6. September 2014

Dem Komplex der Westschweiz ein Ende setzen

Ein «Sprachenkrieg» sei es. Dahinter stecke der «Wille, eine Deutschschweizer Monokultur durchzusetzen». Es sei ein Zeichen von «Geringschätzung». Westschweizer Politiker haben die Absicht der Nidwaldner, im Gefolge des Thurgaus ihren Lehrplan für den Sprachunter­richt ebenfalls zu überdenken, aufs Heftigste verurteilt. Sie stiessen ins selbe Horn wie die Medien und sprachen vom «Aufgeben» des Französischen, von einem «Angriff» auf die Westschweiz und vom «Ende des nationalen Zusammenhalts». Der am häufigsten in die Runde geworfene Begriff war, auf sämtlichen Ebenen, jener vom «Krieg». «Sprachenkrieg» prangte auf der Titelseite der Zeitung «Le Temps». Die Sendung Infrarouge des RTS von letztem Dienstag lief unter dem Titel: «Sprachenkrieg: Tschüss Switzerland?».




Fathi Derder ist Kommunikationsberater und Waadtländer FDP-Nationalrat

Dem Komplex der Westschweiz ein Ende setzen, Carte blanche, Tages Anzeiger, 5.9.



Die Romands haben schon immer lebhaft auf die Diskussionen in der Deutschschweiz reagiert, gerade was Sprachthemen betrifft. Meistens zu Recht: Eine Minderheit muss kämpfen, um bestehen zu können. Allerdings sollte man für Anliegen kämpfen, für die sich der Aufwand auch lohnt, und man sollte seine Worte mit Bedacht wählen. Das gilt besonders dann, wenn es um Sprachen geht. In der Schweiz herrscht kein Krieg, weder ein Sprachenkrieg, noch irgendein anderer. Der Begriff wird missbräuchlich verwendet, streng genommen ist er sogar eine verbale Entgleisung: Einen Teil der Bevölkerung zu beschuldigen, einen Krieg vom Zaun zu brechen, und sei es ein Sprachenkrieg, kann ernsthafte Folgen für den nationalen Zusammenhalt haben, den zu verteidigen man vorgibt.
Im Wissen, dass sie zu weit gegangen sind, haben einige Politiker ihre Aussagen korrigiert. In der RTS-Sendung vom Dienstag war von Krieg nicht mehr die Rede. Man bevorzugte Ausdrücke wie «Angriff» oder «Aufgeben» des Französischen. Diese zwei Wörter waren immer wieder zu hören. Nur: Auch sie sind falsch gewählt. Der Thurgau und Nidwalden geben nichts auf. «Wir wollen Französisch als Landessprache stärken». Res Schmid, der Nidwaldner Regierungspräsident, überbrachte diese Mitteilung nach Genf, und das in hervorragendem Französisch. Er nahm drei Stunden Reiseweg auf sich, nur um zu sagen, zu wiederholen: «Wir lieben das Französische und wir möchten, dass unsere Kinder es besser sprechen».
Liessen sich die Westschweizer Politiker damit beruhigen? Mitnichten. «Sie werden mich nicht überzeugen», liess Mathias Reynard schon im Vorfeld verlauten. Res Schmid versuchte denn auch gar nicht, ihn zu «überzeugen». Er kam von Stans nach Genf, um jene ins Bild zu setzen, die es vielleicht noch nicht vernommen hatten: Nidwalden will den Französischunterricht stärken, nicht aufgeben. Weil diese Aussage aber der Komplott-These und der These vom Angriff auf die Westschweiz zuwiderläuft, hörte ihm niemand zu. Ein offener Nidwaldner, der nach Genf kam, um das Gespräch zu suchen, traf auf verschlossene Romands. Eine verkehrte Welt.
«Ich bin nicht beruhigt», sekundiert Staatsrätin Elisabeth Baume-Schneider. Das lässt tief blicken: Beruhigt will man sein, wenn man Angst hat. Oder wenn man geschwächt ist. Es entspricht einer defensiven Position, es ist ein historischer Westschweizer Reflex, ein Erbe der Vergangenheit – jener Zeit, in der die welsche Minderheit vom grossen Deutsch­schweizer Bruder abhängig war. Aber diese Zeit ist längst passé. Die Westschweiz hat sich zum wirtschaftlichen Motor des Landes entwickelt. Der Genferseebogen treibt das Schweizer Wachstum an. Es wäre an der Zeit, dass die Politiker das erkennen, damit endlich ein Schlussstrich unter den Minderwertigkeitskomplex – und die emotionalen Reaktionen – gezogen werden kann. Dann wäre der Weg frei für einen konstruktiven Dialog zwischen den Sprachregionen.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen