Der Thurgauer
Entscheid, Französisch erst ab der 7. Klasse zu unterrichten, ist die
konsequente Zurückweisung eines gescheiterten Unterrichtkonzepts – kein Votum
gegen die Landessprache Französisch. Und sicher steht dahinter auch keine
Verschwörung konservativer Kreise, um eine monokulturelle Schweiz zu erzwingen.
Die dahingehenden Vermutungen von SP-Nationalrat Roger Nordmann sind absurd.
Hanspeter Amstutz war Primar- und Sekundarlehrer sowie Zürcher Kantons- und Bildungsrat der EVP, Bild: Tages Anzeiger
Dieser Unterricht überfordert viele, Tages Anzeiger, 20.8. von Hanspeter Amstutz
Fakt ist: Der
Thurgauer Grossrat trägt den pädagogischen Fakten endlich Rechnung. Das frühe
Erlernen zweier Fremdsprachen hat einen riesigen Aufwand verursacht und wenig
gebracht. Zwar gibt es begabte Kinder, welche die hohen Erwartungen an die neue
Vielsprachigkeit erfüllen. Einige würden wahrscheinlich auch noch Chinesisch
lernen, wenn es auf dem Stundenplan stünde.
Diese Sprachtalente
werden gern zitiert, wenn es um das Vorweisen von Resultaten geht. Aber mehr
als die Hälfte der Primarschülerinnen und -schüler leidet unter dem
Anforderungsdruck und schafft es kaum, in beiden Sprachen auf einen grünen
Zweig zu kommen. Das verunsichert viele. Eine weitere Folge: Weil so viel Mühe
und Zeit in den Sprachunterricht investiert werden, rücken andere wichtige Fächer
in den Hintergrund.
Fragwürdige
Doktrin
Mit
pädagogisch längst überholten Theorien versuchen dieBildungspolitiker das Unterrichtskonzept mit
Frühfranzösisch und -englisch zu retten. Neue Studien und eindeutige
Rückmeldungen aus der Schulpraxis werden negiert. Eine Umfrage unter
Ostschweizer Mittelstufenlehrern zum Beispiel lässt wenig Hoffnung auf bessere
Rahmenbedingungen. Auf einen Halbklassenunterricht wie in Intensiv-Sprachkursen
und auf sensationell bessere Lehrmittel warten wir wohl vergebens. Die Chance
wurde verpasst, ein flexibles System zu erproben, das die Wahl zwischen zweiter
Fremdsprache und einem andern Fach wie Werken lässt. An der fragwürdigen Doktrin,
dass das frühe Erlernen einer zweiten Fremdsprache für alle Schüler
lebenswichtig sei, wird eisern festgehalten.
Welche Ziele sind im
Sprachunterricht realistisch? Die Erwartungen bisher sind überrissen. Zwei
Fremdsprachen werden in der Regel nur bei hoher Lektionenzahl erfolgreich
erlernt. Das wäre nur auf Kosten anderer Fächer möglich und
entwicklungspsychologisch betrachtet nicht zu begrüssen: In der Mittelstufe
sind die Kinder für anschauliche Themen aus dem Realienbereich weit offen. Wenn
man sie da abholt, lernen die meisten mehr als bei einer Überfülle
fremdsprachlicher Anforderungen.
Die Frage sei erlaubt,
ob all die Millionen richtig eingesetzt sind, die heute in fremdsprachlichen
Stützunterricht, eine wahre Sisyphusarbeit, fliessen. Vielen Kindern brächte es
mehr, in einem naturkundlichen oder technischen Fach mit entsprechenden
Aufgabenstellungen richtig gefördert zu werden, als die Namen von Fröschen und
Kaulquappen auf Englisch lernen zu müssen.
Die
Reuss als Trennungslinie
Zurzeit ist die
Sprachendiskussion auf die Frage der ersten Fremdsprache an der Primarschule
fokussiert. Zahlreiche Umfrageergebnisse inner- und ausserhalb der Lehrerschaft
zeigen: Östlich der Reuss wird Englisch gegenüber Französisch bevorzugt,
westlich des Flusses sieht es umgekehrt aus. Berner Lehrer werfen dem Kanton
Zürich durchaus zu Recht vor, den gegenwärtigen Konflikt mit seinem Vorpreschen
in Sachen Englisch provoziert zu haben. Die Situation ist vertrackt: Zürich und
einige Ostschweizer Kantone haben so viel in die Englisch-Ausbildung ihrer
Lehrkräfte investiert, dass ein Zurück kaum mehr infrage kommt.
Ein Umdenken ist in
der Sprachenfrage nötig. Es braucht den Mut, die zweite Fremdsprache aus der
Primarschule zu kippen und für die erste Fremdsprache mehr Lektionen
einzusetzen. Ist es wirklich so schlimm, wenn Berner und Zürcher nicht mit der
gleichen Fremdsprache beginnen, sofern gleichwertige Ziele für Englisch und
Französisch am Ende der Schulzeit gelten? Es braucht eine praxisbezogene
Lösung. Nur so kann verhindert werden, dass die Schüler zum Spielball eines
hochstilisierten Kulturkampfs werden.
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