Elisabeth Abbassi zeigt sich als verlässliche Partnerin der Administration, Bild: Alex Spichale
"Der Lehrplan 21 braucht Weiterbildung - hier sündigt der Kanton", Aargauer Zeitung, 13.8. von Hans Fahrländer
Elisabeth Abbassi (59), Sekundarlehrerin und
Schulhausleiterin in Wildegg, hat mit dem neuen Schuljahr das Präsidium des
Aargauischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (alv) von Niklaus Stöckli
übernommen. Sie war während 20 Jahren Präsidentin des Unterverbandes
Sekundarlehrpersonen Aargau (SLA). Seit 2010 war sie Vizepräsidentin und
Geschäftsleitungsmitglied des alv. Ihr Amtsantritt fällt in eine lebhafte
Phase. Und sie kommentiert die Entwicklungen mit deutlichen Worten.
Frau Abbassi, es ist mehr als ein Dreivierteljahr
her, seit Sie zur Präsidentin der aargauischen Lehrerschaft gewählt worden
sind. Jetzt endlich, mit dem neuen Schuljahr, dürfen Sie loslegen.
Elisabeth Abbassi: Das ist beim alv so
Brauch: Gewählt wird an der DV im Spätherbst, doch die Präsidentschaft läuft in
Schuljahren. Ich war froh um diese lange Zeit. Ich nutzte sie nicht nur zur
Einarbeitung ins neue Amt, sondern auch zur Regelung einer guten
Nachfolgelösung in meinem Schulhaus in Wildegg. Ich habe mein Pensum als
Schulhausleiterin und Lehrerin von 100 auf 50 Prozent reduziert, um genügend
Zeit für den alv zu haben.
Schulleiterinnen sind die Chefs der Lehrpersonen.
Kann eine Schulleiterin die Anliegen der Lehrerinnen und Lehrer vertreten?
Ich bin nicht Schulleiterin, sondern
Schulhausleiterin. Meine primäre Aufgabe war und ist es, gemeinsam mit den
Lehrpersonen gute Rahmenbedingungen für die Schule zu erarbeiten. Ich mache
also keinen Rollenwechsel.
Es gibt im Moment einfachere Ämter als das der
obersten aargauischen Lehrerin.
Zweifellos. Aber ich habe Glück. Ich hatte mit
Niklaus Stöckli einen hervorragenden Lehrmeister, der in seiner Amtszeit
unglaublich viel erreicht hat, auf dem ich nun aufbauen kann. Er war ein
Vorbild in jeder Hinsicht. Und ich habe eine tolle Geschäftsleitung um mich,
die effizient und hochprofessionell arbeitet. Ich fühle mich wohl hier.
Sie haben gleich bei Ihrer Wahl Ende Oktober mit
einer Aussage für Furore gesorgt: Sie wollen keinen «Aldi-Kanton», keine
«Aldi-Schule». Der Begriff hat Karriere gemacht – mehr als Ihnen lieb ist?
Nein! Ich stehe nach wie vor zu ihm. Bei der
Lehrerschaft fand er grosse Zustimmung, im Regierungsviertel naturgemäss etwas
weniger. Ich finde es eine gefährliche Entwicklung, wenn die Bildungspolitik
nur noch Anhängsel der Finanzpolitik ist.
Sie waren gleich am ersten Schultag auf mehreren
Kanälen präsent. Bildungsdirektor Alex Hürzeler hat bekannt gegeben, dass der
Aargau den Lehrplan 21 frühestens 2020 einführt. Und Sie haben diesen Entscheid
in den Medien begrüsst.
Aber nur aus finanziellen Gründen. Die Einführung
eines neuen Lehrplans kostet viel Geld – auch wenn von der Bildungspolitik und der
Verwaltung das Gegenteil behauptet wird. Ich zweifle daran, ob Regierung und
Parlament bereit wären, dieses Geld zur Verfügung zu stellen.
Was ist daran so teuer? Lernziele sind eigentlich
kostenneutral.
Der Lehrplan 21 führt gänzlich neue Fächer
beziehungsweise Fächergruppen ein. So werden zum Beispiel Werken und Textiles
Werken fusioniert, die Lehrkraft, die das neue Fach unterrichtet, braucht beide
Ausbildungen. Oder nehmen wir das Fach Hauswirtschaft: Es wird künftig viel
weiter gefasst und erfordert von der Lehrperson eine zusätzliche Ausbildung.
Doch auch die Umstellung auf die Kompetenzorientierung ist anspruchsvoll. Die
Lehrpersonen müssen sorgfältig darauf vorbereitet werden. Das braucht Zeit – und
Zeit ist bekanntlich Geld.
Darin sündigt der Arbeitgeber Kanton immer wieder,
auch bei der aktuellen Strukturreform. Soll der neue Lehrplan zum Erfolg
werden, braucht es intensive Begleitung und Weiterbildung für alle
Lehrpersonen. Und das kann nicht nur en passant, bei nicht reduziertem Pensum
geleistet werden. Genau aus diesem Grund haben viele Lehrpersonen genug von
immer neuen Reformen: Man begleitet sie zu wenig und nimmt ihre Sorgen zu wenig
ernst.
Abgesehen davon: Befürworten Sie den neuen
Lehrplan?
Im Grundsatz ja. Er ist zwar noch überladen, muss
redimensioniert werden. Aber das passiert ja im Moment. Das Hinausschieben auf
einen fernen Tag, wie es die Regierung jetzt beschlossen hat, finde ich keine
gute Art der Problemlösung.
Also werden Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen
nicht empfehlen, die aargauische Volksinitiative gegen den Lehrplan 21 zu
unterschreiben, die nächste Woche lanciert wird?
Ums Himmels willen – nein! Der alv hält zum
Lehrplan fest: Verbessern und gute Rahmenbedingungen bieten, das ist
zielführend. Zudem stammt die Initiative, zumindest nach heutigem Wissensstand,
aus einer sehr konservativen, zusätzlich noch fundamentalistisch-religiös
motivierten Ecke.
Vielleicht gesellen sich nach der Lancierung
weitere lehrplankritische Kreise dazu ...
... aber der alv wird keine offizielle
Stellungnahme pro Initiative abgeben.
Sie haben vorhin erwähnt, auch bei der Einführung
der Strukturreform 6/3 mit verlängerter Primarschule und verkürzter Oberstufe
sei gesündigt worden. Wie meinen Sie das?
Der Kanton hat bei dieser Einführung seine
Verantwortung viel zu wenig wahrgenommen.
Ein hartes Urteil.
Die betroffenen Lehrpersonen empfinden das so. Es
geht ums selbe Thema wie vorhin: Viele Lehrpersonen, vor allem der Oberstufe,
waren verständlicherweise verunsichert. Man hätte die Schulen vor Ort viel
besser begleiten müssen. Und man hätte ihnen umfassende Weiterbildung anbieten
müssen.
Der Chef der Abteilung Volksschule betonte letzte
Woche in der az, das Weiterbildungsangebot habe bestanden, sei aber sehr
unterschiedlich beansprucht worden.
Kunststück! Wenn es so wenig Entlastung gibt, um
die Kurse zu besuchen. Fehlt diese Entlastung zur seriösen Umschulung, fühlen
sich viele Lehrpersonen neben dem normalen Unterricht überfordert. Doch das
Versagen des Kantons ging noch weiter. So hat er sich konsequent geweigert, für
die Oberstufenlehrpersonen, die durch die Verkürzung ihre Stelle verloren,
einen Sozialplan zu erstellen. So etwas wäre in der Privatwirtschaft undenkbar.
Mein Fazit deshalb: Würde der Arbeitgeber die Reformen besser begleiten und
mehr Ressourcen einsetzen, gäbe es nicht eine so ausgeprägte Reformmüdigkeit in
der Lehrerschaft.
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