Raus aus der
Sonderschule - rein in die Regelklasse: Das ist der Grundgedanke der
integrativen Schule, bei der Kinder mit einer Behinderung oder
Lernschwierigkeiten die Quartierschule besuchen. Gut zwei Drittel der Kantone
haben ein Konzept im Bereich der Sonderpädagogik verabschiedet. Doch es
bestehen Zweifel, ob dieses Konzept im Schulalltag wirklich funktioniert. Der
Präsident der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektion, der Basler
Regierungsrat Christoph Eymann (liberal-demokratische Partei) selbst, äusserte
in der NZZ am Sonntag den Verdacht, dass «man sich möglicherweise mehr
vorgenommen hat, als das System leisten kann».
Noch immer unbeantwortet: Verbessert die integrative Schulung die Bildung und Chancengleichheit? Bild: Georgios Kefalas
Integrative Schule braucht Geld und Geist, NZZ, 3.7. von Daniel Gerny
Was aber macht
Basel-Stadt besser als andere Kantone, in denen die integrative Schule entweder
politisch unter Druck gerät oder in denen Evaluationsberichte durchzogene Resultate
zeigen? In Baselland beispielsweise wies das Kantonsparlament eine Vorlage zur
Umsetzung der integrativen Schule soeben zurück und löste damit beinahe den
Rücktritt des Bildungsdirektors aus. Im Kanton Bern zeigte eine Analyse im
letzten Jahr, dass die integrative Sonderschulung und die Anzahl Schüler mit
Unterstützungs-Lektionen zugenommen haben, ohne dass die Anzahl Kinder in den
Sonderschulen zurückging. In der Stadt Zürich beklagten sich die Lehrpersonen
über mangelnde Ressourcen. Wiederholt wird überdies grundsätzliche Kritik
geäussert, wonach sich die integrative Schule in ihr Gegenteil verkehrt, indem
Schüler innerhalb der Klasse als Sonderfall deklariert und separiert würden.
Laut Christian
Liesen und Peter Lienhard, welche die Untersuchung im Auftrag des
Erziehungsdepartementes verfasst und zu diesem Zweck Gespräche mit
Schulvertretern auf allen Ebenen durchgeführt haben, sei in Basel das Prinzip
breit akzeptiert, und zwar bis tief in die Verästelungen des Schulsystems. Das
beginne damit, dass auf politischer Ebene kaum Opposition festzustellen sei,
und ende damit, dass selbst eher skeptische Lehrkräfte das Konzept
grundsätzlich als gute und richtige Sache beurteilten. Sie hätten förmlich nach
Gegnern gesucht, sagten die Autoren, aber keine gefunden. Im Unterschied zu
anderen Kantonen sei Basel auch bereit gewesen, Sonderschulangebote wirklich
abzubauen. Das erweise sich in anderen Kantonen wegen der starken Lobby oft als
schwierig. Es brauche sowohl eine entsprechende Geisteshaltung als auch Geld,
sagten die Autoren.
In Basel seien
dadurch Mittel für ein differenzierendes Unterstützungsangebot frei geworden,
das zahlreiche Abstufungen und auf den Einzelfall zugeschnittene Massnahmen
erlaube. Wenn sich Lehrpersonen trotzdem über mangelnde Ressourcen beklagten,
sei dies vor allem darauf zurückzuführen, dass diese Angebote nicht bekannt
seien. Die Kritik, die der Bericht hier äussert, deutet auf ein gewisses Mass
an Bildungsbürokratie hin, die den Schulen Tempo abverlangt, diese deshalb mit
unübersichtlichen Papierbergen und Handlungsanweisungen überflutet, aber die
Situation der Lehrpersonen etwas aus den Augen verliert. Das Ausmass der
Änderungen für sie werde unterschätzt, heisst es im Bericht.
Und doch bleiben Zweifel
Trotz dem
positiven Befund räumt auch der Basler Bericht nicht alle Zweifel aus.
Einerseits steht er teilweise in Widerspruch zu Aussagen vieler Lehrpersonen im
persönlichen Gespräch, die sich sehr wohl beklagen, dass das System im
Schulalltag oft versage und ganze Klassen an Grenzen bringe. Darunter litten
Kinder mit und ohne Lernschwierigkeiten.
Bei manchen, die dem System grundsätzlich positiv gegenüberstanden,
macht sich mittlerweile gar Resignation breit. Vorläufig unbeantwortet bleibt
auch die Kernfrage, inwiefern sich die Bildung und die Chancengleichheit dank
der integrativen Schulung wirklich verbessern.
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