Man müsste das Volk
auswechseln: Mit dieser Bemerkung hatte Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz einst
die siegreichen EWR-Gegner verärgert. Delamuraz hatte sich herausgenommen, was
ihm als Regierungsmitglied nicht zustand.
Der Baselbieter
Regierungsrat Urs Wüthrich ist zwar nicht Bundesrat. Wenn er aber einen Entscheid
des Parlaments nicht akzeptiert und stattdessen dem Parlament die personelle
Umbesetzung seiner Kommission nahelegt, nimmt er sich ebenfalls heraus, was
einem Regierungsmitglied nicht zusteht. Die Regierung hat weder das Volk zu
schelten noch das Parlament zu massregeln. In der Schweiz – anders als
beispielsweise in Deutschland – sind die Aufgaben von Regierung und Parlament
strikte getrennt. Wenn der Baselbieter Bildungsdirektor ankündigt, er werde die
vom Parlament zurückgewiesene Vorlage zur Integrativen Schulung nochmals
unverändert verabschieden, missachtet er die demokratischen Spielregeln, die in
unserem Land seit jeher gelten.
Warum nicht ein bürgerlicher oder ein grüner Bildungsdirektor? Basler Zeitung, 19.6. von Thomas Dähler
Die Bildungsdirektion
wird im Baselbiet seit Jahrzehnten von einem sozialdemokratischen
Regierungsmitglied geleitet. Möglicherweise hat diese lange Tradition dazu
geführt, dass der Bildungsdirektor und seine engsten Mitarbeiter der
Volksschule etwas gar einseitig den eigenen Stempel aufdrücken wollen. Die
Integrative Schulung ist nur eine von vielen offenen Baustellen. Auch das
Seilziehen um die Schulharmonisierung und den Lehrplan 21 ist nicht
ausgestanden. Die Beitritte zum Sonderpädagogik-Konkordat und zum
Harmos-Konkordat sind kein Freipass, Reformen nach eigenem Gusto zu gestalten.
Ziel müsste es sein, Veränderungen pragmatisch und mehrheitsfähig umzusetzen.
Der Landrat hat letzte
Woche bei seinem Nein zur Integrativen Schulung nicht auf den Mann gespielt.
Die Volksvertreter fordern schlicht anstelle einer unausgegorenen Vorlage einen
guten Kompromiss. Dazu müsste man zuallererst die Betroffenen selber ins Boot
holen. Integrative Schulung lässt sich nicht gegen das Behindertenforum und
nicht gegen die involvierten Eltern verordnen. Es ist nicht mehrheitsfähig,
politisch motivierte Sonderschüler-Kontingente pro Schulhaus festzuschreiben.
Und ebenso wenig opportun ist es, gescheiterte Integrationen gegen den Willen
Betroffener aufrechtzuerhalten, statt auf die Stimmen der Lehrkräfte zu hören.
Ausserdem müssten ausufernde Therapiekosten unbedingt in vernünftige Bahnen
gelenkt werden können.
Rücktrittsdrohungen
zielen ins Leere – vor allem, wenn sie von Magistraten stammen, deren Rücktritt
schon lange vom politischen Gegner gewünscht wird. Konstruktiver wäre es, die
sachlich dokumentierte Kritik an der Vorlage ernst zu nehmen und unter Beizug
von Experten und Betroffenen nach alternativen Lösungsmöglichkeiten zu suchen.
Es gehört zum politischen Alltag, dass Vorlagen zurückgewiesen und neu
ausgearbeitet werden müssen.
Das sture Festhalten an
der eigenen Bildungsideologie führt in die Sackgasse. Auch die breiten und
landesweit geäusserten Vorbehalte gegen den Lehrplan 21 sowie die Vorstösse und
Initiativen gegen Harmos und gegen Teile der Aus- und Weiterbildung von
Lehrkräften können nicht einfach übergangen werden. Ist Kritik mehrheitsfähig,
setzt sie sich früher oder später durch – notfalls gar über einen
entsprechenden neuen Volksentscheid. Urs Wüthrich und seine Mitarbeiter hätten
längst merken müssen, dass sich nicht nur die SVP gegen das Bildungsdiktat
wehrt, sondern auch andere bürgerliche Exponenten und mehrere Exponenten der
Grünen – in anderen Kantonen auch Sozialdemokraten.
Die
Bildungsharmonisierung verfolgt das Ziel, die verschiedenen kantonalen
Schulsysteme einander anzunähern. Inzwischen nehmen dies Bildungsideologen zum
Anlass, die Volksschule in der Schweiz mit Reformen, die eigentlich nichts mit
einer Harmonisierung zu tun haben, in Richtung Gesamtschule weiterzuentwickeln.
Die Schule hat zwar zweifellos auch soziale und erzieherische Aufgaben. Doch in
der Hauptsache zielt auch eine harmonisierte Volksschule in erster Linie darauf
hin, die Kinder und Jugendlichen ohne ideologische Zwänge auf ein möglichst
erfolgreiches Berufsleben vorzubereiten – mit einem fundierten Fachunterricht,
der auf die Möglichkeiten der einzelnen Schülerinnen und Schüler abgestimmt
ist. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger.
Der Kanton Baselland
riskiert in der gegenwärtigen Situation bis zum Ende der Legislaturperiode im
Juni 2015 einen bildungspolitischen Stillstand. Das Parlament in Liestal wird
dafür sorgen, dass keine Experimente umgesetzt werden, die nicht von einer
Mehrheit getragen werden. Auch der Umweg über das Fachgremium Bildungsrat wird
das Parlament blockieren, wenn es um politisch motivierte Weichenstellungen in
Bildungsfragen geht. Nach der Ära Wüthrich könnte dann Mitte 2015 ein
parteipolitischer Wechsel an der Spitze der Bildungsdirektion die
festgefahrenen Fronten aufweichen. Mehrere Kantone in der Schweiz haben damit
gute Erfahrungen gemacht.
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