4. Juli 2014

Raus aus dem Wortsumpf - reden wir doch Klartext


Fritz Tschudi blickt mit einem Augenzwinkern auf die Sprache der Bildungsverwaltung und stellt fest, dass diese aus Floskeln und Worthülsen besteht. Doch auch Lehrer übernehmen unkritisch Fachbegriffe und beugen sich so dem Zeitgeist und dem Gruppendruck. Tschudis geistreicher Text erinnert mich an Wiglaf Drostes Bemerkung: "Die Ventilatoren des Nichts kann man nicht an ihren Worten messen, sondern, im Gegenteil, an ihrer Sprache".


Probieren Sie es aus und klopfen Sie den Zeitgeist aus dem Busch, Bild: Achimowitz-Spruchklopfomat 1.01

Raus aus dem Wortsumpf - reden wir doch Klartext, Blog Südostschweiz, 4.7. von Fritz Tschudi


An unseren Schulen finden heute «Lehrpersonenkonferenzen» statt. In Germany nennt man diese «Lehrkräftekonferenzen». In der Regel finden die Events als Teamveranstaltungen oder gar als Teil eines professionellen Projekts für alle Lehrerinnen und Lehrer des Schulhauses statt.
Anwesend sind Primarlehrpersonen inklusive Regelklassenlehrpersonen, Oberstufenlehrpersonen, manchmal auch Schulsozialarbeitende (wie nennt man diese als Personen?), sofern nicht der/die eine oder andere sich angesichts dieses amtlich geförderten Wortwahns übergeben und mal ganz schnell auf die Lehrpersonentoilette muss! Bei speziellen Gelegenheiten sind Evaluierende (Evaluationspersonen oder Inspektoratspersonen ?), Schulratspersonen und Pfarr(lehr)personen zugegen. Regierungspersonen dagegen trifft man selten.
Als untrügliches Zeichen gelebter Professionalität wabern Floskeln, Unwörter sowie Worthülsen und Plastikwörter durch die meist stickige Luft in den überbelegten Lehrerzimmern. Der Kaiser ist nackt, deshalb suchen Obleute unentwegt nach neuen Kleidern:
Da wird verortet, Paradigmen werden gewechselt, alles ist zu verschriftlichen (und sei es nur auf Flipcharts), jeder hat lebenslang zu lernen, weil alle Menschen zu ihrem Glück gezwungen werden müssen. Schulentwicklung wird aufgegleist, fliesst ein, wird implementiert und qualitätsgesichert. Die Drohung «Evaluation» hält den Tatzelwurm in Gang, freigeben heisst verordnen.
«Nachhaltigkeit» und «Teamfähigkeit» sind verbal ebenso allgegenwärtig, wie die Kapselkaffee-Reklame oder das kleinkindliche «Lä-lä-lä» im akustischen Swisscom-Logo.
Eine gängige Strategie der Verfloskulierung besteht darin, scheinbar oder wirklich vollkommen unzusammenhängende Wörter wie zum Beispiel «Anforderung» und «Kultur» im Begriff «Anforderungskultur» zu kombinieren, damit aber auch garantiert keiner mehr weiss, was gemeint ist. Oder man verwendet nur Worte, die jeder unterschreiben kann, also etwa «Selbstlernen», eine Superfloskel, denn Lernen ist immer «selbst»!
Verbale Irrlichter:
·         «Zielvereinbarung», damit ist keine beidseitige Vereinbarung gemeint, sondern eine einseitige Vorschrift wird kaschiert.
·         «Evaluationsinstanz» (in ehrlichem Deutsch: «Zentralkomitee», «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser»). Wir leben, was die Qualität des Unterrichts anbelangt, im Würgegriff des Marketing. Schlagwortkonzepte zur Qualität des Unterrichts: Methodentraining, Qualitätsmanagement, Prozessorientierung, der Lehrer als Organisator selbstgesteuerter Lernprozesse, Steuerungsgruppen… Nicht die tatsächliche Qualität ist gefragt, sondern der Eindruck von Qualität, was jeden Diskurs erübrigt.
Wohlfühlwörter:
·         «Förderung», ein Zauberwort, mit dem man derzeit jeden Antrag bewilligt bekommt.
·         «Fordern und fördern» (ein nettes Lautgeklingel)
·         «Wie sind wir aufgestellt?» (auf Neudeutsch «standing»)
·         «Stressmanagement», «verlässliche Schule» (ein Hit der Bla-bla-Kultur)
… und ein Giftzwerg:
·         vom Teaching zum Coaching! (Glaubensbekenntnis als Basis für den Turnaround, Motto: «Vergesst alles!»)


Den aufgeblasenen Bildungsjargon hat Sabine Windlin schon in der NZZ vom 1. Februar 2010 thematisiert («Schule im Wortsumpf»):
«…Auf Teufel komm raus wird evaluiert: buchstäblich alles, was den Bildungsmenschen in die Finger gerät, von der «Rahmenstundentafel mit Bandbreiten» über «Deutsch als Interkulturalität» bis zu den «Gelingensbedingungen im Hochschulbereich». Dabei ist praktisch alles entweder kooperativ, integrativ, partizipativ oder – der neuste Hit – separativ. Es wird von «primitive skills» gesprochen, wenn Grundkenntnisse gemeint sind, von «Equity», wenn es um gleiche Chancen geht, und wenn eine Mutter fragt, wie ihr achtjähriger Sohn in der Klasse mitkommt, hakt die Lehrerin nach: ‚Meinen Sie jetzt die Lernzielüberprüfung in formativer oder in summativer Hinsicht?’»
«… Was früher Projektwoche hiess, wird heute als «Wahlangebot integrativer Begabungsförderung» verkauft, in dessen Rahmen Viertklässler Ateliers zum Thema ‚körperlich-kinästhetische Intelligenz’ besuchen. Fragt man die Kinder, was sie gemacht hätten, löst sich das Rätsel wie von selbst: gesungen, gehüpft, getanzt. Klingt das zu einfach? Zu kindlich? Zu fröhlich?»
Hochgestelzte Floskeln sind an der Tagesordnung:
«Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass bei wiederholtem Nichtkooperieren bezüglich Kindergartenregeln gewisse Umsetzungen realisiert werden, die im Einzelfall zur Anwendung kommen», stand wortwörtlich in einem Brief an die Erziehungsberechtigten. Klartext: Kinder, die andauernd stören, werden vor die Tür gestellt.
Dieses Beispiel zeigt, wie mit betont umständlichen Formulierungen Inhalte willentlich vernebelt werden. An der Entwicklung des Kauderwelsch beteiligt sind neben den Erziehungswissenschaftlern,die Bildungsbürokraten, aber auch die Pädagogischen Hochschulen. Letztere etwa, indem sie Projekte zur «Entwicklung der Diagnosekompetenz bei Studierenden im Laufe ihrer Ausbildung» erforschen lassen.
(Was ist Diagnosekompetenz?)
«… Lehrer … übernehmen – manchmal sehr unkritisch – Fachbegriffe und Codes, weil sie denken, dass das von ihnen erwartet wird. Sie hinterfragen zu wenig und passen sich sprachlich dem Zeitgeist an, beugen sich dem Gruppendruck. Viele Lehrer wagen es nicht, hinzustehen und zu sagen, was sie zum Beispiel ganz konkret unter Kompetenz verstehen. Denn eine konkrete Aussage macht sie angreifbar, eine nebulöse nicht.» (Informationsbeauftragter der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz, Urs Jecker, in einen Interview mit Sabine Windlin)
Ein anderer, besonderer Bereich des «Wortsumpfes» droht mit der Installation einer «gendergerechten Sprache». Diese ist nicht gewachsen, sondern wird grundsätzlich still und ohne Aufhebens verordnet. Die sprachliche Umerziehung entzieht sich der (direkten) demokratischen Legitimation und hat nicht zufällig den gesamten Bildungsbereich fest im Griff. Amtsstellen und HochschulprofessorInnen generieren auf eigene Faust eine neue Sprache mit einer umständlichen Schreibung. Deutsche Hochschulen (allen voran die Berliner Humboldtuniversität) fördern eifrig die radikalfeministische Umgestaltung und verordnen diese in ihrem Einflussbereich. Der erfolgreiche Abschluss jedes Studiums an Hoch- und Fachhochschulen wird heute auch hierzulande davon abhängig gemacht, ob die Studenten die vorgeschriebenen «Gendervorlesungen» besucht haben und die «gendergerechte Sprache» in Wort und Schrift konsequent genug befolgen.
Nun ist der Glaube legitim, dass ein regelmässiger Gebrauch «geschlechtergerechter» (vernünftiger) sprachlicher Formen auch zu einer grösseren Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern beitrage. Es ist aber offenkundig illegitim, institutionelle Machtpositionen zu missbrauchen, um anderen Abhängigen den Rahmen dieser Glaubensstrukturen aufzuzwingen. Unter der Hand werden so Gesinnungsprüfungen etabliert  – die Studenten müssen nachweisen, dass sie des rechten Geistes Kind sind.
Die «humboldtschen Sprachverbesserer» verfügen neuerdings den Gebrauch des generischen Femininums: Alle Professorinnen und Professoren müssen als Professorinnen (ohne Binnen-I) bezeichnet und angesprochen werden. Mit dem generellen Gebrauch der weiblichen Form könnte ich mich noch eher abfinden als mit der in der Schweiz sektiererisch-penetrant zelebrierten Substantivierung des «Partizip Präsens»: Studierendenschaften statt Studentenschaften, Pendelnde statt Pendlerinnen und Pendler. «Mauernde» für Maurerin und Maurer wird noch kommen, und die kreierte Unlogik kann wohl kaum Schule machen, denn niemand kann sterben und gleichzeitig studieren: «Die Bevölkerung beweint die sterbenden Studierenden.» Noch schmerzlich vermisst: Straftuende statt Straftäterinnen und Straftäter, Einwohnende statt Einwohnerinnen und Einwohner…

Sprache ist ein Herrschaftsinstrument. Wer über sie herrscht, hat auch Einfluss auf die Gedanken der Menschen. Und genau deshalb widerspricht eine von oben diktierte Regulierung der Sprache dem demokratischen Geist. Die Sprache gehört nicht dem Staat und seinen Institutionen, sondern uns allen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen