Nochmals: Niemand bestreitet ernsthaft, dass frühes schulisches Sprachenlernen ein Flop ist. Entscheidend ist nicht, wann man beginnt, sondern was man am Ende der Schulzeit kann.
Und den kurzsichtigen Verantwortungsträgern in Sachen Bildung sei gesagt, dass unsere Jugend dem Staat kein Sprachenlernen aus Staatsschutzgründen schuldig ist. Der Staat hat im Gegenteil dafür zu sorgen, dass die Kinder, ihre Eltern und Lehrkräfte mit Frühfremdsprachen nicht länger für dumm verkauft werden. (uk)
Elisabeth Baume-Schneider befürchtet einen Domino-Effekt in der Deutschschweiz, Bild: Elisabeth Baume-Schneider
Zankapfel Frühfranzösisch - Kanton Thurgau prescht vor, Rendez-vous SRF, 14.8. von Gaudenz Wacker
Thurgauer
Kinder sollen bis zur sechsten Klasse nur Englisch als Fremdsprache lernen,
erst danach Französisch. Denn viele Primarschülerinnen und -schüler seien mit
zwei Fremdsprachen überfordert und interessierten sich ohnehin noch für anderes
als für Französisch-Vokabeln, hiess es gestern im Thurgauer Grossen Rat. «Sie
haben auch Freude an Fragestellungen wie: Warum erlöscht eine Kerze in einem
umgestülpten Glas? Warum ist der Himmel blau?», argumentierte etwa Kantonsrätin
Katharina Winiger von den Grünen.
Statt
Französisch sollten Primarschulkinder lieber zuerst einmal die eigene Sprache
richtig lernen, erklärt die heutige Nationalrätin Verena Herzog von der SVP,
die den Vorstoss damals noch als Thurgauer Kantonsrätin lanciert hat. «Es ist
Fakt, dass Schulen und Lehrbetriebe seit der Einführung des Frühfranzösisch
mangelnde Deutsch- und Mathematikkenntnisse beklagen.»
Das sei daher
kein Votum gegen Französisch, sondern für andere Fächer. Ganz anders wird der
Thurgauer Entscheid in der Westschweiz verstanden. Die Bildungsdirektorin des
Kantons Jura, Elisabeth Baume-Schneider, zeigt sich entrüstet. Der Thurgauer
Entscheid gegen Frühfranzösisch sei schädlich. In der Westschweiz werde er so
verstanden, als fänden es die Deutschschweizer nicht so wichtig, mit ihren
Nachbarn, den Romands, zu reden.
Ganz ähnlich
klingt es beim Erziehungsdirektor des grössten zweisprachigen Kantons, beim
Berner Regierungsrat Bernhard Pulver: Die Schweiz zeichne aus, dass Romands und
Deutschschweizerinnen nicht Englisch miteinander sprächen. «In Belgien ist das
anders, da verstehen sich die Sprachgruppen nicht. In der Schweiz ist das
gerade einer der grossen Trümpfe. Nun entwickelt sich das in eine andere
Richtung.»
Bedauern
äussert auch der Präsident der Erziehungsdirektorenkonferenz Christoph Eymann.
Zwar respektiere er die Autonomie jedes Kantons. Aber die Abschaffung des
Frühfranzösisch gefährde den Zusammenhalt des Landes. «Es geht auch um den
Einblick in die Kultur eines wichtigen Teils unseres Landes. Da geht sehr viel
kaputt, wenn unbedacht und ohne wissenschaftliche Erkenntnisse solche Entscheide
gefasst werden.»
Die
Initiantin des Thurgauer Vorstosses, SVP-Nationalrätin Verena Herzog, mag das
Argument vom Zusammenhalt des Landes nicht mehr hören. Sie kontert mit einer
rhetorischen Frage: «Haben Sie das Gefühl, dass der Röstigraben durch das
Frühfranzösisch nur einen Millimeter kleiner wurde?»
In der Westschweiz hingegen befürchtet Bildungsdirektorin Elisabeth
Baume-Schneider bereits einen Dominoeffekt. Andere Kantone könnten nun
nachziehen. Tatsächlich wurden und werden in der Zentral- und Ostschweiz
bereits Unterschriften gesammelt – mit demselben Ziel: der Abschaffung des
Frühfranzösisch. Das Thema hat für die Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) hohe
Priorität. Sie wird es im Oktober an einer zweitägigen Sitzung behandeln.
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