Nidwalden löst den Thurgau als neues Ziel von Häme aus der Westschweiz ab, Bild: swisscommunity.org
Zweite Landessprache in der Primarschule ein Muss, NZZ, 27.8. von Matthias Aebischer
Die
Volksschule ist Sache der Kantone. Und es ziemt sich nicht, sich als
Bundespolitiker in kantonale Angelegenheiten einzumischen. Stellt sich die
Frage, weshalb sich die nationalrätliche Kommission für Wissenschaft, Bildung
und Kultur an ihrer Sitzung in einer Woche nun trotzdem mit der Volksschule
beschäftigt. Die Traktandierung basiert auf einem Volksentscheid vom 21. Mai
2006. Damals stimmten 85,6 Prozent der Schweizer Stimmbürgerinnen und
Stimmbürger für den sogenannten Bildungsartikel. Seither steht in der
Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, dass die Kantone ihre
verschiedenen Schulsysteme im Bereich des Schuleintrittsalters, der Dauer und
der Ziele der Bildungsstufen und von deren Übergängen harmonisieren müssen.
Sollten die Kantone diese Harmonisierung nicht zustande bringen, so «erlässt
der Bund die notwendigen Vorschriften». So steht es in Artikel 62, Absatz 4.
Die
Romands haben ihre Aufgaben bereits gemacht. Seit drei Jahren wird in allen
Schulen der französischsprachigen Kantone nach dem «plan d'études romand»
unterrichtet. Alle Schülerinnen und Schüler lernen ab der dritten Klasse die
deutsche Sprache. Die Harmonisierung der deutsch- und mehrsprachigen Kantone
läuft über den Lehrplan 21. Nach der Vernehmlassung wird dieser zurzeit
überarbeitet und voraussichtlich Ende Jahr von den Deutschschweizer
Erziehungsdirektorinnen und -direktoren freigegeben.
Die
Mitglieder der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen
und -direktoren sind sich einig. In der Primarschule lernen alle
Deutschschweizer Kinder zwei Fremdsprachen, davon eine Landessprache. Die erste
Fremdsprache in der dritten, die zweite Fremdsprache in der fünften Klasse. Der
Entscheid, ob zuerst Französisch oder Italienisch und dann Englisch oder umgekehrt,
obliegt jedem einzelnen Kanton.
So
weit, so gut, dürfte man meinen. Nach einem jahrelangen Hin und Her wird die
Harmonisierung gerade auch im Bereich des Fremdsprachenunterrichts endlich
realisiert. Schön wär's. Denn just in der finalen Phase der Erarbeitung des
Deutschschweizer Lehrplans 21 werden diese Bestrebungen torpediert. Am
weitesten gehen der Grosse Rat des Kantons Thurgau und nun auch der Kanton
Nidwalden. Sie entschieden, Französisch im Thurgau und in Nidwalden definitiv
aus dem Stundenplan der Primarschule zu streichen. Die Schülerinnen und Schüler
in diesen beiden Kantonen sollen in der Primarschule nur noch Englisch lernen.
Diese
Entscheide lösen nicht nur in der Romandie Kopfschütteln aus. In einer Schweiz,
in der seit 166 Jahren offiziell vier Sprachen gesprochen werden und in der
sich mehrere Kulturen konfliktlos nebeneinander entfalten und gegenseitig
bereichern, müssen die Wertschätzung und auch das Interesse den anderen Kultur-
und Sprachregionen gegenüber gepflegt werden. Dieser Grundsatz wird mit diesen
Entscheiden marginalisiert. Kommt hinzu, dass die Absetzung des
Französischunterrichts an der Primarschule auch die Deutschschweizer
Erziehungsdirektorinnen und -direktoren desavouiert. So unter anderen auch die
Thurgauer Erziehungsdirektorin Monika Knill (svp.).
Als
Bundespolitiker ist mir klar: Es ist Zeit zu handeln. Der Artikel 62 der
Bundesverfassung legitimiert ein Eingreifen. Am ehesten kann das Vorhaben des
Kantons Thurgau mit einer Modifizierung im Sprachengesetz gestoppt werden.
Sollten die Kantone nicht selbst zu einer Einigung kommen, dann ist eine solche
Gesetzesanpassung unabdingbar. Das wissen auch die Deutschschweizer
Erziehungsdirektorinnen und -direktoren. Mir persönlich wäre es lieber, die
Kantone könnten die in der Verfassung vorgeschriebene Harmonisierung der Schule
im Alleingang erreichen. Denn die Volksschule ist Sache der Kantone.
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