31. August 2014

Parlament will bei Fremdsprachen mitreden

Vielen Nationalräten gehen die Voten einzelner Kantone gegen das Frühfranzösisch zu weit. SP- und CVP-Politiker möchten nun das Sprachengesetz ändern.




Die Politik möchte die Kompetenzen der Kantone beschneiden, Bild: Wikipedia

Das Parlament will beim Fremdsprachenstreit mitreden, Tages Anzeiger, 30.8. von Anja Burri

Die Volksschule ist traditionell Sache der Kantone. Bei Bundesrat und Parlament sind die Hemmungen bisher gross gewesen, diesen in Bildungsfragen drein­zureden. Doch mit dem Streit über den Fremdsprachenunterricht ändert sich dies. In den vergangenen drei Wochen haben im Thurgau und in Nidwalden das Parlament respektive die Regierung verkündet, sie wollten das Frühfranzösisch aus derPrimarschule streichen. Bundesrat Alain Berset und auch die eidge­nössischen Parlamentarier sorgen sich um den nationalen Zusammenhalt. Die Bildungskommission des Nationalrats (WBK) hat sich deshalb gestern mit dem Fremdsprachenunterricht beschäftigt.

Bildungspolitiker der SP und der CVP möchten den Fremdsprachenstreit mit einer Gesetzesänderung lösen. Das Sprachengesetz soll die Kantone künftig dazu verpflichten, dass der Unterricht in einer zweiten Landessprache spätestens zwei Jahre vor dem Ende der Primarschule beginnen muss. Es wäre also nicht mehr erlaubt, das Frühfranzösisch aus der Primarschule zu streichen. Thurgau müsste zurückkrebsen. Die hängigen Volksinitiativen in Nidwalden und Graubünden oder die Bemühungen in Luzern und anderen Kantonen würden eingeschränkt: Wenn es nur noch eine Fremdsprache in der Primarschule gibt, darf das nicht Englisch sein. Für gewisse Kantone an Sprachgrenzen wie Uri sollten weiterhin Ausnahmen möglich sein, sagt SP-Nationalrat Jean-François Steiert, Miturheber des Vorschlags.

Linke und CVP dafür

Weil der nationale Zusammenhalt auf dem Spiel stehe, sei das Eingreifen des Parlaments gerechtfertigt. «Damit die Kinder für die anderen Sprachen und Kulturen Verständnis entwickeln können, müssen sie früh damit anfangen», sagt er. In seinen Augen handeln Kantone, die das Lernen einer zweiten Landessprache hinausschieben, verantwortungslos, «weil sie die Zusammenarbeit der grossen Mehrheit der Kantone infrage stellen und den Familien mit Kindern das Wechseln von einem Kanton zum andern unnötig erschweren». Weiter dränge auch der Bildungsartikel in der Verfassung, den das Stimmvolk 2006 mit grossem Mehr angenommen habe, zu einem Eingreifen. Auch für CVP-Nationalrätin Kathy Riklin ist es nach den neusten Entwicklungen im Thurgau und in Nidwalden Zeit, etwas zu tun. Sie hat den Vorschlag zur Gesetzesänderung zusammen mit Steiert ausgearbeitet. Einigt sich die WBK darauf, soll daraus eine Kommissionsinitiative entstehen. Wie Steiert rechnet auch ­Riklin mit der Unterstützung ihrer Fraktionskollegen. Die CVP sei in allen Landesteilen stark verankert. «Es besteht ein starkes Bewusstsein, wie wichtig die anderen Landessprachen für unser Zusammenleben sind», sagt sie. Ja sagen zu diesem Vorschlag dürften auch die Grünen. Gegen ein Eingreifen via Bundes­gesetz sind die SVP und die grosse Mehrheit der FDP. Ein Entscheid fällt voraussichtlich im Oktober. Zuerst wollen die Kommissionsmitglieder die wesentlichen Betroffenen – zum Beispiel den Präsidenten der Erziehungsdirektorenkonferenz, Christoph Eymann – anhören. Dieser möchte jedoch die Fremdsprachenfrage unter den Kantonen ­ausmachen. Alles andere sei ein Armutszeugnis, sagt er.

Bund soll auch zahlen

Auch die Grünen wollen ihren Beitrag zur Lösung des Fremdsprachenstreits leisten. «Es geht um den nationalen Zusammenhalt. Das soll uns etwas wert sein», sagt Nationalrätin Aline Trede. Ihr schwebt eine Art Fonds vor, mit dem der Bund den Frühfranzösisch- oder Frühitalienischunterricht in den Kantonen unterstützen könnte. Vielerorts scheitere der Fremdsprachenunterricht in der Primarschule am Spardruck der Kantone, sagt Trede. Da müsse der Bund ansetzen: Mit 50 bis 100 Millionen Franken pro Jahr könnten die Kantone den Fremdsprachenunterricht in Halb­klassen, zusätzliche Lehrkräfte oder Austauschprojekte finanzieren. Auch über diesen Vorschlag befindet die WBK voraussichtlich im Oktober.

Bereits einig ist sich die Kommission, dass sie Sprachaufenthalte in den anderen Landesteilen fördern möchte. Sie verabschiedete gestern einstimmig ein Postulat, das den Bundesrat beauftragt, zusammen mit den Kantonen ein Konzept für einen systematischen Sprachaustausch an der Volksschule und auf der Sekundarstufe II innerhalb der Schweiz auszuarbeiten. Auch soll der Bundesrat aufzeigen, wie das Projekt finanziert werden könnte.

Austausch für alle

Der Austausch solle nicht nur unter den Schülern stattfinden, sondern auch unter den Lehrkräften, heisst es im Antrag für das Kommissionspostulat, der dem TA vorliegt. Somit kämen die Klassen ­aller Landesteile dazu, zeitweise von ­einer Lehrperson der jeweils anderen Muttersprache unterrichtet zu werden. Weiter schlagen die Urheber aus den Reihen von SP und FDP vor, dass Klassen bereits früh Partnerklassen in anderen Landesteilen haben sollten. Durch Mailkontakte oder gegenseitige Besuche auf Schulreisen oder in Klassenlagern sei es möglich, diese Beziehungen zu pflegen. Anders als die Gesetzesänderungen dürfte das Postulat im Parlament kaum bestritten sein. Auch die Vertreter der SVP, die sich gegen ein Eingreifen des Bundes in der Fremdsprachenfrage wehrt, stimmten in der WBK zu.

Obwohl es die Möglichkeit gibt, führen zurzeit nur wenige Schulen in der Schweiz Austauschprojekte durch. Gemäss den Zahlen der ch Stiftung profitierten im Schuljahr 2012/13 rund 580 Klassen oder 11 500 Erst- bis Neuntklässler davon.

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen