Die Stadt Zürich verspricht sich finanzielle, pädagogische und organisatorische Vorteile, Bild: riehen.ch
Bis 2025 soll aus der Volksschule eine Tagesschule werden, NZZ, 3.9. von Irène Troxler
Jahrelang
wurden in Zürich die Hortkapazitäten der Nachfrage entsprechend ausgebaut. Nun
vollzieht die Stadt eine Wende: Vom System einer Betreuung nach Wunsch der
Eltern schwenkt sie um zu einem neuartigen Tagesschulmodell. Im Rahmen eines
Versuchs erproben ab dem Jahr 2016 sieben Schulen die sogenannte «Tagesschule
2025»: In den Schulhäusern Aegerten (Schulkreis Uto), Am Wasser (Waidberg),
Albisriederplatz (Limmattal), Balgrist-Kartaus (Zürichberg), Blumenfeld
(Glattal), Leutschenbach (Schwamendingen) und Schauenberg (Glattal) bleiben die
Kinder über Mittag in der Schule, wenn sie nachmittags noch Unterricht haben.
Kürzere Mittagszeit
Dieses
Konzept mit altersabhängigen Präsenzzeiten hat das Zürcher Schuldepartement
zusammen mit den Präsidentinnen und Präsidenten der sieben Kreisschulpflegen
ausgearbeitet und am Dienstag an einer Medienkonferenz präsentiert. Für die
Erstkindergärtler ändert sich nichts; ihre Nachmittage bleiben frei. Im zweiten
Kindergarten nehmen die Sprösslinge zweimal wöchentlich das Mittagessen in der
Schule ein, in der Primarschule dreimal und auf der Sekundarstufe dann viermal.
Gleichzeitig wird die Mittagszeit von heute 110 Minuten auf 80 Minuten
verkürzt. Im Gegenzug dürfen die kleineren Kinder bereits um 15 Uhr nach Hause;
ab der Mittelstufe endet die Schule um 16 Uhr.
Obligatorisch
erklären kann die Stadt das Mittagessen an der Schule nicht, wie Schulvorsteher
Gerold Lauber ausführte. Wer seinen Nachwuchs unbedingt zu Hause verpflegen
will, kann ihn abmelden. Allerdings soll bei der kantonalen Bildungsdirektion
ein weiterer Schulversuch angeregt werden. Bei diesem wäre der Verbleib in der
Schule obligatorisch. Lauber hofft, dass auch auf freiwilliger Basis möglichst
viele Eltern vom neuen Angebot, das sechs Franken pro Mahlzeit kostet, Gebrauch
machen. Bei der Gestaltung der Stundenpläne werde man darauf achten, dass
Geschwister an den gleichen Nachmittagen Schule haben.
Obschon mehr
Kinder verpflegt werden müssen, soll die «Tagesschule 2025» auf lange Sicht 15
Prozent günstiger sein als ein weiterer Ausbau der Horte. Die Prognosen gehen
davon aus, dass mittelfristig rund 70 Prozent der Schülerinnen und Schüler
einen Betreuungsplatz brauchen. Würde man die Parallelstruktur von Schule und
Hort beibehalten, so käme dies teurer, weil die Räume und das Personal weniger
effizient eingesetzt würden als beim Tagesschulmodell, sagte Lauber.
Kosteneinsparungen ergeben sich dank der verkürzten Mittagszeit und weil die
Kinder neu gestaffelt essen. Betreut werden sie dabei vom Hortpersonal oder von
Lehrerinnen und Lehrern, die sich freiwillig zur Verfügung stellen. Braucht ein
Schüler ausserhalb der neuen Schulzeiten noch Betreuung, so haben die Horte
weiterhin von 7 Uhr bis Schulbeginn und vom Ende der Blockzeit bis 18 Uhr
geöffnet.
Gute Erfahrungen in Höngg
An der Schule
Am Wasser in Höngg, einer der sieben Pilotschulen, hat man bereits Erfahrungen
gesammelt mit gestaffeltem Mittagessen im Hort. Die Schulleiterin Susanne Gauch
erläuterte an der Medienkonferenz, wie sie die Betreuung in den letzten Jahren
scheibchenweise ausbauen musste. Heute besuchen 78 Prozent der Schülerinnen und
Schüler den Hort Am Wasser. Somit sei es Zeit, ein neues Gesamtpaket zu
schnüren. Seit dem letzten Schuljahr essen die Kinder bereits in zwei Etappen.
Die Hälfte geht vor der Mahlzeit noch in die Turnhalle oder in die Bibliothek,
und um 12 Uhr 40 wird gewechselt. Die Erfahrungen seien gut, die Rückmeldungen
positiv, auch von den beteiligten Lehrern. Dank einer langen Znünipause halte
sich der Heisshunger der Kinder um 12 Uhr in Grenzen. Vom neuen Konzept erhofft
sich Gauch eine Beruhigung des Schulalltags, da die Kinder sich künftig im
Klassenverband bewegten. Zudem lässt sich die Mittagszeit flexibler gestalten.
Die erste Gruppe kann beispielsweise schon um 11 Uhr 30 essen gehen.
Vorstösse von SP und FDP
Angestossen
wurde der Systemwechsel von zwei parlamentarischen Vorstössen von SP und FDP.
Die SP forderte zwei Tagesschulen pro Schulkreis. Die FDP schlug stattdessen
ein Halbtagesschulmodell mit verkürzter Mittagszeit vor. Beide Vorstösse wurden
vom Stadtparlament unterstützt. Die Variante, die nun erprobt werden soll,
liegt sehr nahe beim FDP-Vorschlag. Beide Parteien begrüssen das präsentierte
Modell. Die SP wird ein wachsames Auge auf die Betreuungsqualität haben. Die
FPD will auch die Kosten sorgfältig prüfen.
Das letzte
Wort zum Versuch hat der Zürcher Gemeinderat. Er muss einen Kredit von 19,1
Millionen Franken bewilligen, damit die sieben Schulen loslegen können.
Langfristig soll die Kosteneinsparung gegenüber dem bisherigen Hortsystem laut
Schul- und Sportdepartement 30 bis 40 Millionen Franken jährlich betragen. Für
die Eltern ist das neue Angebot preislich attraktiv, allerdings nicht für alle.
Die Tarife für die Mittagsbetreuung sind heute stark einkommensabhängig. Sie
reichen von 4 Franken 50 bis zu 33 Franken pro Tag. Im Schulversuch bezahlen
alle 6 Franken, unabhängig von ihren finanziellen Verhältnissen.
Die geplante
Tagesschule erlaube den Eltern eine Berufstätigkeit von gesamthaft 140 Prozent,
rechnete Lauber vor. Ein solches Familienmodell sei heute sehr verbreitet,
während die klassische Rollenteilung immer seltener werde. Vorteile ergeben
sich laut Lauber auch für Vereine, Musikschulen, Kirchen und andere
Organisatoren von Freizeitbeschäftigungen. Dank den Blockzeiten am Nachmittag
könnten sie besser planen.
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