26. Oktober 2014

Ausgebrannt im Klassenzimmer

Schwierige Klassen, fordernde Eltern und ein übervoller Lehrplan: Eine schweizweite Studie zeigt, dass mehr als ein Drittel der Volksschullehrer burnoutgefährdet ist. 







Neue Lernformen sorgen für zusätzliche Belastung, Bild: Sonntagszeitung




Ausgebrannt im Klassenzimmer, Sonntagszeitung, 26.10. von Fabian Eberhard



Lehrer klagen seit Jahren über Stress und Überlastung und stossen damit  immer wieder auf Unverständnis: 13 Wochen Ferien, ein guter Lohn – Jammern auf  hohem Niveau? Jetzt zeigt die erste nationale Studie zur Belastung von Lehrkräften: Viele Volksschullehrer laufen am Limit. Die repräsentative Befragung von rund 600 Pädagogen des 5. bis 9. Schuljahres zeichnet ein besorgniserregendes Bild. Mehr als ein Drittel aller Lehrer fühlt sich oft oder immer müde, schwach und krankheitsanfällig – sie sind stark Burnout-gefährdet. Jeder Fünfte gibt an, dass er «ständig überfordert» sei und fast ebenso viele sind einmal pro Woche oder häufiger von depressiven Verstimmungen geplagt. Lehrerverbandspräsident Beat Zemp ist nicht überrascht: «Die Resultate ordnen sich in das ein, was wir aus dem Berufsalltag bereits wissen –jetzt haben wir es schwarz auf weiss.»

Sie sind auch dann in der Schule, wenn sie krank sind
Frauen und Teilzeitlehrer mit hohen Pensen von 22 bis 25 Lektionen pro Woche sind am stärksten betroffen. Studienautorin Doris Kunz von der Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz führt das auf die Doppelbelastung g zurück: «Beide Gruppen sind ausserberuflich oft stark eingespannt, Frauen in der Regel mit der Kinderbetreuung.» Keine Unterschiede existieren zwischen den verschiedenen Sprachregionen und Klassenstufen. Auch die Berufserfahrung spielt keine Rolle.

Die Ursachen für den chronischen Stress sind vielfältig. Barbara Zumstein, Leiterin der Beratungsstelle für Lehrpersonen in Luzern, sagt: «Lehrer neigen zu Perfektionismus. Viele arbeiten auch dann weiter, wenn sie eigentlich nicht mehr können oder krank sind.» Zu diesem Schluss kommt auch die Nationalfondsstudie. Ein Hauptgrund für die Überbelastung ist gemäss den Forschern der «Präsentismus». Das heisst: Lehrer gehen auch dann zur Arbeit, wenn sie gesundheitlich angeschlagen  sind. «Wenn eine Lehrperson mal kurzfristig fehlt, ist gleich eine ganze Klasse von Kindern betroffen», sagt Zumstein. Auf die Schnelle eine Stellvertretung zu organisieren, sei dann eine Herkulesaufgabe.

Die Studie ortet drei weitere Gründe für das Burnout-Risiko: Zeitdruck, Störungen im Unterricht durch schwierige Schüler und Konflikte mit den Eltern. Probleme, die Zumstein aus ihrem Beratungsalltag bestens kennt: «Die Anforderungen an den Lehrerberuf sind gestiegen, der administrative Aufwand hat zugenommen.» Seit einigen Jahren werden Sonderschüler in die Regelklassen integriert – für die Lehrer eine zusätzliche Herausforderung. Zumstein: «Die Betreuung von verhaltensauffälligen Kinder kann extrem anspruchsvoll sein.» Deshalb werde meist in Teams gearbeitet, was wiederum Konfliktpotenzial beinhalte und mehr Absprachen, Organisation und Planung nötig mache.

Auch neue Lernformen wie Gruppenarbeiten oder Einzelbetreuung setzen mehr Geduld und Kraft voraus. «Der Geräuschpegel in den Klassenzimmern  ist sehr hoch, die Zeiten des ruhigen Frontalunterrichtes sind vorbei», so die Beraterin. Anspruchsvoller sind auch die Eltern geworden. «Oft haben sie die Karriere der Kinder bereits bis ins Detail geplant und klare Vorstellungen, was die Schule zu machen und zu leisten hat», sagt Zumstein. Sie kenne Fälle, in denen Eltern Anwälte engagierten, nur um über einzelne Prüfungspunkte zu streiten.

Der Lehrerpräsident will die Wochenstunden reduzieren
Lehrerpräsident Beat Zemp macht seit längerem auf das Problem aufmerksam. Denn die Folgen der Überbelastung sind ein vergiftetes Schulklima und ein verminderter Lernerfolg der Schüler. Passiert ist trotzdem nichts. Jetzt verlangt Zemp Massnahmen. «Lehrerinnen und Lehrer am Rand des Burnouts werden zu oft allein gelassen.» Dabei sei der Schutz und die Förderung der Gesundheit eine gesetzliche Pflicht der Arbeitgeber. «Die Konsequenzen tragen neben den Lehrkräften die Kinder und der Steuerzahler.»

Der Lehrerpräsident fordert, die Anzahl der Wochenlektionen zu reduzieren. Mit bis zu 30 Lektionen pro Lehrer gehöre die Schweiz zu den Spitzenreitern in Europa. «Das ist nicht mehr zeitgemäss.» Der Schweizer Lehrerverband (LCH) plädiert deshalb für maximal 26 Lektionen pro Woche. Gleichzeitig sollen Schüler mit besonderen Lernbedürfnissen für die Klassengrösse doppelt gezählt werden. «Nur so können wir den zusätzlichen Aufwand für die Betreuung mindern und Spitzenbelastungen von bis zu 55 Stunden pro Woche vermeiden», sagt Zemp.

Wichtig sei zudem, dass man die Gründe für die Belastungen besser erforsche und dass die Behörden zusammen mit Arbeitsmedizinern und Versicherungen die Datenbasis für den Gesundheitsschutz verbesserten.

Trotz Stress haben 87 Prozent der Lehrer Spass am Beruf
Die Studienergebnisse schrecken auch die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) auf. Präsident Christoph Eymann sagt: «Der Druck ist gestiegen. Viele Lehrer sind heute emotional so stark belastet,dass dies negative Auswirkungen auf den Berufsalltag und damit die Schüler haben kann.»

Die Resultate der Nationalfondsstudie decken sich weitgehend mit einer 2013 durchgeführten Befragung von Volksschullehrern in der Stadt Zürich. Auch damals berichtete jede vierte Klassenlehrkraft von einer «Erschöpfung und Energielosigkeit». 40 Prozent gaben an, sie seien eher oder stark psychisch belastet.

Doch bei allem Stress – die Studie bietet auch einen Lichtblick. Trotz der Arbeitsüberforderung ist die Zufriedenheit erstaunlich hoch. 87 Prozent der Befragten gaben an, dass ihnen der Beruf grundsätzlich Spass mache. Rund zwei Drittel der Lehrer können ihre Fähigkeiten voll einsetzen und halten sich gern am Arbeitsplatz auf. Je besser die Unterstützung durch Kollegen und Schulleitung, desto höher das Arbeitsengagement.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen