15. August 2014

Zemp: Thurgau begeht Verfassungsbruch

Beat Zemp, Präsident LCH, propagiert weiterhin sein Modell mit zwei Stärkeklassen im Sprachenlernen der Primarschule gekoppelt mit Zusatzlektionen für Sprachschwache an der Oberstufe. Ausserdem findet er, der Kanton Thurgau begehe Verfassungsbruch.



Zemp: Bedingungen für Primarfremdsprachen sind nicht gegeben. Bild: Basler Zeitung

"Unterricht braucht dringend Verbesserungen", Basler Zeitung, 15.8. von Daniel Ballmer



BaZ: Herr Zemp, ist das der Anfang vom Ende? Bedeutet der Thurgauer Entscheid das Aus für die Harmonisierung der Schweizer Bildungslandschaft?
Beat W. Zemp: Es handelt sich erst um einen Auftrag des Parlaments an die Kantonsregierung. Aber es geht natürlich in diese Richtung. Und es widerspricht dem Entscheid der Erziehungsdirektorenkonferenz, dass Primarschüler eine Landessprache und Englisch lernen müssen. Der Flickenteppich unter den Kantonen soll vereinheitlicht werden, sonst ist die angestrebte ­Harmonisierung nicht zu erreichen. Die Erziehungsdirektoren müssen an ihrer Versammlung im Oktober sicher über die Bücher. Zumal sich die Situation laufend entwickelt. Auch auf Bundesebene zeigen die Parteien Tendenzen in verschiedene Richtungen.
Sie sprechen es an: Auch in anderen Kantonen gibt es Pläne, die zweite Fremdsprache aus der Primarschule zu verbannen. Könnten mit dem Thurgauer Entscheid nun alle Dämme brechen?
Die Frage der Fremdsprachen auf ­Primarstufe muss nochmals ernsthaft diskutiert werden. Der Schweizer Lehrerverband betont schon lange, dass die Bedingungen bisher nicht gegeben sind. Es braucht dringende Verbesserungen wie mehr Lektionen, angepasste Lehrmittel und einen Unterricht in Halbklassen. Man sollte sich hier verstärkt am Potenzial der Schüler orientieren. Viele sprachschwache Schüler sind damit überfordert. Diese brauchen spezielle Fördermassnahmen oder allenfalls auch eine zwischenzeitliche Dispensierung mit einem späteren Start der zweiten Fremdsprache. Deshalb plädieren wir für ein Zweisprachen-Angebot an der Primarschule, das von den Kindern je nach Leistungsvermögen genutzt wird. Sprachenschwache Schüler könnten dann in der Sekundarschule mit einer erhöhten Stundenzahl starten. Wichtig ist, was sie am Ende der obligato­rischen Schulzeit können.
Dann sind die Bedenken des Thurgauer Grossen Rats nachvollziehbar? Er kritisiert eben, die Kinder seien überfordert.
Das ist teilweise auch richtig. Aber ein generelles Lernverbot auch für leistungsstarke Schüler ist sicher nicht die richtige Lösung. Kinder, die dazu in der Lage sind, sollten bereits in der fünften Klasse eine zweite Fremdsprache lernen können. Ansonsten wäre die Entwicklung absehbar: Wer kann, würde seine Kinder auf privatem Weg eine zweite Fremdsprache lernen lassen. Das wäre ein Verstoss gegen die Chancengerechtigkeit.
Sie sehen das Problem aber nicht nur im Kanton Thurgau, sondern bemängeln den Fremdsprachenunterricht generell.
Stossend ist vor allem, dass er nicht in jedem Kanton einheitlich geregelt ist. Das beobachten wir schon nur innerhalb der Nordwestschweiz, wenn man von der Baselbieter Gemeinde Augst nach Kaiseraugst in den Aargau umzieht. Klar aber ist, dass zwei ­Lektionen schlicht nicht ausreichen, um eine wirklich nachhaltige Lösung zu erreichen.
Muss die Sprachenfrage allenfalls doch noch auf Bundesebene gelöst werden, um eine einheitliche Lösung erreichen zu können?
Die Ausgangslage ist klar: Es ist in der Bundesverfassung festgehalten, dass die Ziele der Bildungsstufen zu harmonisieren sind. Mit seinem Parlamentsentscheid würde der Kanton Thurgau diesen Verfassungsauftrag klar nicht erfüllen. Entweder schafft die Erziehungsdirektorenkonferenz ein gemeinsames Konzept, wie eine Harmonisierung doch noch zu erreichen ist. Ansonsten kommt der Bund gar nicht darum herum, einzugreifen, wenn sich die Kantone nicht einigen können. Denn der bestehende Flickenteppich würde nur noch grösser.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen