Leserbrief, NZZ, 6.9. von Andreas Diethelm
Eine Fremdsprache bedeutet immer auch eine ganze neue Welt. Die Türe dahin kann im Schulzimmer aufgestossen werden, hinaustreten müssen die Lernenden selber, mit Leib und Seele. Erst vor Ort erwacht die Lust am Lernen. Für eine zweite Landessprache haben wir drei Generationen von Schulabgängern verloren, die sich im Kontakt mit den Compatriotes radebrechend durchs Leben stottern oder ihnen ganz aus dem Weg gehen, und dies, weil ihnen deren Sprache frühzeitig verleidet beziehungsweise weil ihnen der nächstliegende Anreiz vorenthalten wurde.
Es ist ein Armutszeugnis für unser winziges Wohlstandsland, wo kaum ein Ort mehr als zwei Bahnstunden von der Sprachgrenze entfernt liegt, dass wir es in den vergangenen fünfzig Jahren versäumt haben, den Schüleraustausch obligatorisch in den Fremdsprachenlehrplan zu integrieren. Ein Land, das eine Milizarmee und eine Zivilschutzorganisation unterhält, wird doch wohl über die logistische Kompetenz und die Mittel für einen landesweiten Schüleraustausch über die Sprachgrenzen hinweg verfügen. Das Befeuern eines Sprachenstreits im Namen des nationalen Zusammenhalts ist nicht opportun. Qualität und Glaubwürdigkeit des Fremdsprachenunterrichts haben Vorrang, nicht der Zeitpunkt seiner Einführung. Der Lernprozess des Spracherwerbs passt sich nicht politischen Kohäsionswünschen an. Bildungspolitik muss sich der Natur der Menschen anpassen, Kohäsion folgt automatisch.
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