3. September 2014

Zürich plant Tagesschulen

Die Stadt Zürich reagiert auf die stark wachsende Nachfrage nach Betreuungsplätzen mit einem neuen Tagesschulmodell. Ab 2016 wird es an sieben Pilotschulen getestet. Die Kosten seien tiefer als ein weiterer Ausbau der Horte.


Die Stadt Zürich verspricht sich finanzielle, pädagogische und organisatorische Vorteile, Bild: riehen.ch


Bis 2025 soll aus der Volksschule eine Tagesschule werden, NZZ, 3.9. von Irène Troxler



Jahrelang wurden in Zürich die Hortkapazitäten der Nachfrage entsprechend ausgebaut. Nun vollzieht die Stadt eine Wende: Vom System einer Betreuung nach Wunsch der Eltern schwenkt sie um zu einem neuartigen Tagesschulmodell. Im Rahmen eines Versuchs erproben ab dem Jahr 2016 sieben Schulen die sogenannte «Tagesschule 2025»: In den Schulhäusern Aegerten (Schulkreis Uto), Am Wasser (Waidberg), Albisriederplatz (Limmattal), Balgrist-Kartaus (Zürichberg), Blumenfeld (Glattal), Leutschenbach (Schwamendingen) und Schauenberg (Glattal) bleiben die Kinder über Mittag in der Schule, wenn sie nachmittags noch Unterricht haben.
Kürzere Mittagszeit
Dieses Konzept mit altersabhängigen Präsenzzeiten hat das Zürcher Schuldepartement zusammen mit den Präsidentinnen und Präsidenten der sieben Kreisschulpflegen ausgearbeitet und am Dienstag an einer Medienkonferenz präsentiert. Für die Erstkindergärtler ändert sich nichts; ihre Nachmittage bleiben frei. Im zweiten Kindergarten nehmen die Sprösslinge zweimal wöchentlich das Mittagessen in der Schule ein, in der Primarschule dreimal und auf der Sekundarstufe dann viermal. Gleichzeitig wird die Mittagszeit von heute 110 Minuten auf 80 Minuten verkürzt. Im Gegenzug dürfen die kleineren Kinder bereits um 15 Uhr nach Hause; ab der Mittelstufe endet die Schule um 16 Uhr.
Obligatorisch erklären kann die Stadt das Mittagessen an der Schule nicht, wie Schulvorsteher Gerold Lauber ausführte. Wer seinen Nachwuchs unbedingt zu Hause verpflegen will, kann ihn abmelden. Allerdings soll bei der kantonalen Bildungsdirektion ein weiterer Schulversuch angeregt werden. Bei diesem wäre der Verbleib in der Schule obligatorisch. Lauber hofft, dass auch auf freiwilliger Basis möglichst viele Eltern vom neuen Angebot, das sechs Franken pro Mahlzeit kostet, Gebrauch machen. Bei der Gestaltung der Stundenpläne werde man darauf achten, dass Geschwister an den gleichen Nachmittagen Schule haben.
Obschon mehr Kinder verpflegt werden müssen, soll die «Tagesschule 2025» auf lange Sicht 15 Prozent günstiger sein als ein weiterer Ausbau der Horte. Die Prognosen gehen davon aus, dass mittelfristig rund 70 Prozent der Schülerinnen und Schüler einen Betreuungsplatz brauchen. Würde man die Parallelstruktur von Schule und Hort beibehalten, so käme dies teurer, weil die Räume und das Personal weniger effizient eingesetzt würden als beim Tagesschulmodell, sagte Lauber. Kosteneinsparungen ergeben sich dank der verkürzten Mittagszeit und weil die Kinder neu gestaffelt essen. Betreut werden sie dabei vom Hortpersonal oder von Lehrerinnen und Lehrern, die sich freiwillig zur Verfügung stellen. Braucht ein Schüler ausserhalb der neuen Schulzeiten noch Betreuung, so haben die Horte weiterhin von 7 Uhr bis Schulbeginn und vom Ende der Blockzeit bis 18 Uhr geöffnet.
Gute Erfahrungen in Höngg
An der Schule Am Wasser in Höngg, einer der sieben Pilotschulen, hat man bereits Erfahrungen gesammelt mit gestaffeltem Mittagessen im Hort. Die Schulleiterin Susanne Gauch erläuterte an der Medienkonferenz, wie sie die Betreuung in den letzten Jahren scheibchenweise ausbauen musste. Heute besuchen 78 Prozent der Schülerinnen und Schüler den Hort Am Wasser. Somit sei es Zeit, ein neues Gesamtpaket zu schnüren. Seit dem letzten Schuljahr essen die Kinder bereits in zwei Etappen. Die Hälfte geht vor der Mahlzeit noch in die Turnhalle oder in die Bibliothek, und um 12 Uhr 40 wird gewechselt. Die Erfahrungen seien gut, die Rückmeldungen positiv, auch von den beteiligten Lehrern. Dank einer langen Znünipause halte sich der Heisshunger der Kinder um 12 Uhr in Grenzen. Vom neuen Konzept erhofft sich Gauch eine Beruhigung des Schulalltags, da die Kinder sich künftig im Klassenverband bewegten. Zudem lässt sich die Mittagszeit flexibler gestalten. Die erste Gruppe kann beispielsweise schon um 11 Uhr 30 essen gehen.
Vorstösse von SP und FDP
Angestossen wurde der Systemwechsel von zwei parlamentarischen Vorstössen von SP und FDP. Die SP forderte zwei Tagesschulen pro Schulkreis. Die FDP schlug stattdessen ein Halbtagesschulmodell mit verkürzter Mittagszeit vor. Beide Vorstösse wurden vom Stadtparlament unterstützt. Die Variante, die nun erprobt werden soll, liegt sehr nahe beim FDP-Vorschlag. Beide Parteien begrüssen das präsentierte Modell. Die SP wird ein wachsames Auge auf die Betreuungsqualität haben. Die FPD will auch die Kosten sorgfältig prüfen.
Das letzte Wort zum Versuch hat der Zürcher Gemeinderat. Er muss einen Kredit von 19,1 Millionen Franken bewilligen, damit die sieben Schulen loslegen können. Langfristig soll die Kosteneinsparung gegenüber dem bisherigen Hortsystem laut Schul- und Sportdepartement 30 bis 40 Millionen Franken jährlich betragen. Für die Eltern ist das neue Angebot preislich attraktiv, allerdings nicht für alle. Die Tarife für die Mittagsbetreuung sind heute stark einkommensabhängig. Sie reichen von 4 Franken 50 bis zu 33 Franken pro Tag. Im Schulversuch bezahlen alle 6 Franken, unabhängig von ihren finanziellen Verhältnissen.

Die geplante Tagesschule erlaube den Eltern eine Berufstätigkeit von gesamthaft 140 Prozent, rechnete Lauber vor. Ein solches Familienmodell sei heute sehr verbreitet, während die klassische Rollenteilung immer seltener werde. Vorteile ergeben sich laut Lauber auch für Vereine, Musikschulen, Kirchen und andere Organisatoren von Freizeitbeschäftigungen. Dank den Blockzeiten am Nachmittag könnten sie besser planen.

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