27. August 2014

Aebischer zum Entscheid von Nidwalden

Der Berner SP-Nationalrat und Präsident der Bildungskommission Matthias Aebischer äussert sich zum Entscheid der Nidwalder Regierung, das Französische an die Oberstufe zu verlegen. Seine Argumentation gründet auf einer fragwürdigen Auslegung des Bildungsartikels. Ausserdem geht Aebischer nicht darauf ein, dass die Nidwalder de facto eine massive Aufwertung des Französischen beschlossen haben. 


Nidwalden löst den Thurgau als neues Ziel von Häme aus der Westschweiz ab, Bild: swisscommunity.org

Zweite Landessprache in der Primarschule ein Muss, NZZ, 27.8. von Matthias Aebischer


Die Volksschule ist Sache der Kantone. Und es ziemt sich nicht, sich als Bundespolitiker in kantonale Angelegenheiten einzumischen. Stellt sich die Frage, weshalb sich die nationalrätliche Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur an ihrer Sitzung in einer Woche nun trotzdem mit der Volksschule beschäftigt. Die Traktandierung basiert auf einem Volksentscheid vom 21. Mai 2006. Damals stimmten 85,6 Prozent der Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger für den sogenannten Bildungsartikel. Seither steht in der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, dass die Kantone ihre verschiedenen Schulsysteme im Bereich des Schuleintrittsalters, der Dauer und der Ziele der Bildungsstufen und von deren Übergängen harmonisieren müssen. Sollten die Kantone diese Harmonisierung nicht zustande bringen, so «erlässt der Bund die notwendigen Vorschriften». So steht es in Artikel 62, Absatz 4.
Die Romands haben ihre Aufgaben bereits gemacht. Seit drei Jahren wird in allen Schulen der französischsprachigen Kantone nach dem «plan d'études romand» unterrichtet. Alle Schülerinnen und Schüler lernen ab der dritten Klasse die deutsche Sprache. Die Harmonisierung der deutsch- und mehrsprachigen Kantone läuft über den Lehrplan 21. Nach der Vernehmlassung wird dieser zurzeit überarbeitet und voraussichtlich Ende Jahr von den Deutschschweizer Erziehungsdirektorinnen und -direktoren freigegeben.
Die Mitglieder der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren sind sich einig. In der Primarschule lernen alle Deutschschweizer Kinder zwei Fremdsprachen, davon eine Landessprache. Die erste Fremdsprache in der dritten, die zweite Fremdsprache in der fünften Klasse. Der Entscheid, ob zuerst Französisch oder Italienisch und dann Englisch oder umgekehrt, obliegt jedem einzelnen Kanton.
So weit, so gut, dürfte man meinen. Nach einem jahrelangen Hin und Her wird die Harmonisierung gerade auch im Bereich des Fremdsprachenunterrichts endlich realisiert. Schön wär's. Denn just in der finalen Phase der Erarbeitung des Deutschschweizer Lehrplans 21 werden diese Bestrebungen torpediert. Am weitesten gehen der Grosse Rat des Kantons Thurgau und nun auch der Kanton Nidwalden. Sie entschieden, Französisch im Thurgau und in Nidwalden definitiv aus dem Stundenplan der Primarschule zu streichen. Die Schülerinnen und Schüler in diesen beiden Kantonen sollen in der Primarschule nur noch Englisch lernen.
Diese Entscheide lösen nicht nur in der Romandie Kopfschütteln aus. In einer Schweiz, in der seit 166 Jahren offiziell vier Sprachen gesprochen werden und in der sich mehrere Kulturen konfliktlos nebeneinander entfalten und gegenseitig bereichern, müssen die Wertschätzung und auch das Interesse den anderen Kultur- und Sprachregionen gegenüber gepflegt werden. Dieser Grundsatz wird mit diesen Entscheiden marginalisiert. Kommt hinzu, dass die Absetzung des Französischunterrichts an der Primarschule auch die Deutschschweizer Erziehungsdirektorinnen und -direktoren desavouiert. So unter anderen auch die Thurgauer Erziehungsdirektorin Monika Knill (svp.).
Als Bundespolitiker ist mir klar: Es ist Zeit zu handeln. Der Artikel 62 der Bundesverfassung legitimiert ein Eingreifen. Am ehesten kann das Vorhaben des Kantons Thurgau mit einer Modifizierung im Sprachengesetz gestoppt werden. Sollten die Kantone nicht selbst zu einer Einigung kommen, dann ist eine solche Gesetzesanpassung unabdingbar. Das wissen auch die Deutschschweizer Erziehungsdirektorinnen und -direktoren. Mir persönlich wäre es lieber, die Kantone könnten die in der Verfassung vorgeschriebene Harmonisierung der Schule im Alleingang erreichen. Denn die Volksschule ist Sache der Kantone.


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