"Der Kampf gegen das Englische als beliebteste Fremdsprache ist verloren", Bild: Tages Anzeiger
Lieber spät als unmotiviert, Tages Anzeiger, 23.6. von René Lenzin
Der Bund wird eingreifen, wenn sich ein Teil der Kantone
weigert, bereits in der Primarschule eine zweite Landessprache zu unterrichten.
Das hat Innenminister Alain Berset im Parlament klargemacht. Er hat das Recht
dazu. Volk und Stände haben dem Bund mit dem Sprachen- und mit dem
Schulharmonisierungsartikel das Mandat dazu erteilt. Nur: Hat er auch recht
damit?
Ich gehöre zu den Bürgern, die sich in allen drei grossen
Landessprachen verständigen können, und ich finde es bedauerlich und gefährlich
für die Schweiz, dass diese Gattung auszusterben scheint. Trotzdem finde ich es
falsch, die Frage des Frühfranzösisch in der Deutschschweiz – und des
Frühdeutsch in der Romandie – zu einer Existenzfrage für den nationalen
Zusammenhalt zu machen.
Was die Erfahrung zeigt
Für das Wieso bleibe ich noch etwas im Biografisch-Familiären.
Ich selber bin zu einer Zeit zur Schule gegangen, als man das Wort
Frühfranzösisch noch kaum buchstabieren konnte, habe an der Oberstufe aber
trotzdem Französisch, Englisch und Italienisch gelernt.
Meine ältere Tochter hat in Bern ab der 5. Klasse drei Jahre Französischunterricht genossen, ohne wirklich
etwas zu lernen. Französisch hat sie sich ab der 8. Klasse an der Schweizer Schule in Mailand angeeignet.
Meine jüngere Tochter ist erst in der 7. Klasse in den
Französischunterricht eingestiegen. Dieser Tage absolviert sie in Bern die
Maturaprüfung, ohne erkennbaren Nachteil gegenüber ihren Mitschülerinnen, die
alle mindestens zwei Jahre früher mit Französisch angefangen haben.
Schliesslich sei noch meine Mutter erwähnt: Sie hat, ohne Matura
oder akademischen Abschluss, Französisch und Italienisch gelernt – bei
Aufenthalten im Welschland und im Tessin.
Viele sind überfordert
Nun kann man natürlich einwenden, dass die heutigen Jugendlichen
nicht mehr als Au-pair in die andern Sprachregionen gehen können oder wollen
und dass sie die Landessprachen daher in der Schule erwerben müssen. Das mag so
sein. Aber glaubt jemand wirklich im Ernst, dass die kleinen Romands gerne
Deutsch und die kleinen Deutschschweizer gerne Französisch lernen, weil es für
den nationalen Zusammenhalt zentral ist? Dass Fremdsprachen und Mathematik
wichtig sind, um etwas zu werden im Leben, kann man einem Drittklässler
vielleicht noch knapp erklären. Dass Französisch wichtig ist, damit das Land
nicht auseinanderfällt, wohl eher nicht.
Schauen wir die Sache einmal pädagogisch an und stellen wir zwei
Thesen auf. Erstens: Von zwei Fremdsprachen in der Primarschule ist die eine
Hälfte der Schüler überfordert. Und die andere Hälfte hat wenig Lust, neben
Englisch auch noch Deutsch, Französisch oder Italienisch zu lernen. Das ist
eine wunderbare Mischung, um den Schülern die Freude an den Landessprachen
definitiv auszutreiben. Dient das wirklich dem nationalen Zusammenhalt?
Zweitens: Auf das gewünschte Niveau in der zweiten Landessprache kommen die
Schüler im Durchschnitt auch dann, wenn der Unterricht erst auf der
Sekundarstufe einsetzt.
Der Kampf gegen das Englische ist
verloren
Wenn sich Westschweizer und Deutschschweizer Schüler begegnen,
ist die Chance gross, dass sie Englisch miteinander reden. Weil es cooler ist.
Und weil die Westschweizer – trotz der rhetorischen Bekenntnisse ihrer
Politiker zum Frühdeutschen – eben auch nicht besser Deutsch können als die
Deutschschweizer Französisch.
Fakt ist: Der Kampf gegen das Englische als beliebteste Fremdsprache
ist verloren, sowohl in der Deutsch- als auch in der französischen und der
italienischen Schweiz. Nun muss die Schule dafür sorgen, dass die
Landessprachen trotzdem ihren Platz erhalten. Dabei ist nicht das Wann
entscheidend, sondern das Wie.
Wie wäre es zum Beispiel, den Sprachunterricht an der Sek mit
Geschichte und Staatskunde zu kombinieren, um die Bedeutung der Landessprachen
zu thematisieren? Und warum nicht einen mindestens zweiwöchigen Aufenthalt in
einer andern Sprachregion für alle Acht- oder Neuntklässler für obligatorisch
erklären? In meiner Generation waren viele in der Westschweiz im Landdienst.
Geschadet hat es sicher nicht.
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