3. Juli 2014

Trotz wohlwollender Studie bleiben Zweifel

Raus aus der Sonderschule - rein in die Regelklasse: Das ist der Grundgedanke der integrativen Schule, bei der Kinder mit einer Behinderung oder Lernschwierigkeiten die Quartierschule besuchen. Gut zwei Drittel der Kantone haben ein Konzept im Bereich der Sonderpädagogik verabschiedet. Doch es bestehen Zweifel, ob dieses Konzept im Schulalltag wirklich funktioniert. Der Präsident der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektion, der Basler Regierungsrat Christoph Eymann (liberal-demokratische Partei) selbst, äusserte in der NZZ am Sonntag den Verdacht, dass «man sich möglicherweise mehr vorgenommen hat, als das System leisten kann».



Noch immer unbeantwortet: Verbessert die integrative Schulung die Bildung und Chancengleichheit? Bild: Georgios Kefalas


Integrative Schule braucht Geld und Geist, NZZ, 3.7. von Daniel Gerny

Was aber macht Basel-Stadt besser als andere Kantone, in denen die integrative Schule entweder politisch unter Druck gerät oder in denen Evaluationsberichte durchzogene Resultate zeigen? In Baselland beispielsweise wies das Kantonsparlament eine Vorlage zur Umsetzung der integrativen Schule soeben zurück und löste damit beinahe den Rücktritt des Bildungsdirektors aus. Im Kanton Bern zeigte eine Analyse im letzten Jahr, dass die integrative Sonderschulung und die Anzahl Schüler mit Unterstützungs-Lektionen zugenommen haben, ohne dass die Anzahl Kinder in den Sonderschulen zurückging. In der Stadt Zürich beklagten sich die Lehrpersonen über mangelnde Ressourcen. Wiederholt wird überdies grundsätzliche Kritik geäussert, wonach sich die integrative Schule in ihr Gegenteil verkehrt, indem Schüler innerhalb der Klasse als Sonderfall deklariert und separiert würden.
Laut Christian Liesen und Peter Lienhard, welche die Untersuchung im Auftrag des Erziehungsdepartementes verfasst und zu diesem Zweck Gespräche mit Schulvertretern auf allen Ebenen durchgeführt haben, sei in Basel das Prinzip breit akzeptiert, und zwar bis tief in die Verästelungen des Schulsystems. Das beginne damit, dass auf politischer Ebene kaum Opposition festzustellen sei, und ende damit, dass selbst eher skeptische Lehrkräfte das Konzept grundsätzlich als gute und richtige Sache beurteilten. Sie hätten förmlich nach Gegnern gesucht, sagten die Autoren, aber keine gefunden. Im Unterschied zu anderen Kantonen sei Basel auch bereit gewesen, Sonderschulangebote wirklich abzubauen. Das erweise sich in anderen Kantonen wegen der starken Lobby oft als schwierig. Es brauche sowohl eine entsprechende Geisteshaltung als auch Geld, sagten die Autoren.
In Basel seien dadurch Mittel für ein differenzierendes Unterstützungsangebot frei geworden, das zahlreiche Abstufungen und auf den Einzelfall zugeschnittene Massnahmen erlaube. Wenn sich Lehrpersonen trotzdem über mangelnde Ressourcen beklagten, sei dies vor allem darauf zurückzuführen, dass diese Angebote nicht bekannt seien. Die Kritik, die der Bericht hier äussert, deutet auf ein gewisses Mass an Bildungsbürokratie hin, die den Schulen Tempo abverlangt, diese deshalb mit unübersichtlichen Papierbergen und Handlungsanweisungen überflutet, aber die Situation der Lehrpersonen etwas aus den Augen verliert. Das Ausmass der Änderungen für sie werde unterschätzt, heisst es im Bericht.
Und doch bleiben Zweifel
Trotz dem positiven Befund räumt auch der Basler Bericht nicht alle Zweifel aus. Einerseits steht er teilweise in Widerspruch zu Aussagen vieler Lehrpersonen im persönlichen Gespräch, die sich sehr wohl beklagen, dass das System im Schulalltag oft versage und ganze Klassen an Grenzen bringe. Darunter litten Kinder mit und ohne Lernschwierigkeiten.
Bei manchen, die dem System grundsätzlich positiv gegenüberstanden, macht sich mittlerweile gar Resignation breit. Vorläufig unbeantwortet bleibt auch die Kernfrage, inwiefern sich die Bildung und die Chancengleichheit dank der integrativen Schulung wirklich verbessern.

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