«Wir beschliessen etwas,
stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, ob was passiert. Wenn
es dann kein grosses Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar
nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für
Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.»
Dieses berühmt-berüchtigte
Zitat des neuen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker signalisierte
schon 1999 seine Demokratieverachtung und den fehlenden Respekt vor den
Bürgerinnen und Bürgern. Im Jahr 2011 empfahl der Mustereuropäer zudem: «Wenn
es ernst wird, muss man lügen.»
Sorry, mich erinnert diese
Haltung an die Strategie um die Entwicklung und die politische Durchsetzung des
Lehrplans 21.
Alle wollen steuern, niemand rudern (Alain Pichard)
Schule der Zukunft: Demokratie im Sinkflug? Blog Südostschweiz, 6.8. von Fritz Tschudi
Man denke nur an die von
der Öffentlichkeit abgeschottete mehrjährige Entwicklung im Elfenbeinturm der
Verschwiegenheit. Ein Diskurs fand, wenn überhaupt, nur in Fachkreisen statt
und hatte keinen Einfluss auf das importierte (Fehl-)Konzept. Der öffentliche
Diskurs zur politischen Meinungsbildung blieb auch während der Konsultation
oberflächlich und bescheiden. Wenn der naive Glaube an die Heilsbotschaft den
Parlamentariern genügt, um das Produkt Lehrplan 21 durchzuwinken, befürchte ich
die baldige generelle Etablierung des «Juncker-Prinzips».
Konsequent wird die Abkehr
von der demokratischen Gesinnung und der Redlichkeit im Bildungswesen
praktiziert:
·
Entgegen dem
ursprünglichen Ziel, die Lehrpläne in den Deutschweizer Kantonen zu
harmonisieren, wurde die Gelegenheit dazu genutzt, eine ideelle Drehung zur
sogenannten Kompetenzorientierung einzuschmuggeln, welche nichts bringt, aber
endlos neue Probleme schaffen wird. (Die USA wenden sich nach Jahren
enttäuschender Erfahrungen davon ab und räumen Irrtümer ein.)
·
«Da werden
selbst öffentlich geäusserte gravierende Bedenken und Einwände zum Lehrplan 21
von Kantonen und Organisationen in der abschliessenden Beurteilung und
Bewertung mit Blick auf den zwingenden Erfolg des Ganzen hintangestellt und in
einem versöhnlichen Modus vivendi umgedeutet und eingebunden.» (Professor
Rudolf Künzli, Lehrplanforscher)
·
Es ist
fraglich, ob diesem «Jahrhundertwerk» der Name «Lehrplan» überhaupt zusteht.
Der Hauptzweck des LP21 ist die möglichst effiziente Steuerung von Schule und
Unterricht und nicht die Harmonisierung. Der Praktiker bezieht daraus weder
Unterrichtsnutzen, noch Klarheit in der Sache. Die Funktion des Praxislehrplans
fällt den künftigen kompetenzorientierten Lehrmitteln zu. Wohin dieses Konzept
führen kann, zeigt Deutschland in vernichtender Deutlichkeit.
·
Mit den vielen Unklarheiten
und Widersprüchlichkeiten, vermischt mit Glaubensbekenntnissen, bildet der
Lehrplan 21 einen idealen Nährboden für beliebigen modischen Unfug und
Indoktrination der Lehrer und Schüler.
·
Trotz der
massiven Eingriffe des Lehrplans 21 in die bewährte und erfolgreiche
Volksschule sind Volksentscheide nicht vorgesehen.
Der Didaktikprofessor
Jochen Krautz beurteilte in einem Interview mit der NZZ das Mantra der
Kompetenzorientierung klar negativ: Mit den Kompetenzen sinke das
Bildungsniveau – die Auseinandersetzung mit Fachinhalten werde zweitrangig –
das OECD-Konstrukt fördere dem Abbau lokaler und nationaler Traditionen und
klassischer Inhalte zugunsten der Standardisierung und Vergleichbarkeit
(Messbarkeit, Teaching to the Test). Und eine Kernaussage, welche hellhörig
macht:Für die Demokratie sei diese Entwicklung hochgefährlich, für die
Kultur verheerend!
Kein Gewinn also für den
Nachwuchs. Profitieren werden andere. Das System sichert sich selbst zuerst:
Die Bildungsbürokratien freuen sich auf den Stellenzuwachs und den nachhaltigen
Machtgewinn. Eine steigende Anzahl externer «Spezialisten» erlaben sich
unbeirrt am künftigen Kuchen in der Gewissheit ihrer Unentbehrlichkeit.
Die kompetenzorientierte
Schule verdankt ihre Ausrichtung der OECD als Lieferant der Ideologie, einigen
einflussreichen Bildungswissenschaftlern als theoretisch Steuernde,
Bildungsbürokraten als lokale Steuerungs-, Planungs- und
Durchsetzungsspezialisten sowie politischen Entscheidungsträgern als unentwegt
Hoffende.
Die Fressnäpfe aus den
Küchen der Lehrmittelverlage stehen rasch für die «Ruderer» bereit. Die neuen
Lehrmittel versetzen die Lehrer aber in die Statistenrolle. Es bleibt ihnen mit
dem Fernglas den Lernprozess der Kinder zu beobachten und am Schluss eine
Internetadresse an die Wandtafel zu schreiben, wo die Kinder ihre Kompetenzen
testen können. Für Kinder, die von zu Hause nicht viel mitkriegen, ist das
besonders fatal. Nicht nur diese sind häufig überfordert, sie sitzen in einem
realitätsfernen, teils missionarisch gecoachten Aktivitätscamp, welches die
Bezeichnung Unterricht kaum noch verdient. Chaotische Verhältnisse und
Desorientierung bei Schüler und Lehrer (mit Gehörschutz Pamir zur Befriedung
des Gehörs), zwingen zum machtvollen Eingreifen der Führenden. Gerade aus
diesem Grunde bliebe dem Lehrer, dem «Ruderer», faktisch wohl einzig der Weg
der eigenen Vernunft. Nur der Mut zum pädagogischen Ungehorsam mit einem
beharrlichen, selbstbestimmt praktizierten Unterricht könnte trotz und entgegen
dem verirrten Mach(t)werk Lehrplan 21 noch retten, was zu retten
ist.
Unbedingt
lesen: Alle wollen steuern, niemand rudern (Alain
Pichard)
Was, wenn die Neuerungen
die Erwartungen nicht erfüllen?
Diskussionslos arrogant ist
die bisherige Praxis, die Schuld am Versagen von Reformen ganz
selbstverständlich dem Unvermögen der Lehrer zuzuschreiben, unter rascher
Anordnung von Aktionen zur Selbstkasteiung. Dass die Schuldzuweisung niemals
verbal, sondern stets euphemistisch und salbungsvoll kaschiert in
Weiterbildungsaktionen einfliesst, zeugt von der tendenziellen Unredlichkeit
der Vorgesetzten. Hier ist der Hebel endlich anzusetzen. Wie werden die
Konstrukteure und die Verordnenden des Experiments Lehrplan 21 künftig zur
Rechenschaft gezogen, um ihren Teil der Verantwortung sichtbar mitzutragen?
«Schreibtischtätern» sollte
es erschwert werden, sich in ihren bestens eingeübten Elfenbeinturmmechanismen
durch Schuldzuweisungen nach unten, durch Diskursverweigerung und
Selbstabsolution in der sakrosankten Gilde der Fachkundigen zu verstecken, um
sich so vor jeglicher Verantwortung zu drücken.
Junckers EU und deren
Institutionen haben sich den Eingriff in die Schweizer Bildungslandschaft schon
lange gesichert: Die Bildungspolitik wird substanziell und bald bis in die
letzte Faser fremdbestimmt (Krautz, «Die sanfte Steuerung der Bildung»).
Die etablierten Methoden
der als Soft Governance bekannten Beeinflussung der Schweiz durch interessierte
internationale Organisationen wurde 2010 in einer Studie der Universität Bremen
untersucht. (T. Biber, «Soft Governance in Education»).
Die Ergebnisse dieser
Studie sind für einen Staat, welcher sich souverän und demokratisch wähnt,
teils erschreckend.
Sicher ist: Die künftige
Volksschule wird kaum noch jene «Lernkultur» anbieten dürfen, welche die
unerlässliche Verwurzelung unserer Kinder in der lokal geprägten,
(direkt)demokratischen Gesellschaft fördert. Wo Schweiz drauf steht, darf nicht
weiter Schweiz drin sein: Der kürzeste Weg zum Bildungs-Totalitarismus ist die
perfekte Steuerung unter fortschreitender Bevormundung der «Ruderer».
Wird die wichtigste
Gelingensbedingung «Vertrauen» durch repressive Steuerungsmassnahmen und
Kontrollen ersetzt, muss das System auf die propagierten hohen Erwartungen
vollends verzichten: Die Lehrer brennen aus oder trivialisieren sich und ihre
Arbeit.
Ausgerechnet der Souverän
als zentrale politische Instanz und Highlight unseres politischen
Selbstverständnisses wird schnöde ausgegrenzt, und das in einer Sache, die
wirklich jeden angeht. Es bleibt noch etwas Zeit für Parteien,
Lehrerverbände und Elternvereinigungen, die Bildungstechnokraten in die
Schranken zu weisen, den unwürdigen Spuk Junckerscher Prägung mittels
Volksinitiativen zu bekämpfen.
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