7. Juni 2014

Vom Irrsinn der Gleichstellung

Die Gleichstellung der Geschlechter ist in den letzten Jahren zu einem Hauptthema der Schule geworden. Seit Jahren versuchen Kampagnen, junge Frauen und Männer zu ermuntern, einen geschlechtsuntypischen Beruf zu wählen - mit geringem Erfolg. Aber auch die Lehrmittel haben sich der Tyrannei des Gender-Mainstreamings zu unterwerfen - ganz zu schweigen von den noch immer grassierenden SuS, den LehrerInnen, den Schulleitungspersonen und den Studierenden.
Markus Somm thematisiert diese hochsubventionierte Realsatire, die staatlich geförderte Wissenschaft und die Schule bekommen dabei ihr Fett ab. 




Der Zimmermann - die Zimmerfrau, Bild: Handelsblatt

Mann und Frau sind gleich, gleicher, am gleichsten, Basler Zeitung, 7.6. von Markus Somm


«L’électricienne», die ­Elektrikerin, antwortet unser vierzehnjähriger Sohn – und meine Frau fragt weiter:
«Der Zimmermann?»
«Le charpentier»
«Und?», setzt meine Frau nach.
«La charpentière!»
Die Zimmerfrau. Max muss Französisch büffeln – und zu einer guten Ausbildung gehört heute gemäss Lehrplan offenbar auch eine gewisse politisch-korrekte Awareness, die sich Max zu eigen machen soll: Auch Mädchen könnten Zimmerleute werden, daher wird von Max verlangt, dass er im Französischen ebenso sämtliche Berufsbezeichnungen in der weiblichen Form kennt – ob er sie in seinem Leben je braucht, scheint zweitrangig. Soweit ich sehe, ist das unwahrscheinlich.
Denn Tatsache ist, dass es in der Schweiz im Jahr 2010, also lange nach Einführung des Frauenstimmrechts (1971), und auch lange nachdem in unserer Verfassung die rechtliche Gleichheit der Geschlechter festgeschrieben worden ist (1981), nach wie vor sehr wenige Elektrikerinnen und Zimmerfrauen gibt: 1,5 Prozent aller Elektriker und 1 Prozent aller Zimmerleute waren gemäss Bundesamt für Statistik weiblich. Auch in Frankreich wählen übrigens nicht mehr Mädchen diesen Beruf, ganz gleich, ob Max sie korrekt ansprechen könnte oder nicht.
Im Dschungel der Stereotypen
Was ebenso bestürzt, ist der Umstand, dass es offenbar auch sehr wenige Frauen in so attraktive Berufe wie Motorgerätemechaniker (0,0 Prozent) oder Kältemonteure (1,5 Prozent) zieht. Was haben Frauen an solchen Tätigkeiten auszusetzen? Wer hat ihnen das ausgeredet?
Demgegenüber sind in der Schweiz 99,8 Prozent der Kosmetiker Frauen und 99,7 Prozent aller Dentalassistenten ebenfalls, weswegen man landläufig öfter von Kosmetikerinnen oder Dentalassistentinnen spricht, was vernünftig und effizient scheint, aber aus einer Gleichstellungssicht doch sehr problematisch ist. Fühlen sich die männlichen Kosmetiker nicht ausgeschlossen, wenn sie nie erwähnt werden?
Das Sein bestimmt das Bewusstsein, befand einst Karl Marx, der Gründer des Historischen Materialismus, doch in der Gleichstellungsfrage glauben viele Anhänger dieses Unterfangens fest daran, mit Worten allein die Welt verändern zu können. Das Bewusstsein sprengt das Sein: Wenn Zimmerfrauen und Motorgerätemechanikerinnen wenigstens in der Alltagssprache vorkommen, muss dann nicht einer höheren Anzahl von Mädchen einfallen, in diesen Beruf zu drängen? Oder mit anderen Worten, wenn Frauen und Männer oft unterschiedliche Berufe wählen: Kann das mit rechten Dingen zugegangen sein? Oder stecken dahinter die Hinterlassenschaften eines jahrtausendealten Patriarchats?
Von dieser Annahme gehen offenbar auch die vielen Forscherinnen und ein paar Forscher aus (es sind überwiegend Forscherinnen), die in diesen Tagen das Nationale Forschungsprogramm 60: «Gleichstellung der Geschlechter» abgeschlossen und einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht haben. Acht Millionen Franken hat der Nationalfonds im Auftrag des Bundesrates dafür eingesetzt. Rund fünf Jahre lang wurde an verschiedenen Universitäten der Schweiz geforscht, unter anderem auch in Basel, dessen Universität mit dem Zentrum Gender Studies und dem Seminar für Soziologie involviert war. Die ­Ergebnisse sind im Internet auf www.nfp60.ch nachzulesen.
Wer sich durch diese Schlussberichte kämpft – ein Kampf ist es, weil es an unseren Akademien anscheinend zum guten Ton gehört, nicht mehr schreiben zu können –, wer diese peinigende Lektüre also überstanden hat, erhält den Eindruck: Eigentlich kann nicht mehr so viel im Argen liegen.
Patriarchat in der Kinderkrippe
Denn sprachen wir früher über schwerwiegende Diskriminierungen wie die Tatsache, dass eine Frau ohne Erlaubnis ihres Mannes keinen rechtskräftigen Vertrag unterschreiben konnte, bewegen wir uns inzwischen im Mikrokosmos der angeblichen «Geschlechterungerechtigkeiten», die zum Beispiel darin bestehen, dass in Kinderkrippen häufig der Schminktisch rosa gestrichen ist, was Mädchen davon abhalten mag, sich für die Bagger in der Bauecke zu interessieren, was fatal ist, weil so hintertrieben wird, dass ein Mädchen später einmal den schönen Beruf der Baggerfahrerin ergreift.
Um auf diesen Missstand zu stossen, haben Wissenschaftler der Universität St.Gallen im Rahmen des NFP 60 zwanzig Schweizer Kinderkrippen besucht und erforscht.
Knallrote Erlösung
Sie fotografierten, machten Notizen und erstellten Raumskizzen, sie befragten Angestellte und beobachteten Kinder. Was sie entdeckten, beunruhigte sie. «Die Analyse zeigt ein eindrückliches Bild: Puppenecke und Bauecke sind in allen Krippen vorhanden. Diese sind häufig so eingerichtet, dass stereotype Geschlechterrollen in den Vordergrund treten, auch wenn die Kinder diese im Spiel selbstverständlich umformen können.» (Franziska Vogt et al., Hausmänner in der Puppenstube, Automechanikerinnen in der Bauecke: Gender und Raum in der Kita, in: undKinder, Nr. 90, 2012.)
Dass die zur Rede gestellten Kinderbetreuerinnen versicherten, sie würden alle Kinder gleich behandeln, ja die Buben dürften, falls sie wollten, auch mit Puppen spielen und den Mädchen nehme man den Fussball nicht ab: Es half nichts. Streng urteilten die Forscherinnen aus St.Gallen: «Mit der weiss-rot-rosa Farbgebung wird in dieser Krippe die Küche und der Schminktisch als Ort für Mädchen eingerichtet. Auch die Vermarktungsindustrie von Spielwaren setzt bei Mädchen auf die Farben rosa und lila. Ohne es auszusprechen, wird bei diesem Spielort eine Geschlechterzuschreibung gemacht. Durch die räumliche Anordnung, die den Schminktisch neben den Herd stellt, wird dies nochmals verstärkt. Schminktische, die für Frauen und Männer gedacht wären, könnten in der Nähe von Verkleidungssachen stehen. Damit würden sie eine Theatergarderobe andeuten, ein berufliches Umfeld, in dem Frauen wie Männer in andere Rollen schlüpfen. In der hier vorgefundenen räumlichen Anordnung wird ein stereotypes Geschlechterbild wachgerufen: Der Schminktisch wird in den hauswirtschaftlichen und weiblichen Lebenszusammenhang gestellt und für die Mädchen die Geschlechter-Stereotypen der Hausfrau und der Schönheitskönigin vermittelt.»
Als die Kinderbetreuerinnen darauf erzählten, dass die Buben sich eines Tages doch mit dem Schminktisch beschäftigt hatten, atmeten die Forscherinnen auf: Auf dem Schminktisch stand nämlich auch ein knallrotes Telefon, das die Buben gerne benutzten, als sie Feuerwehr spielten. Sie hatten den Schminktisch kurzerhand in eine Alarmzentrale umfunktioniert. Befriedigt stellten die Forscherinnen fest, damit hätten die Buben «Geschlechter­stereotype» durchbrochen, was eine doch recht originelle Interpretation eines sehr traditionellen Verhaltens der Buben darstellt. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Kostenpunkt dieser bahnbrechenden Erkenntnisse aus St.Gallen: 300000 Schweizer Franken.
So gleich waren wir noch nie
Was auf den ersten Blick wie hochsubventionierte Realsatire wirkt, hat einen düstereren Hintergrund, der uns zu denken geben muss. Hier werden politische Ziele verfolgt und ideologische Vorlieben gepflegt, ohne dass jene, die das bezahlen, je dazu ihr Einverständnis gegeben hätten. Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen Gleichheit der Chancen und Gleichheit im Ergebnis.
Für die meisten Stimmbürger – und so haben wir das auch mehrere Male beschlossen – ist die Gleichstellung der Geschlechter ein selbstverständliches Anliegen. Mann und Frau haben die gleichen Rechte und Pflichten. Niemand soll, weil er eine Frau oder ein Mann ist, einen Beruf nicht erlernen dürfen, niemand kann wegen seines Geschlechts daran gehindert werden, jene Schule zu besuchen, die ihm zusagt, niemand hat politisch mehr zu sagen als der andere: Darüber herrscht nicht nur hier, sondern im Westen insgesamt der breiteste Konsens. In anderen Gegenden dieser Welt ist das nicht der Fall. Und man hat hier im Westen viele Missstände und Ungerechtigkeiten, was die Geschlechter anbelangt, behoben. Mann und Frau wurden in der Geschichte der Menschheit noch nie so egalitär behandelt wie im Jahr 2014 in Europa und in Amerika.
Wenn man über die Errungenschaften des Westens nachdenkt, ist vielleicht nichts erstaunlicher, einzigartiger und segensreicher als dieser Erfolg, den viele mutige Frauen und Männer in den vergangenen hundert Jahren erzielt haben. In China, dem Land der Ein-Kind-Politik, werden Mädchen abgetrieben, weil man einen Sohn will, in Europa macht man sich Sorgen um die Farbe des Schminktisches.
Gleichstellung bedeutet, dass der Staat niemanden benachteiligt oder anders einordnet, ganz gleich wessen Geschlecht er ist. Gleichstellung bedeutet aber nicht, dass alle im Ergebnis gleich sein müssen. We like to differ, und das betrifft auch Mann und Frau. Vor allem ist es keine Staatsaufgabe, Unterschiede zwischen den Geschlechtern einzuebnen – völlig unabhängig von der Tatsache, dass dies kaum möglich sein dürfte.
Totalitäre Versuchung
Den meisten Berichten des NFP 60 liegt jedoch diese Annahme zugrunde: Dass allein die Tatsache, dass sich Mann und Frau in irgendeiner Frage anders verhalten, verdächtig und korrekturbedürftig ist. Es hat etwas Totalitäres, wie diese Wissenschaftler den Menschen neu formen wollen: einen Frankenstein ohne Geschlecht. Es darf und kann nicht sein, dass ein Mädchen lieber mit Puppen spielt als ein Bub, es darf und kann nicht sein, dass ein Mädchen lieber Coiffeuse wird und ein Bub stattdessen Mechaniker. Kommt es dennoch vor, wie das fast immer der Fall ist, dann muss Diskriminierung oder ein Stereotyp oder ein gedankenloser Lehrer dahinterstecken.
Ich möchte hier nicht auf die Debatte eingehen, was Mädchen oder Buben dazu bringt, nach wie vor typische Männer- oder Frauenberufe zu wählen. Ist es die Biologie, ist es die Erziehung? Diese interessante Frage spielt hier keine Rolle, weil es mir in erster Linie um ein liberales Anliegen geht: Mann und Frau können selber wählen, was sie wollen. Sollten sie tun, was traditionell wirkt: Wer ist dazu befugt, sie davon abzubringen? Sicher nicht der Staat. Und ja, sollte eine meiner drei Töchter Elektrikerin werden wollen: Max und sein jüngerer Bruder hätten sicher nichts dagegen, – auch wenn sie dann nicht mehr wissen, wie das auf Französisch heisst. 

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