Befragung von rund 600 Pädagogen des 5. bis 9. Schuljahres
zeichnet ein besorgniserregendes Bild. Mehr als ein Drittel aller Lehrer fühlt
sich oft oder immer müde, schwach und krankheitsanfällig – sie sind stark
Burnout-gefährdet. Jeder Fünfte gibt an, dass er «ständig überfordert» sei und
fast ebenso viele sind einmal pro Woche oder häufiger von depressiven Verstimmungen
geplagt. Lehrerverbandspräsident Beat Zemp ist nicht überrascht: «Die Resultate ordnen sich in das
ein, was wir aus dem Berufsalltag bereits wissen –jetzt haben wir es schwarz
auf weiss.»
Sie sind auch dann in der Schule, wenn sie krank sind
Frauen und
Teilzeitlehrer mit hohen Pensen von 22 bis 25 Lektionen pro Woche sind am
stärksten betroffen. Studienautorin Doris Kunz von der Pädagogischen Hochschule
Nordwestschweiz führt das auf die Doppelbelastung g zurück: «Beide Gruppen sind
ausserberuflich oft stark eingespannt, Frauen in der Regel mit der
Kinderbetreuung.» Keine Unterschiede existieren zwischen den verschiedenen
Sprachregionen und Klassenstufen. Auch die Berufserfahrung spielt keine Rolle.
Die Ursachen für den
chronischen Stress sind vielfältig. Barbara Zumstein, Leiterin der Beratungsstelle
für Lehrpersonen in Luzern, sagt: «Lehrer neigen zu Perfektionismus. Viele
arbeiten auch dann weiter, wenn sie eigentlich nicht mehr können oder krank
sind.» Zu diesem Schluss kommt auch die Nationalfondsstudie. Ein Hauptgrund für
die Überbelastung ist gemäss den Forschern der «Präsentismus». Das heisst: Lehrer
gehen auch dann zur Arbeit, wenn sie gesundheitlich angeschlagen sind. «Wenn eine Lehrperson mal kurzfristig fehlt,
ist gleich eine ganze Klasse von Kindern betroffen», sagt Zumstein. Auf die
Schnelle eine Stellvertretung zu organisieren, sei dann eine Herkulesaufgabe.
Die Studie ortet drei
weitere Gründe für das Burnout-Risiko: Zeitdruck, Störungen im Unterricht durch
schwierige Schüler und Konflikte mit den Eltern. Probleme, die Zumstein aus
ihrem Beratungsalltag bestens kennt: «Die Anforderungen an den Lehrerberuf sind
gestiegen, der administrative Aufwand hat zugenommen.» Seit einigen Jahren
werden Sonderschüler in die Regelklassen integriert – für die Lehrer eine
zusätzliche Herausforderung. Zumstein: «Die Betreuung von verhaltensauffälligen
Kinder kann extrem anspruchsvoll sein.» Deshalb werde meist in Teams
gearbeitet, was wiederum Konfliktpotenzial beinhalte und mehr Absprachen,
Organisation und Planung nötig mache.
Auch neue Lernformen
wie Gruppenarbeiten oder Einzelbetreuung setzen mehr Geduld und Kraft voraus.
«Der Geräuschpegel in den Klassenzimmern ist sehr hoch, die Zeiten des ruhigen
Frontalunterrichtes sind vorbei», so die Beraterin. Anspruchsvoller sind auch
die Eltern geworden. «Oft haben sie die Karriere der Kinder bereits bis ins
Detail geplant und klare Vorstellungen, was die Schule zu machen und zu leisten
hat», sagt Zumstein. Sie kenne Fälle, in denen Eltern Anwälte engagierten, nur
um über einzelne Prüfungspunkte zu streiten.
Der Lehrerpräsident will die Wochenstunden reduzieren
Lehrerpräsident Beat
Zemp macht seit längerem auf das Problem aufmerksam. Denn die Folgen der Überbelastung
sind ein vergiftetes Schulklima und ein verminderter Lernerfolg der Schüler.
Passiert ist trotzdem nichts. Jetzt verlangt Zemp Massnahmen. «Lehrerinnen und
Lehrer am Rand des Burnouts werden zu oft allein gelassen.» Dabei sei der
Schutz und die Förderung der Gesundheit eine gesetzliche Pflicht der Arbeitgeber.
«Die Konsequenzen tragen neben den Lehrkräften die Kinder und der
Steuerzahler.»
Der Lehrerpräsident
fordert, die Anzahl der Wochenlektionen zu reduzieren. Mit bis zu 30 Lektionen
pro Lehrer gehöre die Schweiz zu den Spitzenreitern in Europa. «Das ist nicht
mehr zeitgemäss.» Der Schweizer Lehrerverband (LCH) plädiert deshalb für
maximal 26 Lektionen pro Woche. Gleichzeitig sollen Schüler mit besonderen
Lernbedürfnissen für die Klassengrösse doppelt gezählt werden. «Nur so können
wir den zusätzlichen Aufwand für die Betreuung mindern und Spitzenbelastungen von
bis zu 55 Stunden pro Woche vermeiden», sagt Zemp.
Wichtig sei zudem,
dass man die Gründe für die Belastungen besser erforsche und dass die Behörden
zusammen mit Arbeitsmedizinern und Versicherungen die Datenbasis für den
Gesundheitsschutz verbesserten.
Trotz Stress haben 87 Prozent der Lehrer Spass am
Beruf
Die Studienergebnisse
schrecken auch die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) auf.
Präsident Christoph Eymann sagt: «Der Druck ist gestiegen. Viele Lehrer sind
heute emotional so stark belastet,dass dies negative Auswirkungen auf den
Berufsalltag und damit die Schüler haben kann.»
Die Resultate der
Nationalfondsstudie decken sich weitgehend mit einer 2013 durchgeführten
Befragung von Volksschullehrern in der Stadt Zürich. Auch damals berichtete
jede vierte Klassenlehrkraft von einer «Erschöpfung und Energielosigkeit». 40
Prozent gaben an, sie seien eher oder stark psychisch
belastet.
Doch bei allem Stress
– die Studie bietet auch einen Lichtblick. Trotz der Arbeitsüberforderung ist
die Zufriedenheit erstaunlich hoch. 87 Prozent der Befragten gaben an, dass
ihnen der Beruf grundsätzlich Spass mache. Rund zwei Drittel der Lehrer können
ihre Fähigkeiten voll einsetzen und halten sich gern
am Arbeitsplatz auf. Je besser die Unterstützung durch Kollegen und
Schulleitung, desto höher das Arbeitsengagement.
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