3. September 2014

Regierungsschelte zeigt Wirkung

Nach der Eskalation mit der Bildungsdirektion halten sich die betroffenen Lehrer zurück. Regierungsrat Urs Wüthrich kündigte rechtliche Schritte an. 





Wüthrich stellt sich vor seine Mitarbeiter im Departement, Bild: Roland Schmid

Regierungsschelte zeigt Wirkung, Basler Zeitung, 3.9. von Daniel Wahl


Der Druck, den Regierungsrat Urs Wüthrich mit der gestrigen Mitteilung an das ganze Schulpersonal des Kantons Baselland inklusive Medien gegenüber den aufmüpfigen Vorstandsmitgliedern des Komitees Starke Schule Baselland aufgebaut hat und die Ankündigung, rechtliche Schritte einzuleiten, scheinen ihre Wirkung nicht zu verfehlen. Die beiden Allschwiler Lehrer, die im Komitee Starke Schule Baselland für den Ausstieg aus Harmos kämpfen, zeigen sich eingeschüchtert: «Die Mitglieder des Vorstands des Komitees Starke Schule Baselland möchten wie bereits letzte Woche auch heute keine Stellungnahme betreffend den Inhalt des Gesprächs zwischen den Chefbeamten der BKSD und dem Komitee abgeben. Das Schreiben von Jeannine Schwald und Michael Pedrazzi, welches der BaZ offensichtlich zugespielt wurde, war für die Bildungskommission bestimmt», heisst es.
Wüthrich kündigte unter dem Titel «STOPP der öffentlichen Verunglimpfung» in einem zweiseitigen Schreiben rechtliche Schritte gegenüber den beiden Sekundarlehrern Jeannine Schwald und Michael Pedrazzi an, weil sie Wüthrichs Chefbeamten kritisiert hatten, man würde sie mundtot machen, man sei als Stiefelabtreter benutzt worden.
Diese Kritik richtete sich nach einem Gespräch vor den Sommerferien an Wüthrichs Chefbeamten Markus Stauffenegger, Leiter Amt für Volksschule und Alberto Schneebeli, Projektleiter Bildungsharmonisierung. Der an der Sitzung anwesende Generalsekretär Roland Plattner war von der Kritik explizit ausgenommen. Das Schreiben gelangte über die Bildungskommission zu den Chefbeamten und drang erst am Samstag via BaZ an die Öffentlichkeit.
Die gestrige Mitteilung, die Wüthrichs Generalsekretär Roland Plattner aufsetzte, verdient es indessen, genauer unter die Lupe genommen zu werden. So suggeriert die Bildungsdirektion im Schreiben, die beiden Lehrer hätten am gemeinsamen Gespräch vor den Sommerferien vordergründig gute Miene gemacht und seien hinterhältig an die Medien gelangt. Dieser Darstellung der Bildungsdirektion widerspricht Bildungspolitiker und Landrat Jürg Wiedemann (Grüne) vehement: «Ich kenne Jeannine Schwald und Michael Pedrazzi. Das sind hochintegre Personen. Auch Saskia Olsson von Starke Schule Baselland, die am Gespräch zugegen war und den Sachverhalt bestätigte, ist wie die beiden Lehrer weit davon entfernt, etwas aufzubauschen. Ich bin zu 100 Prozent davon überzeugt, dass sie die Wahrheit sagen.»
Kampf gegen Ideologie
Hintergrund der Auseinandersetzung ist eine 72-seitige Broschüre mit dem Titel «Pädagogische Kooperation». Sie wird von der Starken Schule Baselland als «rückwärtsgerichtetes Manifest nach DDR-Ideologie» disqualifiziert, worauf die Lehrer zum Gespräch nach Liestal geladen wurden. In der gestrigen Medienmitteilung rudert Wüthrich in Bezug auf die Verbindlichkeit der Broschüre zurück: Diese habe der Kanton Zug erarbeitet und sei lediglich als Hilfestellung gedacht. Eine kreative Interpretation. Im Vorwort der Broschüre, die unter dem Logo der Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion firmiert, schreibt der Bildungsdirektor: «Die pädagogische Kooperation ist eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Schule für alle» – «unabhängig von Modeströmungen».
Wie gegen die Lehrer vorgegangen wird, lässt Wüthrich noch offen: «Dies ist zur Zeit in Prüfung.» Jedenfalls sieht er – erst nachdem die Kritik an die Öffentlichkeit gelangte – durch «nicht belegte Verunglimpfung die Mitarbeiter meiner Direktion in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt».
Darf Kritik an Chefbeamten nicht mehr geäussert werden? «Ich wünsche mir ein Demokratiesystem, in dem sich politisch engagierte Personen, die insbesondere aktive Vorstandarbeit leisten, frei äussern können», sagt Landrat Wiedemann. Wüthrich sieht indessen die Meinungsäusserungsfreiheit nicht verletzt: «In meiner langjährigen beruflichen Erfahrung als Gewerkschafter und Vorsteher der BKSD konnte ich mich immer wieder davon überzeugen, dass es keine Berufsgruppe gibt, die ­vergleichbare Mitwirkungsrechte in Anspruch nehmen kann.»


1 Kommentar:

  1. Zur Affäre sind zwei Leserbriefe in der Basler Zeitung erschienen.

    Lehrpersonen haben nicht nur die Aufgabe, ihren Schülerinnen und Schülern Stoffinhalt zu vermitteln, sondern sie in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu fördern: Hinterfragen, argumentieren, sich entschlossen und pointiert äussern sowie die eigene Position vertreten, dies sind nur einige Beispiele. Meinungsfreiheit ist in unserem Bildungssystem ein wichtiger Wert, der auf keiner Stufe angetastet werden darf. Chefbeamten der Bildungsdirektion, welche meinen, sie können Lehrpersonen mit Argumenten einschüchtern und sie dadurch zum Schweigen bringen, fehlt es an Anstand und Demokratieverständnis. Dieses Verhalten ist verwerflich und hat in unserem Bildungssystem nichts zu suchen.
    Regina Werthmüller-Tschopp, Sissach, Landrätin Grüne BL
    Das Komitee «Starke Schule Baselland» nimmt das legitime Recht in Anspruch, auf demokratischem Weg die Schullandschaft im Kanton Basel-Landschaft in jene Bahnen zu lenken, die die Qualität unserer Volksschule, insbesondere der Sekundarschule, gewährleistet und angesagte Reformen, die keinen ersichtlichen Mehrwert zum Wohle der Schülerinnen und Schüler generiert, zu stoppen. Schon lange bevor der Slogan von der «Guten Schule Baselland» Einzug im Sprachgebrauch fand, war unsere Schule ein gute Schule. Gebetsmühlenartig wird von der Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion BL (BKSD) via Schulleitungen die Lehrerschaft dahingehend orientiert, dass die zum Harmos-Konkordat eingeleiteten Reformen auf gutem Weg seien. Die Schulleitungen ihrerseits arbeiten unaufhörlich an der Umsetzung der Vorgaben. Die Kritik, die nicht nur im Kanton Basel-Landschaft zu Harmos aufflammt, will man partout nicht zur Kenntnis nehmen. Die Fachausbildung der zukünftigen Sekundarlehrkräfte und die Zusatzausbildungen in den Sammelfächern («Natur und Technik» oder «Räume, Zeiten, Gesellschaften») wird einen massiven Verlust an Unterrichtsqualität nach sich ziehen. Dies anzusprechen und zu thematisieren, ist Aufgabe unter anderem von engagierten Pädagogen, die sich tagtäglich vor Ort mit dem Bildungswahnsinn von Leuten fernab jeglicher Schulzimmerrealität auseinandersetzen müssen.
    Dass jetzt sogar Leute aus dem Vorstand des Initiativkomitees, ironischerweise zwei Pädagogen, unter Druck gesetzt werden, ist eines demokratischen Staatswesens unwürdig. Was bezweckt die BKSD damit? Könnte es sein, dass die BKSD merkt, dass der Reformzug, der rollt, zu schnell unterwegs ist oder eine Abzweigung verpasst hat?
    Hansueli Schaub, Pratteln, Mitglied Initiativ¬komitee Starke Schule Baselland

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