Bewertungen wie in Grossunternehmen, Bild: Georgios Kefalas
Kritik an Bewertungswahn in Kindergärten, 20 Minuten, 10.8.
Wie
werden Aufträge umgesetzt und welchen Entwicklungsstand hat das Kind? Solche
Fragen werden in Schweizer Kindergärten zunehmend mit standardisierten
Fragebögen beantwortet. Damit sollen sich Lehrpersonen auf Elterngespräche
vorbereiten. Auch in den Kantonen Aargau, Basel-Stadt und Bern wurden jetzt
solche Bewertungssysteme eingeführt. Im Kanton St.Gallen gibt es ihn bereits,
insgesamt 76 Punkte sind auf dem Beurteilungsbogen aufgeführt. Sie sollen
Aufschluss geben über Selbst-, Sozial- und Sachkompetenz, schreibt die«Sonntagszeitung».
Damit wird
für Kinder eine Norm geschaffen. «Früher war die gesellschaftliche Erwartung
weniger hoch», sagt Pierre Felder, Leiter Volksschulen in Basel-Stadt, zur
Zeitung. Mittlerweile wollten Eltern genauere Angaben zur Entwicklung ihrer
Sprösslinge. «Das Verhältnis zu den Kindern hat sich gewandelt. Die
Gesellschaft erwartet, dass Kinder optimal auf ihre Schullaufbahn und somit auf
die Arbeitswelt vorbereitet werden, und das fängt schon im Kindergarten an.»
Fragebögen
fördern Therapiewahn
Die
standardisierte Bewertung, die man eher von Personalbeurteilungen in Firmen
kennt, ruft allerdings auch Kritiker auf den Plan. Brigitte Fleuti, Präsidentin
des Zürcher Kindergarten-Verbands, befürchtet, dass Lehrpersonen so weniger auf
den gesunden Menschenverstand hörten und sich stattdessen zunehmend von einem
Formular leiten liessen. Ausserdem könnten sowohl Kinder als auch Eltern mit
der Hervorhebung von Defiziten nicht umgehen. «Wirft man den Eltern an den
Kopf, was ihr Kind nicht kann, kann das kontraproduktiv sein.»
Auch
Hans-Ulrich Grunder, Professor am Forschungszentrum für Pädagogik der
Universität Basel und an der Fachhochschule Nordwestschweiz, kritisiert den
Trend zur standardisierten Bewertung. Die Kinder würden schon früh «mit einem
pädagogisch fragwürdigen Messzwang konfrontiert», sagt er zur Zeitung. Dass die
Methode ihr Ziel verfehlt, glaubt auch Margrit Stamm, Professorin für
Pädagogische Psychologie und Erziehungswissenschaften an der Universität
Freiburg. «Damit züchten wir Kinder heran, die schon im Kindergarten erfahren,
dass sie in einem Bereich nicht genügen.» Damit werde der wachsende
Therapiewahn zusätzlich gefördert.
In
Basel-Stadt will man jetzt erstmals abwarten. Die Testbögen werden ab diesem
Schuljahr während zwei Jahren eingesetzt, danach will man eine Bilanz ziehen.
Ob die Tests tatsächlich Auswirkungen auf die Entwicklung eines Kindes hat, ist
derzeit noch unklar. Bekannt ist hingegen, dass so mancher Sprössling bereits
im Kindergarten überfordert ist. Schuld daran seien Tussi-Mütter und desinteressierte
Eltern. Um dem
besorgniserregenden Trend entgegen zu wirken, gibt es mittlerweile Vorkurse für den Chindsgi.
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