2. September 2014

Schulsozialarbeiter neu Schulleitern unterstellt?

Der Baselbieter Bildungsdirektor Urs Wüthrich will den Schulsozialdienst den Schulleitungen unterstellen. Doch das kommt bei den Betroffenen nicht gut an.



Ist Vertrauensstellung der Schulsozialarbeit gefährdet? Bild: fotolia

Aufsicht neu regeln? Schulsozialarbeiter laufen Sturm, BZ Basel, 2.9. von Hans-Martin Jermann


Wem sollen die 25 Schulsozialarbeiter an den Baselbieter Sekundarschulen unterstellt sein? Die Frage nach der Aufsicht klingt nach einer organisatorischen Bagatelle, ist aber von grosser Bedeutung für die Schüler – ja, das gesamte Umfeld der Schule. Weshalb das so ist, illustriert ein fiktives, aber realitätsnahes Beispiel: Eine zwölfjährige Sekundarschülerin wird zu Hause von ihrem Vater mit Ohrfeigen bestraft, weil die Schulleistungen zu wünschen übrig lassen. Der Vater ist ein im Ort angesehener Unternehmer, bekannt mit Lehrern und der Schulleitung. Das Mädchen zögert: Wem soll sie erzählen, dass sie von ihrem Vater geschlagen wird?
Heute ist die Aufsicht der Schulsozialarbeit im Baselbiet unklar und teilweise widersprüchlich geregelt: Personell sind die Schulsozialarbeiter dem Schulrat der jeweiligen Schule unterstellt, fachlich dem kantonalen Amt für Kind, Jugend und Behindertenangebote (AKJB). Bildungsdirektor Urs Wüthrich will die Aufsicht neu regeln und den Schulsozialdienst der jeweiligen Schulleitung unterstellen. Diese Idee sorgt bei Betroffenen für Kopfschütteln: Ist im vorliegenden Beispiel die Schulleitung weisungsberechtigt gegenüber dem Schulsozialarbeiter, so besteht zumindest die Gefahr, dass die Schülerin die Gewaltvorfälle im Elternhaus für sich behält. Aus ihrer Sicht ist die Schulsozialarbeiterin dann Teil des «Systems Schule».
«Es ist zentral, dass wir Schülerinnen und Schülern in Not einen geschützten und vertrauenswürdigen Rahmen bieten können», sagt Schulsozialarbeiterin Bettina Kräuchi im Gespräch mit der bz. Bestandteil dieses geschützten Rahmens sei, dass die Schulsozialarbeiter unabhängig operieren können und über eine Schweigepflicht verfügten. Dies sei nicht als Misstrauensvotum zu verstehen, sagt Kräuchi. Sie arbeite hervorragend mit der Schulleitung zusammen. «Es geht darum, mögliche Interessenskonflikte im Vornherein durch klare Regeln zu verhindern.»
Beispiel sexuelle Belästigung
Die Unabhängigkeit der Schulsozialarbeit sei im Interesse aller Beteiligten, fügt Schulsozialarbeiter Michael Krisztmann an. Zum Beispiel, wenn ein Lehrer mit dem Vorwurf sexueller Belästigung konfrontiert ist. Im Interesse der anklagenden Schülerin, weil ihr eine Person zur Verfügung steht, die ihr einfach mal zuhört, mögliche Wege aufzeigt und begleitet. Im Interesse aber auch des betroffenen Lehrers und der Schule: Ein unabhängiger Schulsozialarbeiter könne klärend und glaubwürdig für die Schule wirken – vor allem dann, wenn die Beteiligten zum Schluss gelangen, dass die Vorwürfe der Schülerin einer externen, objektiven Betrachtung nicht standhalten.
Ein drittes Beispiel: Ein 14-jähriger Sekundarschüler bekundet Lernschwierigkeiten und ist unmotiviert, zudem fühlt er sich vom Klassenlehrer ungerecht behandelt. Es stelle sich die Frage, wer sich verändern müsse: der Schüler, die Schule – beide? «Ich muss in dieser Situation auch kritisch gegenüber der Schule sein können. Das geht schlecht, wenn der Schulleiter mein Vorgesetzter ist», sagt Krisztmann. Unabhängigkeit der Schulsozialarbeit ist schliesslich auch wichtig bei Konflikten in der Lehrerschaft, wie ein Allschwiler Sekundarlehrer, der anonym bleiben will, gegenüber der bz betont.
Die heutige, teilweise widersprüchliche Aufteilung der Kompetenzen sei ebenfalls keine Lösung, findet Krisztmann: Der Schulrat sei als Laiengremium meist zu weit weg vom Arbeitsalltag der Schulsozialarbeiter. Auch sei in der heutigen Konstellation die Qualitätskontrolle schwierig; Fragen nach der Weiterbildung müssten kompliziert geklärt werden. «Eine Vereinfachung ist nötig – aber eine Unterstellung unter die Schulleitung der falsche Weg», fügt Bettina Kräuchi an.
Grünen-Landrat lanciert 3. Weg
Wegen der möglichen Interessenskonflikte wird nun der Birsfelder Grünen-Landrat Jürg Wiedemann aktiv: Mittels einer Parlamentarischen Initiative, die er kommenden Donnerstag im Landrat einreichen wird, fordert er in der Aufsichtsfrage einen dritten Weg: Demnach soll der Schulsozialdienst vollständig dem kantonalen Amt für Kind, Jugend und Behindertenangebote unterstellt werden. Er verweist auf die Regelung im Nachbarkanton Basel-Stadt, wo der Schulsozialdienst ebenfalls einer unabhängigen Stelle untersteht.
Eine Parlamentarische Initiative ist das griffigste Instrument im Landratsbetrieb. Wird sie überwiesen, so muss deren Inhalt ins Gesetz geschrieben werden. Bildungsdirektor Wüthrich wollte eigentlich seine Lösung bis Ende Jahr auf dem Verordnungsweg festsetzen. Das Parlament hätte sich demnach nicht zur Aufsichtsfrage äussern können. Die Initiative ist nicht bloss eine Seifenblase aus der Küche Wiedemanns. Der Bildungspolitiker und Sekundarlehrer wird in dieser Frage breit unterstützt von 25 Parlamentariern aus praktisch allen Parteien, darunter der ehemaligen CVP-Präsidentin Sabrina Corvini-Mohn, BDP/GLP-Fraktionschef Marc Bürgi, SVP-Bildungspolitikerin Caroline Mall und SP-Landrätin und Schulleiterin Regula Meschberger.
Schweren Herzens unterschrieben hat auch SP-Landrätin Christine Koch, selber Primarlehrerin und eine Parteifreundin Wüthrichs. Koch sagt: «Ich kann mir beim besten Willen nicht erklären, wie Urs Wüthrich auf die Idee kommt, den Schulsozialdienst den Schulleitungen unterstellen zu wollen.» Der Bildungsdirektor hat bisher auch gegenüber den Landräten der Bildungskommission seine Pläne nicht erläutert.


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