Zemp: Bedingungen für Primarfremdsprachen sind nicht gegeben. Bild: Basler Zeitung
"Unterricht braucht dringend Verbesserungen", Basler Zeitung, 15.8. von Daniel Ballmer
BaZ: Herr Zemp, ist das der
Anfang vom Ende? Bedeutet der Thurgauer Entscheid das Aus für die
Harmonisierung der Schweizer Bildungslandschaft?
Beat W. Zemp: Es handelt sich erst um
einen Auftrag des Parlaments an die Kantonsregierung. Aber es geht natürlich in
diese Richtung. Und es widerspricht dem Entscheid der
Erziehungsdirektorenkonferenz, dass Primarschüler eine Landessprache und
Englisch lernen müssen. Der Flickenteppich unter den Kantonen soll
vereinheitlicht werden, sonst ist die angestrebte Harmonisierung nicht zu
erreichen. Die Erziehungsdirektoren müssen an ihrer Versammlung im Oktober
sicher über die Bücher. Zumal sich die Situation laufend entwickelt. Auch auf
Bundesebene zeigen die Parteien Tendenzen in verschiedene Richtungen.
Sie sprechen es an: Auch in anderen Kantonen gibt es Pläne, die
zweite Fremdsprache aus der Primarschule zu verbannen. Könnten mit dem
Thurgauer Entscheid nun alle Dämme brechen?
Die
Frage der Fremdsprachen auf Primarstufe muss nochmals ernsthaft diskutiert
werden. Der Schweizer Lehrerverband betont schon lange, dass die Bedingungen
bisher nicht gegeben sind. Es braucht dringende Verbesserungen wie mehr
Lektionen, angepasste Lehrmittel und einen Unterricht in Halbklassen. Man
sollte sich hier verstärkt am Potenzial der Schüler orientieren. Viele
sprachschwache Schüler sind damit überfordert. Diese brauchen spezielle
Fördermassnahmen oder allenfalls auch eine zwischenzeitliche Dispensierung mit
einem späteren Start der zweiten Fremdsprache. Deshalb plädieren wir für ein
Zweisprachen-Angebot an der Primarschule, das von den Kindern je nach
Leistungsvermögen genutzt wird. Sprachenschwache Schüler könnten dann in der
Sekundarschule mit einer erhöhten Stundenzahl starten. Wichtig ist, was sie am
Ende der obligatorischen Schulzeit können.
Dann sind die Bedenken des Thurgauer Grossen Rats nachvollziehbar?
Er kritisiert eben, die Kinder seien überfordert.
Das
ist teilweise auch richtig. Aber ein generelles Lernverbot auch für
leistungsstarke Schüler ist sicher nicht die richtige Lösung. Kinder, die dazu
in der Lage sind, sollten bereits in der fünften Klasse eine zweite
Fremdsprache lernen können. Ansonsten wäre die Entwicklung absehbar: Wer kann,
würde seine Kinder auf privatem Weg eine zweite Fremdsprache lernen lassen. Das
wäre ein Verstoss gegen die Chancengerechtigkeit.
Sie sehen das Problem aber nicht nur im Kanton Thurgau, sondern
bemängeln den Fremdsprachenunterricht generell.
Stossend
ist vor allem, dass er nicht in jedem Kanton einheitlich geregelt ist. Das
beobachten wir schon nur innerhalb der Nordwestschweiz, wenn man von der
Baselbieter Gemeinde Augst nach Kaiseraugst in den Aargau umzieht. Klar aber
ist, dass zwei Lektionen schlicht nicht ausreichen, um eine wirklich
nachhaltige Lösung zu erreichen.
Muss die Sprachenfrage allenfalls doch noch auf Bundesebene gelöst
werden, um eine einheitliche Lösung erreichen zu können?
Die Ausgangslage ist
klar: Es ist in der Bundesverfassung festgehalten, dass die Ziele der
Bildungsstufen zu harmonisieren sind. Mit seinem Parlamentsentscheid würde der
Kanton Thurgau diesen Verfassungsauftrag klar nicht erfüllen. Entweder schafft
die Erziehungsdirektorenkonferenz ein gemeinsames Konzept, wie eine
Harmonisierung doch noch zu erreichen ist. Ansonsten kommt der Bund gar nicht
darum herum, einzugreifen, wenn sich die Kantone nicht einigen können. Denn der
bestehende Flickenteppich würde nur noch grösser.
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