19. Juni 2014

Politfuchs Wüthrich nimmt Kritik nicht ernst

Man müsste das Volk auswechseln: Mit dieser Bemerkung hatte Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz einst die siegreichen EWR-Gegner verärgert. Delamuraz hatte sich herausgenommen, was ihm als Regierungsmitglied nicht zustand.
Der Baselbieter Regierungsrat Urs Wüthrich ist zwar nicht Bundesrat. Wenn er aber einen Entscheid des Parlaments nicht akzeptiert und stattdessen dem Parlament die personelle Umbesetzung seiner Kommission nahelegt, nimmt er sich ebenfalls heraus, was einem Regierungsmitglied nicht zusteht. Die Regierung hat weder das Volk zu schelten noch das Parlament zu massregeln. In der Schweiz – anders als beispielsweise in Deutschland – sind die Aufgaben von Regierung und Parlament strikte getrennt. Wenn der Baselbieter Bildungsdirektor ankündigt, er werde die vom Parlament zurückgewiesene Vorlage zur Integrativen Schulung nochmals unverändert verabschieden, missachtet er die demokratischen Spielregeln, die in unserem Land seit jeher gelten.
Warum nicht ein bürgerlicher oder ein grüner Bildungsdirektor? Basler Zeitung, 19.6. von Thomas Dähler


Die Bildungsdirektion wird im Baselbiet seit Jahrzehnten von einem sozialdemokratischen Regierungsmitglied geleitet. Möglicherweise hat diese lange Tradition dazu geführt, dass der Bildungsdirektor und seine engsten Mitarbeiter der Volksschule etwas gar einseitig den eigenen Stempel aufdrücken wollen. Die Integrative Schulung ist nur eine von vielen offenen Baustellen. Auch das Seilziehen um die Schulharmonisierung und den Lehrplan 21 ist nicht ausgestanden. Die Beitritte zum Sonderpädagogik-Konkordat und zum Harmos-Konkordat sind kein Freipass, Reformen nach eigenem Gusto zu gestalten. Ziel müsste es sein, Veränderungen pragmatisch und mehrheitsfähig umzusetzen.
Der Landrat hat letzte Woche bei seinem Nein zur Integrativen Schulung nicht auf den Mann gespielt. Die Volksvertreter fordern schlicht anstelle einer unausgegorenen Vorlage einen guten Kompromiss. Dazu müsste man zuallererst die Betroffenen selber ins Boot holen. Integrative Schulung lässt sich nicht gegen das Behindertenforum und nicht gegen die involvierten Eltern verordnen. Es ist nicht mehrheitsfähig, politisch motivierte Sonderschüler-Kontingente pro Schulhaus festzuschreiben. Und ebenso wenig opportun ist es, gescheiterte Integrationen gegen den Willen Betroffener aufrechtzuerhalten, statt auf die Stimmen der Lehrkräfte zu hören. Ausserdem müssten ausufernde Therapiekosten unbedingt in vernünftige Bahnen gelenkt werden ­können.
Rücktrittsdrohungen zielen ins Leere – vor allem, wenn sie von Magistraten stammen, deren Rücktritt schon lange vom politischen Gegner gewünscht wird. Konstruktiver wäre es, die sachlich dokumentierte Kritik an der Vorlage ernst zu nehmen und unter Beizug von Experten und Betroffenen nach alternativen Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Es gehört zum politischen Alltag, dass Vorlagen zurückgewiesen und neu ausgearbeitet werden müssen.
Das sture Festhalten an der eigenen Bildungsideologie führt in die Sackgasse. Auch die breiten und landesweit geäusserten Vorbehalte gegen den Lehrplan 21 sowie die Vorstösse und Initiativen gegen Harmos und gegen Teile der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften können nicht einfach übergangen werden. Ist Kritik mehrheitsfähig, setzt sie sich früher oder später durch – notfalls gar über einen entsprechenden neuen Volksentscheid. Urs Wüthrich und seine Mitarbeiter hätten längst merken müssen, dass sich nicht nur die SVP gegen das Bildungsdiktat wehrt, sondern auch andere bürgerliche Exponenten und mehrere Exponenten der Grünen – in anderen Kantonen auch Sozialdemokraten.
Die Bildungsharmonisierung verfolgt das Ziel, die verschiedenen kantonalen Schulsysteme einander anzunähern. Inzwischen nehmen dies Bildungsideologen zum Anlass, die Volksschule in der Schweiz mit Reformen, die eigentlich nichts mit einer Harmonisierung zu tun haben, in Richtung Gesamtschule weiterzuentwickeln. Die Schule hat zwar zweifellos auch soziale und erzieherische Aufgaben. Doch in der Hauptsache zielt auch eine harmonisierte Volksschule in erster Linie darauf hin, die Kinder und Jugendlichen ohne ideologische Zwänge auf ein möglichst erfolgreiches Berufsleben vorzubereiten – mit einem fundierten Fachunterricht, der auf die Möglichkeiten der einzelnen Schülerinnen und Schüler abgestimmt ist. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger.
Der Kanton Baselland riskiert in der gegenwärtigen Situation bis zum Ende der Legislaturperiode im Juni 2015 einen bildungspolitischen Stillstand. Das Parlament in Liestal wird dafür sorgen, dass keine Experimente umgesetzt werden, die nicht von einer Mehrheit getragen werden. Auch der Umweg über das Fachgremium Bildungsrat wird das Parlament blockieren, wenn es um politisch motivierte Weichenstellungen in Bildungsfragen geht. Nach der Ära Wüthrich könnte dann Mitte 2015 ein parteipolitischer Wechsel an der Spitze der Bildungsdirektion die festgefahrenen Fronten aufweichen. Mehrere Kantone in der Schweiz haben damit gute Erfahrungen gemacht.

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