6. August 2014

"Wenn es ernst wird, muss man lügen"

«Wir beschliessen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, ob was passiert. Wenn es dann kein grosses Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.»
Dieses berühmt-berüchtigte Zitat des neuen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker signalisierte schon 1999 seine Demokratieverachtung und den fehlenden Respekt vor den Bürgerinnen und Bürgern. Im Jahr 2011 empfahl der Mustereuropäer zudem: «Wenn es ernst wird, muss man lügen.»
Sorry, mich erinnert diese Haltung an die Strategie um die Entwicklung und die politische Durchsetzung des Lehrplans 21.

Alle wollen steuern, niemand rudern (Alain Pichard)


Schule der Zukunft: Demokratie im Sinkflug? Blog Südostschweiz, 6.8. von Fritz Tschudi

Man denke nur an die von der Öffentlichkeit abgeschottete mehrjährige Entwicklung im Elfenbeinturm der Verschwiegenheit. Ein Diskurs fand, wenn überhaupt, nur in Fachkreisen statt und hatte keinen Einfluss auf das importierte (Fehl-)Konzept. Der öffentliche Diskurs zur politischen Meinungsbildung blieb auch während der Konsultation oberflächlich und bescheiden. Wenn der naive Glaube an die Heilsbotschaft den Parlamentariern genügt, um das Produkt Lehrplan 21 durchzuwinken, befürchte ich die baldige generelle Etablierung des «Juncker-Prinzips».
Konsequent wird die Abkehr von der demokratischen Gesinnung und der Redlichkeit im Bildungswesen praktiziert:
·         Entgegen dem ursprünglichen Ziel, die Lehrpläne in den Deutschweizer Kantonen zu harmonisieren, wurde die Gelegenheit dazu genutzt, eine ideelle Drehung zur sogenannten Kompetenzorientierung einzuschmuggeln, welche nichts bringt, aber endlos neue Probleme schaffen wird. (Die USA wenden sich nach Jahren enttäuschender Erfahrungen davon ab und räumen Irrtümer ein.)
·         «Da werden selbst öffentlich geäusserte gravierende Bedenken und Einwände zum Lehrplan 21 von Kantonen und Organisationen in der abschliessenden Beurteilung und Bewertung mit Blick auf den zwingenden Erfolg des Ganzen hintangestellt und in einem versöhnlichen Modus vivendi umgedeutet und eingebunden.» (Professor Rudolf Künzli, Lehrplanforscher)
·         Es ist fraglich, ob diesem «Jahrhundertwerk» der Name «Lehrplan» überhaupt zusteht. Der Hauptzweck des LP21 ist die möglichst effiziente Steuerung von Schule und Unterricht und nicht die Harmonisierung. Der Praktiker bezieht daraus weder Unterrichtsnutzen, noch Klarheit in der Sache. Die Funktion des Praxislehrplans fällt den künftigen kompetenzorientierten Lehrmitteln zu. Wohin dieses Konzept führen kann, zeigt Deutschland in vernichtender Deutlichkeit.
·         Mit den vielen Unklarheiten und Widersprüchlichkeiten, vermischt mit Glaubensbekenntnissen, bildet der Lehrplan 21 einen idealen Nährboden für beliebigen modischen Unfug und Indoktrination der Lehrer und Schüler.
·         Trotz der massiven Eingriffe des Lehrplans 21 in die bewährte und erfolgreiche Volksschule sind Volksentscheide nicht vorgesehen.
Der Didaktikprofessor Jochen Krautz beurteilte in einem Interview mit der NZZ das Mantra der Kompetenzorientierung klar negativ: Mit den Kompetenzen sinke das Bildungsniveau – die Auseinandersetzung mit Fachinhalten werde zweitrangig – das OECD-Konstrukt fördere dem Abbau lokaler und nationaler Traditionen und klassischer Inhalte zugunsten der Standardisierung und Vergleichbarkeit (Messbarkeit, Teaching to the Test). Und eine Kernaussage, welche hellhörig macht:Für die Demokratie sei diese Entwicklung hochgefährlich, für die Kultur verheerend!
Kein Gewinn also für den Nachwuchs. Profitieren werden andere. Das System sichert sich selbst zuerst: Die Bildungsbürokratien freuen sich auf den Stellenzuwachs und den nachhaltigen Machtgewinn. Eine steigende Anzahl externer «Spezialisten» erlaben sich unbeirrt am künftigen Kuchen in der Gewissheit ihrer Unentbehrlichkeit.
Die kompetenzorientierte Schule verdankt ihre Ausrichtung der OECD als Lieferant der Ideologie, einigen einflussreichen Bildungswissenschaftlern als theoretisch Steuernde, Bildungsbürokraten als lokale Steuerungs-, Planungs- und Durchsetzungsspezialisten sowie politischen Entscheidungsträgern als unentwegt Hoffende.
Die Fressnäpfe aus den Küchen der Lehrmittelverlage stehen rasch für die «Ruderer» bereit. Die neuen Lehrmittel versetzen die Lehrer aber in die Statistenrolle. Es bleibt ihnen mit dem Fernglas den Lernprozess der Kinder zu beobachten und am Schluss eine Internetadresse an die Wandtafel zu schreiben, wo die Kinder ihre Kompetenzen testen können. Für Kinder, die von zu Hause nicht viel mitkriegen, ist das besonders fatal. Nicht nur diese sind häufig überfordert, sie sitzen in einem realitätsfernen, teils missionarisch gecoachten Aktivitätscamp, welches die Bezeichnung Unterricht kaum noch verdient. Chaotische Verhältnisse und Desorientierung bei Schüler und Lehrer (mit Gehörschutz Pamir zur Befriedung des Gehörs), zwingen zum machtvollen Eingreifen der Führenden. Gerade aus diesem Grunde bliebe dem Lehrer, dem «Ruderer», faktisch wohl einzig der Weg der eigenen Vernunft. Nur der Mut zum pädagogischen Ungehorsam mit einem beharrlichen, selbstbestimmt praktizierten Unterricht könnte trotz und entgegen dem verirrten Mach(t)werk Lehrplan 21 noch retten, was zu retten ist.     
Unbedingt lesen: Alle wollen steuern, niemand rudern (Alain Pichard)

Was, wenn die Neuerungen die Erwartungen nicht erfüllen?
Diskussionslos arrogant ist die bisherige Praxis, die Schuld am Versagen von Reformen ganz selbstverständlich dem Unvermögen der Lehrer zuzuschreiben, unter rascher Anordnung von Aktionen zur Selbstkasteiung. Dass die Schuldzuweisung niemals verbal, sondern stets euphemistisch und salbungsvoll kaschiert in Weiterbildungsaktionen einfliesst, zeugt von der tendenziellen Unredlichkeit der Vorgesetzten. Hier ist der Hebel endlich anzusetzen. Wie werden die Konstrukteure und die Verordnenden des Experiments Lehrplan 21 künftig zur Rechenschaft gezogen, um ihren Teil der Verantwortung sichtbar mitzutragen?
«Schreibtischtätern» sollte es erschwert werden, sich in ihren bestens eingeübten Elfenbeinturmmechanismen durch Schuldzuweisungen nach unten, durch Diskursverweigerung und Selbstabsolution in der sakrosankten Gilde der Fachkundigen zu verstecken, um sich so vor jeglicher Verantwortung zu drücken.
Junckers EU und deren Institutionen haben sich den Eingriff in die Schweizer Bildungslandschaft schon lange gesichert: Die Bildungspolitik wird substanziell und bald bis in die letzte Faser fremdbestimmt (Krautz, «Die sanfte Steuerung der Bildung»).
Die etablierten Methoden der als Soft Governance bekannten Beeinflussung der Schweiz durch interessierte internationale Organisationen wurde 2010 in einer Studie der Universität Bremen untersucht. (T. Biber, «Soft Governance in Education»).
Die Ergebnisse dieser Studie sind für einen Staat, welcher sich souverän und demokratisch wähnt, teils erschreckend.
Sicher ist: Die künftige Volksschule wird kaum noch jene «Lernkultur» anbieten dürfen, welche die unerlässliche Verwurzelung unserer Kinder in der lokal geprägten, (direkt)demokratischen Gesellschaft fördert. Wo Schweiz drauf steht, darf nicht weiter Schweiz drin sein: Der kürzeste Weg zum Bildungs-Totalitarismus ist die perfekte Steuerung unter fortschreitender Bevormundung der «Ruderer».
Wird die wichtigste Gelingensbedingung «Vertrauen» durch repressive Steuerungsmassnahmen und Kontrollen ersetzt, muss das System auf die propagierten hohen Erwartungen vollends verzichten: Die Lehrer brennen aus oder trivialisieren sich und ihre Arbeit.

Ausgerechnet der Souverän als zentrale politische Instanz und Highlight unseres politischen Selbstverständnisses wird schnöde ausgegrenzt, und das in einer Sache, die wirklich jeden angeht. Es bleibt noch etwas Zeit für  Parteien, Lehrerverbände und Elternvereinigungen, die Bildungstechnokraten in die Schranken zu weisen, den unwürdigen Spuk Junckerscher Prägung mittels Volksinitiativen zu bekämpfen.


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