Fathi Derder ist Kommunikationsberater und Waadtländer FDP-Nationalrat
Dem Komplex der Westschweiz ein Ende setzen, Carte blanche, Tages Anzeiger, 5.9.
Die Romands haben schon immer lebhaft auf die Diskussionen in der
Deutschschweiz reagiert, gerade was Sprachthemen betrifft. Meistens zu
Recht: Eine Minderheit muss kämpfen, um bestehen zu können. Allerdings
sollte man für Anliegen kämpfen, für die sich der Aufwand auch lohnt, und man
sollte seine Worte mit Bedacht wählen. Das gilt besonders dann, wenn es um
Sprachen geht. In der Schweiz herrscht kein Krieg, weder ein Sprachenkrieg,
noch irgendein anderer. Der Begriff wird missbräuchlich verwendet, streng
genommen ist er sogar eine verbale Entgleisung: Einen Teil der Bevölkerung zu
beschuldigen, einen Krieg vom Zaun zu brechen, und sei es ein Sprachenkrieg,
kann ernsthafte Folgen für den nationalen Zusammenhalt haben, den zu
verteidigen man vorgibt.
Im Wissen, dass sie zu weit gegangen sind, haben einige Politiker ihre
Aussagen korrigiert. In der RTS-Sendung
vom Dienstag war von Krieg nicht mehr die Rede. Man bevorzugte Ausdrücke wie
«Angriff» oder «Aufgeben» des Französischen. Diese zwei Wörter waren immer
wieder zu hören. Nur: Auch sie sind falsch gewählt. Der Thurgau und Nidwalden
geben nichts auf. «Wir wollen Französisch als Landessprache stärken». Res
Schmid, der Nidwaldner Regierungspräsident, überbrachte diese Mitteilung nach
Genf, und das in hervorragendem Französisch. Er nahm drei Stunden Reiseweg auf
sich, nur um zu sagen, zu wiederholen: «Wir lieben das Französische und wir
möchten, dass unsere Kinder es besser sprechen».
Liessen sich die Westschweizer Politiker damit beruhigen? Mitnichten. «Sie
werden mich nicht überzeugen», liess Mathias Reynard schon im Vorfeld
verlauten. Res Schmid versuchte denn auch gar nicht, ihn zu «überzeugen». Er
kam von Stans nach Genf, um jene ins Bild zu setzen, die es vielleicht noch
nicht vernommen hatten: Nidwalden will den Französischunterricht
stärken, nicht aufgeben. Weil diese Aussage aber der Komplott-These
und der These vom Angriff auf die Westschweiz zuwiderläuft, hörte ihm niemand
zu. Ein offener Nidwaldner, der nach Genf kam, um das Gespräch zu suchen, traf
auf verschlossene Romands. Eine verkehrte Welt.
«Ich bin nicht beruhigt»,
sekundiert Staatsrätin Elisabeth Baume-Schneider. Das lässt tief blicken:
Beruhigt will man sein, wenn man Angst hat. Oder wenn man geschwächt ist. Es
entspricht einer defensiven Position, es ist ein historischer Westschweizer
Reflex, ein Erbe der Vergangenheit – jener Zeit, in der die welsche
Minderheit vom grossen Deutschschweizer Bruder abhängig war. Aber diese Zeit
ist längst passé. Die Westschweiz hat sich zum wirtschaftlichen Motor des
Landes entwickelt. Der Genferseebogen treibt das Schweizer Wachstum an. Es wäre
an der Zeit, dass die Politiker das erkennen, damit endlich ein Schlussstrich
unter den Minderwertigkeitskomplex – und die emotionalen Reaktionen – gezogen
werden kann. Dann wäre der Weg frei für einen konstruktiven Dialog zwischen den
Sprachregionen.
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