Ist Vertrauensstellung der Schulsozialarbeit gefährdet? Bild: fotolia
Aufsicht neu regeln? Schulsozialarbeiter laufen Sturm, BZ Basel, 2.9. von Hans-Martin Jermann
Wem sollen die 25 Schulsozialarbeiter an den Baselbieter
Sekundarschulen unterstellt sein? Die Frage nach der Aufsicht klingt nach einer
organisatorischen Bagatelle, ist aber von grosser Bedeutung für die Schüler –
ja, das gesamte Umfeld der Schule. Weshalb das so ist, illustriert ein
fiktives, aber realitätsnahes Beispiel: Eine zwölfjährige Sekundarschülerin wird
zu Hause von ihrem Vater mit Ohrfeigen bestraft, weil die Schulleistungen zu
wünschen übrig lassen. Der Vater ist ein im Ort angesehener Unternehmer,
bekannt mit Lehrern und der Schulleitung. Das Mädchen zögert: Wem soll sie
erzählen, dass sie von ihrem Vater geschlagen wird?
Heute ist die Aufsicht
der Schulsozialarbeit im Baselbiet unklar und teilweise widersprüchlich
geregelt: Personell sind die Schulsozialarbeiter dem Schulrat der jeweiligen
Schule unterstellt, fachlich dem kantonalen Amt für Kind, Jugend und
Behindertenangebote (AKJB). Bildungsdirektor Urs Wüthrich will die Aufsicht neu
regeln und den Schulsozialdienst der jeweiligen Schulleitung unterstellen.
Diese Idee sorgt bei Betroffenen für Kopfschütteln: Ist im vorliegenden
Beispiel die Schulleitung weisungsberechtigt gegenüber dem Schulsozialarbeiter,
so besteht zumindest die Gefahr, dass die Schülerin die Gewaltvorfälle im
Elternhaus für sich behält. Aus ihrer Sicht ist die Schulsozialarbeiterin dann
Teil des «Systems Schule».
«Es ist zentral, dass
wir Schülerinnen und Schülern in Not einen geschützten und vertrauenswürdigen
Rahmen bieten können», sagt Schulsozialarbeiterin Bettina Kräuchi im Gespräch
mit der bz. Bestandteil dieses geschützten Rahmens sei, dass die
Schulsozialarbeiter unabhängig operieren können und über eine Schweigepflicht
verfügten. Dies sei nicht als Misstrauensvotum zu verstehen, sagt Kräuchi. Sie
arbeite hervorragend mit der Schulleitung zusammen. «Es geht darum, mögliche
Interessenskonflikte im Vornherein durch klare Regeln zu verhindern.»
Beispiel sexuelle
Belästigung
Die Unabhängigkeit der
Schulsozialarbeit sei im Interesse aller Beteiligten, fügt Schulsozialarbeiter
Michael Krisztmann an. Zum Beispiel, wenn ein Lehrer mit dem Vorwurf sexueller
Belästigung konfrontiert ist. Im Interesse der anklagenden Schülerin, weil ihr
eine Person zur Verfügung steht, die ihr einfach mal zuhört, mögliche Wege
aufzeigt und begleitet. Im Interesse aber auch des betroffenen Lehrers und der
Schule: Ein unabhängiger Schulsozialarbeiter könne klärend und glaubwürdig für
die Schule wirken – vor allem dann, wenn die Beteiligten zum Schluss gelangen,
dass die Vorwürfe der Schülerin einer externen, objektiven Betrachtung nicht
standhalten.
Ein drittes Beispiel:
Ein 14-jähriger Sekundarschüler bekundet Lernschwierigkeiten und ist
unmotiviert, zudem fühlt er sich vom Klassenlehrer ungerecht behandelt. Es
stelle sich die Frage, wer sich verändern müsse: der Schüler, die Schule –
beide? «Ich muss in dieser Situation auch kritisch gegenüber der Schule sein
können. Das geht schlecht, wenn der Schulleiter mein Vorgesetzter ist», sagt
Krisztmann. Unabhängigkeit der Schulsozialarbeit ist schliesslich auch wichtig
bei Konflikten in der Lehrerschaft, wie ein Allschwiler Sekundarlehrer, der
anonym bleiben will, gegenüber der bz betont.
Die heutige, teilweise
widersprüchliche Aufteilung der Kompetenzen sei ebenfalls keine Lösung, findet
Krisztmann: Der Schulrat sei als Laiengremium meist zu weit weg vom
Arbeitsalltag der Schulsozialarbeiter. Auch sei in der heutigen Konstellation
die Qualitätskontrolle schwierig; Fragen nach der Weiterbildung müssten
kompliziert geklärt werden. «Eine Vereinfachung ist nötig – aber eine
Unterstellung unter die Schulleitung der falsche Weg», fügt Bettina Kräuchi an.
Grünen-Landrat lanciert
3. Weg
Wegen der möglichen
Interessenskonflikte wird nun der Birsfelder Grünen-Landrat Jürg Wiedemann
aktiv: Mittels einer Parlamentarischen Initiative, die er kommenden Donnerstag
im Landrat einreichen wird, fordert er in der Aufsichtsfrage einen dritten Weg:
Demnach soll der Schulsozialdienst vollständig dem kantonalen Amt für Kind,
Jugend und Behindertenangebote unterstellt werden. Er verweist auf die Regelung
im Nachbarkanton Basel-Stadt, wo der Schulsozialdienst ebenfalls einer
unabhängigen Stelle untersteht.
Eine Parlamentarische
Initiative ist das griffigste Instrument im Landratsbetrieb. Wird sie
überwiesen, so muss deren Inhalt ins Gesetz geschrieben werden.
Bildungsdirektor Wüthrich wollte eigentlich seine Lösung bis Ende Jahr auf dem
Verordnungsweg festsetzen. Das Parlament hätte sich demnach nicht zur
Aufsichtsfrage äussern können. Die Initiative ist nicht bloss eine Seifenblase
aus der Küche Wiedemanns. Der Bildungspolitiker und Sekundarlehrer wird in
dieser Frage breit unterstützt von 25 Parlamentariern aus praktisch allen
Parteien, darunter der ehemaligen CVP-Präsidentin Sabrina Corvini-Mohn,
BDP/GLP-Fraktionschef Marc Bürgi, SVP-Bildungspolitikerin Caroline Mall und
SP-Landrätin und Schulleiterin Regula Meschberger.
Schweren Herzens unterschrieben
hat auch SP-Landrätin Christine Koch, selber Primarlehrerin und eine
Parteifreundin Wüthrichs. Koch sagt: «Ich kann mir beim besten Willen nicht
erklären, wie Urs Wüthrich auf die Idee kommt, den Schulsozialdienst den
Schulleitungen unterstellen zu wollen.» Der Bildungsdirektor hat bisher auch
gegenüber den Landräten der Bildungskommission seine Pläne nicht erläutert.
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