24. Juni 2014

Wie lassen sich unfähige Lehrer verhindern?

Lehrer, die in ihrem Beruf falsch sind, wirken sich fatal auf Schüler aus und leiden selber enorm. An der Universität Passau können fürs Lehramt Studierende frühzeitig ihre Eignung prüfen lassen.




Wer schwache Lehrer deckt, schadet den Schülern, Bild: Jean Gaumy

Das Recht kennt keinen Trottelparagrafen, NZZ, 24.6. von Joachim Günter


«Lehrer-Bashing» ist unfruchtbar. Vor Verunglimpfungen muss man sich hüten. Jeder Berufsstand kennt glänzende Vertreter und Versager. Doch wenn Schüler leiden, dann nur in zweiter Linie unter der Last der Stunden oder der Fülle des Stoffs. Auf den Pädagogen kommt es an. Gelingt es ihm, die Klasse durch den Stil seines Unterrichts zu begeistern, dann werden selbst schwierigste Hürden gemeistert. Jeder, der einmal eine Schule besucht hat, kennt diese Erfahrung: Der Fachlehrer wechselt, und plötzlich blühen Schüler auf, bringen bessere Noten nach Hause. Leider trifft auch das Umgekehrte zu. Unfähige Lehrer können die Biografien ihrer Schützlinge nachhaltig ruinieren. Sie beeinflussen Berufswege, verbauen Lebenschancen. Sollten nicht also stets nur die Besten unsere Kinder unterrichten? Schliesslich ist Bildung die wichtigste Ressource moderner Gesellschaften, und an den Jungen hängt die Zukunft. Aber «Unfähigkeit» ist ein hartes Wort. Es klingt, als seien scheiternde Lehrer selber schuld.
Jeder dritte Lehrer überlastet
Mitgefühl ist angebracht: Lehrer haben es schwer. Kein Berufsstand scheint so stark von psychischen Erkrankungen bedroht. Eine für die gesamte Schweiz repräsentative Studie dazu wird erst im Herbst veröffentlicht. Für Zürich wurden unlängst Zahlen publik, wonach hochgerechnet jeder zehnte Lehrer das Risiko hat, ein Burnout zu erleiden. Zu diesem Ergebnis kommt eine von Daniel Frey, dem ehemaligen Direktor der Stadtzürcher Schulgesundheitsdienste, geleitete Untersuchung. In Deutschland liegen die Verhältnisse ähnlich. Vorzeitige Pensionierungen aufgrund von Erschöpfung, Angst und Depression sind weit verbreitet. Mangels präziserer Bezeichnungen gilt auch dort Burnout als die unter Lehrern häufigste Krankheit. Jeder Dritte fühlt sich überlastet.
Zu viel Mitgefühl ist schädlich: Wer schwache Lehrer deckt, schadet den Schülern. Man kommt nicht an der Tatsache vorbei, dass manche Lehrkraft auf ihrem Posten eine Fehlbesetzung ist. Dazu gehören die Jungen, die sich aus Unentschiedenheit für ein Lehramtsstudium entschieden haben und im Beruf dann jäh den «Praxisschock» erleiden, ebenso wie die Altgedienten, längst Versteinerten, die nach Schema F unterrichten, sich um Didaktik nicht kümmern, Schüler als Gegner betrachten und die Schuld für unterdurchschnittliche Lernleistungen wahlweise in der «Faulheit», «Dummheit», «Verwahrlosung» oder einem angeblich konstitutionellen Desinteresse der Kinder und Jugendlichen suchen.
In Kalifornien hat ein Richter Anfang Juni ein – noch nicht rechtskräftiges – Urteil gefällt, wonach Schulen inkompetente Lehrer entlassen dürfen. Dass derlei überhaupt von Gerichten entschieden werden muss, zeigt die Schwierigkeit an, die es macht, Fehlbesetzungen zu korrigieren, wenn Lehrer Beamte sind oder in beamtenähnlichen Beschäftigungsverhältnissen stehen. Das ist in Deutschland, wo Gymnasiallehrer seit 1810 ein Staatsexamen ablegen müssen, weil angeblich nur Beamte für die juristisch valide Dignität des Abiturs bürgen, nicht anders als in den USA, wo die Gewerkschaften erklären, Lehrer müssten unkündbar sein, weil nur dies die akademische Freiheit garantiere. Rauswürfe wegen Inkompetenz werden damit praktisch unmöglich. Um es mit dem Berliner Professor Hans-Peter Füssel zu sagen, einem Spezialisten für Steuerungsprobleme in modernen Bildungssystemen: «Das deutsche Beamtenrecht kennt keinen Trottelparagrafen.» In der Schweiz gibt es kein Beamtentum, jedoch herrschen analoge Verhältnisse. Um als Lehrer gefeuert zu werden, muss man schon ein schweres Disziplinardelikt begangen haben. Eine Waffe in den Unterricht mitzubringen oder Schüler sexuell zu belästigen, das knickt die Karriere. Unfähigkeit tut dies nicht.
An der Ruhr-Universität in Bochum oder der TU München studieren Lehramtskandidaten seit kurzem an sogenannten Schools of Education. Sie sind dort unter sich. Es ist zweifellos ein Vorzug, wenn jene, die Lehrer werden wollen, die Seminare nicht mehr mit anderen Absolventen teilen müssen und nicht über alle Fakultäten verstreut sind. So kann sich leichter ein gemeinschaftliches pädagogisches Selbstverständnis entwickeln. Jedoch unterliegen die Schools of Education ebenso wie andere Hochschulen dem Bologna-Prozess und seiner Modularisierung des Studiums, und die Kultusministerien der Bundesländer, welche die Curricula festlegen, sorgen sich vor allem um die Aneignung von Fachwissen. Im Verhältnis dazu ist die Anzahl der Leistungspunkte, die ein Lehramtsstudent in Pädagogik und Didaktik erbringen muss, allzu gering.
«Der Lehrer sollte aber mehr Pädagoge sein als Fachwissenschafter», sagt Norbert Seibert, der an der Universität Passau den Lehrstuhl für Schulpädagogik innehat und als Schulforscher heftig mit der herkömmlichen Ausbildung hadert. Man dürfe nicht erst dann reagieren, wenn Lehrer ins Burn-out fallen, im Unterricht ihren Frust an den Schülern auslassen oder vorzeitig in Pension gehen. Nach – zwar schon zehn Jahre alten, jedoch nicht überholten – Berechnungen des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands kostet jede frühpensionierte Lehrkraft den Freistaat 375 000 Euro; insgesamt belaufen sich die jährlichen Kosten für Pensionierungen wegen Dienstunfähigkeit in Bayern auf rund 250 Millionen. Das ist ein erkleckliches Sümmchen, das besser «vorn» in die Aus- und Fortbildung gesteckt würde als «hinten» ins kurative System.
Hinzu kommt, dass es sowohl in Deutschland wie in der Schweiz nicht die Maturanden mit Bestnoten sind, welche den Lehrerberuf ergreifen. Nun mag man finden, dass Bestnoten auch gar nicht den Ausschlag geben, da doch die Schule heute Pädagogen braucht, welche «mit den schwierigsten Schülern und den verhaltensoriginellsten Eltern umgehen können», wie Norbert Seibert sagt. Da sind Persönlichkeiten gefragt, die nicht gleich bei der ersten Unverschämtheit verzagen. Dieselbe deutsche Studie indes, welche die Hinwendung vornehmlich mittelmässiger Abiturienten zum Lehrerberuf feststellt (Hochschul-Bildungsreport 2020), spricht überdies davon, es seien gerade die Personen mit wenig Selbstvertrauen, die Lehrer werden wollten. Was mag sie locken? Die Aussicht auf Amtsautorität? Dass ihnen niemand widerspricht? Der Spruch «Lehrer haben vormittags Recht und nachmittags frei» gilt ja kaum noch.
Zu denken geben muss, dass in Deutschland bis zu vierzig Prozent der fürs Lehramt Studierenden ihr Studium erfolglos abbrechen, wenn die Motivation dazu von Anfang an nur schwach ausgeprägt war. Da die Zulassungsbeschränkungen gering sind, ist es möglich, das Lehramtsstudium als Verlegenheitslösung zu betreiben. Dabei sollte doch gerade dieser Beruf auch Berufung sein. Um unter den Kandidaten frühzeitig die Spreu vom Weizen zu trennen, hat die Universität Passau auf Initiative von Norbert Seibert unter dem Namen «PArcours» eine Art Eignungsprüfung eingerichtet.
Leider kein obligatorischer Test
Die Teilnehmer durchlaufen mehrere Übungen mit relativ knapper Vorbereitungszeit. Sie müssen ihre Motive für die Wahl des Studiums und die Fächerkombination darlegen und reflektieren, warum ihre persönlichen Eigenschaften sie dafür prädestinieren. In Gruppendiskussionen gewichten sie Anforderungen an den Lehrerberuf und verteidigen ihre Einschätzungen. Ein filmisch dokumentierter Schüler-Lehrer-Konflikt soll analysiert und Lösungsmöglichkeiten sollen aufgezeigt werden. Ziel ist ein realistischer Blick auf den Beruf und sich. Am Ende gibt es von den professionellen Beobachtern ein unverblümtes Feedback, das schon so manchem Studenten einen Ausbildungswechsel angeraten hat. Noch aber ist die Teilnahme an PArcous freiwillig und das Votum der Jury nicht bindend. Um die Zahl der Versager im Schuldienst zu vermindern, müsste das Passauer Modell überall für alle Lehramtsstudenten obligatorisch sein. Das wäre zu ihrem eigenen Besten – und dem der Schüler, die eher von Versagern verschont blieben.


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