13. August 2014

Aargauer Lehrerverband steht hinter Lehrplan 21

Die neue Präsidentin des alv, Elisabeth Abbassi, fordert mehr Geld zur Umsetzung des Lehrplans 21. Dieser sei zwar noch überladen und müsse redimensioniert werden. Die Volksinitiative gegen den LP21 werde der alv nicht unterstützen, denn sie stamme "aus einer sehr konservativen, zusätzlich noch fundamentalistisch-religiös motivierten Ecke".



Elisabeth Abbassi zeigt sich als verlässliche Partnerin der Administration, Bild: Alex Spichale

"Der Lehrplan 21 braucht Weiterbildung - hier sündigt der Kanton", Aargauer Zeitung, 13.8. von Hans Fahrländer



Elisabeth Abbassi (59), Sekundarlehrerin und Schulhausleiterin in Wildegg, hat mit dem neuen Schuljahr das Präsidium des Aargauischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (alv) von Niklaus Stöckli übernommen. Sie war während 20 Jahren Präsidentin des Unterverbandes Sekundarlehrpersonen Aargau (SLA). Seit 2010 war sie Vizepräsidentin und Geschäftsleitungsmitglied des alv. Ihr Amtsantritt fällt in eine lebhafte Phase. Und sie kommentiert die Entwicklungen mit deutlichen Worten.
Frau Abbassi, es ist mehr als ein Dreivierteljahr her, seit Sie zur Präsidentin der aargauischen Lehrerschaft gewählt worden sind. Jetzt endlich, mit dem neuen Schuljahr, dürfen Sie loslegen.
Elisabeth Abbassi: Das ist beim alv so Brauch: Gewählt wird an der DV im Spätherbst, doch die Präsidentschaft läuft in Schuljahren. Ich war froh um diese lange Zeit. Ich nutzte sie nicht nur zur Einarbeitung ins neue Amt, sondern auch zur Regelung einer guten Nachfolgelösung in meinem Schulhaus in Wildegg. Ich habe mein Pensum als Schulhausleiterin und Lehrerin von 100 auf 50 Prozent reduziert, um genügend Zeit für den alv zu haben.
Schulleiterinnen sind die Chefs der Lehrpersonen. Kann eine Schulleiterin die Anliegen der Lehrerinnen und Lehrer vertreten?
Ich bin nicht Schulleiterin, sondern Schulhausleiterin. Meine primäre Aufgabe war und ist es, gemeinsam mit den Lehrpersonen gute Rahmenbedingungen für die Schule zu erarbeiten. Ich mache also keinen Rollenwechsel.
Es gibt im Moment einfachere Ämter als das der obersten aargauischen Lehrerin.
Zweifellos. Aber ich habe Glück. Ich hatte mit Niklaus Stöckli einen hervorragenden Lehrmeister, der in seiner Amtszeit unglaublich viel erreicht hat, auf dem ich nun aufbauen kann. Er war ein Vorbild in jeder Hinsicht. Und ich habe eine tolle Geschäftsleitung um mich, die effizient und hochprofessionell arbeitet. Ich fühle mich wohl hier.
Sie haben gleich bei Ihrer Wahl Ende Oktober mit einer Aussage für Furore gesorgt: Sie wollen keinen «Aldi-Kanton», keine «Aldi-Schule». Der Begriff hat Karriere gemacht – mehr als Ihnen lieb ist?
Nein! Ich stehe nach wie vor zu ihm. Bei der Lehrerschaft fand er grosse Zustimmung, im Regierungsviertel naturgemäss etwas weniger. Ich finde es eine gefährliche Entwicklung, wenn die Bildungspolitik nur noch Anhängsel der Finanzpolitik ist.
Sie waren gleich am ersten Schultag auf mehreren Kanälen präsent. Bildungsdirektor Alex Hürzeler hat bekannt gegeben, dass der Aargau den Lehrplan 21 frühestens 2020 einführt. Und Sie haben diesen Entscheid in den Medien begrüsst.
Aber nur aus finanziellen Gründen. Die Einführung eines neuen Lehrplans kostet viel Geld – auch wenn von der Bildungspolitik und der Verwaltung das Gegenteil behauptet wird. Ich zweifle daran, ob Regierung und Parlament bereit wären, dieses Geld zur Verfügung zu stellen.
Was ist daran so teuer? Lernziele sind eigentlich kostenneutral.
Der Lehrplan 21 führt gänzlich neue Fächer beziehungsweise Fächergruppen ein. So werden zum Beispiel Werken und Textiles Werken fusioniert, die Lehrkraft, die das neue Fach unterrichtet, braucht beide Ausbildungen. Oder nehmen wir das Fach Hauswirtschaft: Es wird künftig viel weiter gefasst und erfordert von der Lehrperson eine zusätzliche Ausbildung. Doch auch die Umstellung auf die Kompetenzorientierung ist anspruchsvoll. Die Lehrpersonen müssen sorgfältig darauf vorbereitet werden. Das braucht Zeit – und Zeit ist bekanntlich Geld.
Darin sündigt der Arbeitgeber Kanton immer wieder, auch bei der aktuellen Strukturreform. Soll der neue Lehrplan zum Erfolg werden, braucht es intensive Begleitung und Weiterbildung für alle Lehrpersonen. Und das kann nicht nur en passant, bei nicht reduziertem Pensum geleistet werden. Genau aus diesem Grund haben viele Lehrpersonen genug von immer neuen Reformen: Man begleitet sie zu wenig und nimmt ihre Sorgen zu wenig ernst.
Abgesehen davon: Befürworten Sie den neuen Lehrplan?
Im Grundsatz ja. Er ist zwar noch überladen, muss redimensioniert werden. Aber das passiert ja im Moment. Das Hinausschieben auf einen fernen Tag, wie es die Regierung jetzt beschlossen hat, finde ich keine gute Art der Problemlösung.
Also werden Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen nicht empfehlen, die aargauische Volksinitiative gegen den Lehrplan 21 zu unterschreiben, die nächste Woche lanciert wird?
Ums Himmels willen – nein! Der alv hält zum Lehrplan fest: Verbessern und gute Rahmenbedingungen bieten, das ist zielführend. Zudem stammt die Initiative, zumindest nach heutigem Wissensstand, aus einer sehr konservativen, zusätzlich noch fundamentalistisch-religiös motivierten Ecke.
Vielleicht gesellen sich nach der Lancierung weitere lehrplankritische Kreise dazu ...
... aber der alv wird keine offizielle Stellungnahme pro Initiative abgeben.
Sie haben vorhin erwähnt, auch bei der Einführung der Strukturreform 6/3 mit verlängerter Primarschule und verkürzter Oberstufe sei gesündigt worden. Wie meinen Sie das?
Der Kanton hat bei dieser Einführung seine Verantwortung viel zu wenig wahrgenommen.
Ein hartes Urteil.
Die betroffenen Lehrpersonen empfinden das so. Es geht ums selbe Thema wie vorhin: Viele Lehrpersonen, vor allem der Oberstufe, waren verständlicherweise verunsichert. Man hätte die Schulen vor Ort viel besser begleiten müssen. Und man hätte ihnen umfassende Weiterbildung anbieten müssen.
Der Chef der Abteilung Volksschule betonte letzte Woche in der az, das Weiterbildungsangebot habe bestanden, sei aber sehr unterschiedlich beansprucht worden.
Kunststück! Wenn es so wenig Entlastung gibt, um die Kurse zu besuchen. Fehlt diese Entlastung zur seriösen Umschulung, fühlen sich viele Lehrpersonen neben dem normalen Unterricht überfordert. Doch das Versagen des Kantons ging noch weiter. So hat er sich konsequent geweigert, für die Oberstufenlehrpersonen, die durch die Verkürzung ihre Stelle verloren, einen Sozialplan zu erstellen. So etwas wäre in der Privatwirtschaft undenkbar. Mein Fazit deshalb: Würde der Arbeitgeber die Reformen besser begleiten und mehr Ressourcen einsetzen, gäbe es nicht eine so ausgeprägte Reformmüdigkeit in der Lehrerschaft.


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