Markus Somm thematisiert diese hochsubventionierte Realsatire, die staatlich geförderte Wissenschaft und die Schule bekommen dabei ihr Fett ab.
Der Zimmermann - die Zimmerfrau, Bild: Handelsblatt
Mann und Frau sind gleich, gleicher, am gleichsten, Basler Zeitung, 7.6. von Markus Somm
«L’électricienne», die Elektrikerin,
antwortet unser vierzehnjähriger Sohn – und meine Frau fragt weiter:
«Der Zimmermann?»
«Le charpentier»
«Und?», setzt meine Frau
nach.
«La charpentière!»
Die Zimmerfrau. Max muss
Französisch büffeln – und zu einer guten Ausbildung gehört heute gemäss
Lehrplan offenbar auch eine gewisse politisch-korrekte Awareness, die sich Max
zu eigen machen soll: Auch Mädchen könnten Zimmerleute werden, daher wird von
Max verlangt, dass er im Französischen ebenso sämtliche Berufsbezeichnungen in
der weiblichen Form kennt – ob er sie in seinem Leben je braucht, scheint
zweitrangig. Soweit ich sehe, ist das unwahrscheinlich.
Denn Tatsache ist, dass
es in der Schweiz im Jahr 2010, also lange nach Einführung des
Frauenstimmrechts (1971), und auch lange nachdem in unserer Verfassung die
rechtliche Gleichheit der Geschlechter festgeschrieben worden ist (1981), nach
wie vor sehr wenige Elektrikerinnen und Zimmerfrauen gibt: 1,5 Prozent
aller Elektriker und 1 Prozent aller Zimmerleute waren gemäss Bundesamt
für Statistik weiblich. Auch in Frankreich wählen übrigens nicht mehr Mädchen
diesen Beruf, ganz gleich, ob Max sie korrekt ansprechen könnte oder nicht.
Im Dschungel der
Stereotypen
Was ebenso bestürzt, ist
der Umstand, dass es offenbar auch sehr wenige Frauen in so attraktive Berufe
wie Motorgerätemechaniker (0,0 Prozent) oder Kältemonteure
(1,5 Prozent) zieht. Was haben Frauen an solchen Tätigkeiten auszusetzen?
Wer hat ihnen das ausgeredet?
Demgegenüber sind in der
Schweiz 99,8 Prozent der Kosmetiker Frauen und 99,7 Prozent aller
Dentalassistenten ebenfalls, weswegen man landläufig öfter von Kosmetikerinnen
oder Dentalassistentinnen spricht, was vernünftig und effizient scheint, aber
aus einer Gleichstellungssicht doch sehr problematisch ist. Fühlen sich die
männlichen Kosmetiker nicht ausgeschlossen, wenn sie nie erwähnt werden?
Das Sein bestimmt das
Bewusstsein, befand einst Karl Marx, der Gründer des Historischen
Materialismus, doch in der Gleichstellungsfrage glauben viele Anhänger dieses
Unterfangens fest daran, mit Worten allein die Welt verändern zu können. Das
Bewusstsein sprengt das Sein: Wenn Zimmerfrauen und Motorgerätemechanikerinnen
wenigstens in der Alltagssprache vorkommen, muss dann nicht einer höheren
Anzahl von Mädchen einfallen, in diesen Beruf zu drängen? Oder mit anderen
Worten, wenn Frauen und Männer oft unterschiedliche Berufe wählen: Kann das mit
rechten Dingen zugegangen sein? Oder stecken dahinter die Hinterlassenschaften
eines jahrtausendealten Patriarchats?
Von dieser Annahme gehen
offenbar auch die vielen Forscherinnen und ein paar Forscher aus (es sind
überwiegend Forscherinnen), die in diesen Tagen das Nationale
Forschungsprogramm 60: «Gleichstellung der Geschlechter» abgeschlossen und
einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht haben. Acht Millionen
Franken hat der Nationalfonds im Auftrag des Bundesrates dafür eingesetzt. Rund
fünf Jahre lang wurde an verschiedenen Universitäten der Schweiz geforscht,
unter anderem auch in Basel, dessen Universität mit dem Zentrum Gender Studies
und dem Seminar für Soziologie involviert war. Die Ergebnisse sind im Internet
auf www.nfp60.ch nachzulesen.
Wer sich durch diese
Schlussberichte kämpft – ein Kampf ist es, weil es an unseren Akademien
anscheinend zum guten Ton gehört, nicht mehr schreiben zu können –, wer diese
peinigende Lektüre also überstanden hat, erhält den Eindruck: Eigentlich kann
nicht mehr so viel im Argen liegen.
Patriarchat in der
Kinderkrippe
Denn sprachen wir früher
über schwerwiegende Diskriminierungen wie die Tatsache, dass eine Frau ohne
Erlaubnis ihres Mannes keinen rechtskräftigen Vertrag unterschreiben konnte,
bewegen wir uns inzwischen im Mikrokosmos der angeblichen
«Geschlechterungerechtigkeiten», die zum Beispiel darin bestehen, dass in
Kinderkrippen häufig der Schminktisch rosa gestrichen ist, was Mädchen davon
abhalten mag, sich für die Bagger in der Bauecke zu interessieren, was fatal
ist, weil so hintertrieben wird, dass ein Mädchen später einmal den schönen
Beruf der Baggerfahrerin ergreift.
Um auf diesen Missstand
zu stossen, haben Wissenschaftler der Universität St. Gallen im Rahmen des NFP 60 zwanzig Schweizer Kinderkrippen
besucht und erforscht.
Knallrote Erlösung
Sie fotografierten,
machten Notizen und erstellten Raumskizzen, sie befragten Angestellte und
beobachteten Kinder. Was sie entdeckten, beunruhigte sie. «Die Analyse zeigt
ein eindrückliches Bild: Puppenecke und Bauecke sind in allen Krippen
vorhanden. Diese sind häufig so eingerichtet, dass stereotype
Geschlechterrollen in den Vordergrund treten, auch wenn die Kinder diese im
Spiel selbstverständlich umformen können.» (Franziska Vogt et al., Hausmänner
in der Puppenstube, Automechanikerinnen in der Bauecke: Gender und Raum in der
Kita, in: undKinder, Nr. 90, 2012.)
Dass die zur Rede
gestellten Kinderbetreuerinnen versicherten, sie würden alle Kinder gleich
behandeln, ja die Buben dürften, falls sie wollten, auch mit Puppen spielen und
den Mädchen nehme man den Fussball nicht ab: Es half nichts. Streng urteilten
die Forscherinnen aus St. Gallen: «Mit der
weiss-rot-rosa Farbgebung wird in dieser Krippe die Küche und der Schminktisch
als Ort für Mädchen eingerichtet. Auch die Vermarktungsindustrie von Spielwaren
setzt bei Mädchen auf die Farben rosa und lila. Ohne es auszusprechen, wird bei
diesem Spielort eine Geschlechterzuschreibung gemacht. Durch die räumliche
Anordnung, die den Schminktisch neben den Herd stellt, wird dies nochmals
verstärkt. Schminktische, die für Frauen und Männer gedacht wären, könnten in
der Nähe von Verkleidungssachen stehen. Damit würden sie eine Theatergarderobe
andeuten, ein berufliches Umfeld, in dem Frauen wie Männer in andere Rollen
schlüpfen. In der hier vorgefundenen räumlichen Anordnung wird ein stereotypes
Geschlechterbild wachgerufen: Der Schminktisch wird in den hauswirtschaftlichen
und weiblichen Lebenszusammenhang gestellt und für die Mädchen die
Geschlechter-Stereotypen der Hausfrau und der Schönheitskönigin vermittelt.»
Als die
Kinderbetreuerinnen darauf erzählten, dass die Buben sich eines Tages doch mit
dem Schminktisch beschäftigt hatten, atmeten die Forscherinnen auf: Auf dem
Schminktisch stand nämlich auch ein knallrotes Telefon, das die Buben gerne
benutzten, als sie Feuerwehr spielten. Sie hatten den Schminktisch kurzerhand
in eine Alarmzentrale umfunktioniert. Befriedigt stellten die Forscherinnen
fest, damit hätten die Buben «Geschlechterstereotype» durchbrochen, was eine
doch recht originelle Interpretation eines sehr traditionellen Verhaltens der
Buben darstellt. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Kostenpunkt dieser bahnbrechenden
Erkenntnisse aus St. Gallen: 300 000 Schweizer Franken.
So gleich waren wir noch
nie
Was auf den ersten Blick
wie hochsubventionierte Realsatire wirkt, hat einen düstereren Hintergrund, der
uns zu denken geben muss. Hier werden politische Ziele verfolgt und
ideologische Vorlieben gepflegt, ohne dass jene, die das bezahlen, je dazu ihr
Einverständnis gegeben hätten. Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen
Gleichheit der Chancen und Gleichheit im Ergebnis.
Für die meisten
Stimmbürger – und so haben wir das auch mehrere Male beschlossen – ist die
Gleichstellung der Geschlechter ein selbstverständliches Anliegen. Mann und
Frau haben die gleichen Rechte und Pflichten. Niemand soll, weil er eine Frau
oder ein Mann ist, einen Beruf nicht erlernen dürfen, niemand kann wegen seines
Geschlechts daran gehindert werden, jene Schule zu besuchen, die ihm zusagt,
niemand hat politisch mehr zu sagen als der andere: Darüber herrscht nicht nur
hier, sondern im Westen insgesamt der breiteste Konsens. In anderen Gegenden
dieser Welt ist das nicht der Fall. Und man hat hier im Westen viele Missstände
und Ungerechtigkeiten, was die Geschlechter anbelangt, behoben. Mann und Frau
wurden in der Geschichte der Menschheit noch nie so egalitär behandelt wie im
Jahr 2014 in Europa und in Amerika.
Wenn man über die
Errungenschaften des Westens nachdenkt, ist vielleicht nichts erstaunlicher,
einzigartiger und segensreicher als dieser Erfolg, den viele mutige Frauen und
Männer in den vergangenen hundert Jahren erzielt haben. In China, dem Land der
Ein-Kind-Politik, werden Mädchen abgetrieben, weil man einen Sohn will, in
Europa macht man sich Sorgen um die Farbe des Schminktisches.
Gleichstellung bedeutet,
dass der Staat niemanden benachteiligt oder anders einordnet, ganz gleich
wessen Geschlecht er ist. Gleichstellung bedeutet aber nicht, dass alle im
Ergebnis gleich sein müssen. We like to differ, und das betrifft auch Mann und
Frau. Vor allem ist es keine Staatsaufgabe, Unterschiede zwischen den Geschlechtern
einzuebnen – völlig unabhängig von der Tatsache, dass dies kaum möglich sein
dürfte.
Totalitäre Versuchung
Den meisten Berichten
des NFP 60 liegt jedoch diese Annahme zugrunde: Dass allein die Tatsache, dass
sich Mann und Frau in irgendeiner Frage anders verhalten, verdächtig und
korrekturbedürftig ist. Es hat etwas Totalitäres, wie diese Wissenschaftler den
Menschen neu formen wollen: einen Frankenstein ohne Geschlecht. Es darf und
kann nicht sein, dass ein Mädchen lieber mit Puppen spielt als ein Bub, es darf
und kann nicht sein, dass ein Mädchen lieber Coiffeuse wird und ein Bub
stattdessen Mechaniker. Kommt es dennoch vor, wie das fast immer der Fall ist,
dann muss Diskriminierung oder ein Stereotyp oder ein gedankenloser Lehrer
dahinterstecken.
Ich möchte hier nicht
auf die Debatte eingehen, was Mädchen oder Buben dazu bringt, nach wie vor
typische Männer- oder Frauenberufe zu wählen. Ist es die Biologie, ist es die
Erziehung? Diese interessante Frage spielt hier keine Rolle, weil es mir in
erster Linie um ein liberales Anliegen geht: Mann und Frau können selber
wählen, was sie wollen. Sollten sie tun, was traditionell wirkt: Wer ist dazu
befugt, sie davon abzubringen? Sicher nicht der Staat. Und ja, sollte eine
meiner drei Töchter Elektrikerin werden wollen: Max und sein jüngerer Bruder
hätten sicher nichts dagegen, – auch wenn sie dann nicht mehr wissen, wie das
auf Französisch heisst.
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