22. Juni 2014

Kurse für Kindergärtler

Neuerdings bieten Schulgemeinden Kurse an, um Kinder auf den Kindergarten vorzubereiten. Brigitte Fleuti (Präsidentin des Verbandes Kindergarten Zürich) meint, dies sei nur in Ausnahmefällen nötig. 




Brigitte Fleuti macht sich Gedanken zum Verhältnis Eltern-Kind.

Der externe Standpunkt. Was Kinder brauchen, um gut in die Schule zu starten, NZZaS, 22.6. von Brigitte Fleuti


Ein Kurs für alle Lebenslagen? Wie diese Woche bekannt geworden ist, bieten verschiedene Schweizer Schulgemeinden, etwa die Stadt Aarau, Vorbereitungskurse für den Kindergarten an. In solchen Crashkursen sollen Kinder mit elementaren sozialen und motorischen Fähigkeiten vertraut gemacht werden, die es im Kindergarten braucht.
Vor 30 Jahren wurden die Regeln des Zusammenlebens in kinderreichen Familien und Nachbarschaften geübt. Anstand, Begrüssungsrituale und Regelbewusstsein waren eine Selbstverständlichkeit. Mit Ausnahmen, natürlich?. . .
Heute jedoch kommen nicht mehr 24 Kinder, sondern eher 24 kleine Prinzen und Prinzessinnen (und deren Königseltern) zu uns in den Kindergarten. Ungeübt darin, das eigene Bedürfnis auch einmal zurückzustellen, sind sie gerne im Mittelpunkt. Ein einfaches Singspiel kann so zur grössten Herausforderung werden. Alle wollen die Ersten sein, die Einzigen, und das verkünden sie lauthals, reklamieren oder beginnen gar zu weinen, wenn ein anderes Kind an der Reihe ist. Warten zu können, zuschauen und erkennen, wie das Spiel und die Gemeinschaft in einer Gruppe funktionieren, oder auch eine angemessene Frustrationstoleranz, sind Fähigkeiten, die viele vierjährige Kinder nicht mehr mitbringen.
Die Klärung der vielen kleinen und grossen Störungen nimmt die Aufmerksamkeit der Lehrerin oder des Lehrers im Kindergarten in Anspruch und lässt das Unterrichten und die Lerninhalte zeitweise in den Hintergrund treten. Dass in den heterogener gewordenen Klassen andere Kinder mit sehr guten und vielfältigen Kompetenzen ausgerüstet sind, macht die Führung der Gruppe nicht einfacher.
Die heutigen Kinder treten selbstbewusster auf, sie gehen eher auf Erwachsene zu. Sie sind und waren schon von klein auf einer Vielzahl von Eindrücken ausgesetzt. Kinderwagen werden durch die Einkaufsmeile geschoben, mit Müttern, die oft dauernd am Telefonieren sind. Das Kind ist den Geräuschen, Stimmen, fremden Gesichtern und Gerüchen hilflos ausgeliefert, ohne Blickkontakt zur Mutter. Für Kleinkinder bedeutet das Verwirrung und Stress.
Was aber entspräche denn am besten einem Kleinkind, das sich im Anflug auf seine Schulkarriere befindet? Viele kleine, naheliegende Dinge! Eltern etwa, die ihr iPhone auch einmal abschalten und sich einen Termin mit ihrem Kind eintragen. Dazu gehört: zusammen spielen, miteinander sprechen, den Wald entdecken, auf einem Baumstamm balancieren und erleben, wie gut frische Waldluft tut. Denn Kinder be-greifen die Welt. In der Küche eine Gurke in Scheiben schneiden, selber ausprobieren, was man mit Schachteln, Papier, Leim und Farben alles gestalten kann - dabei lernt das Kind den Umgang mit Materialien und die Feinmotorik, die später auch für den Schrifterwerb wichtig ist. Eltern sind die besten Erzieher. Sie lieben ihr Kind. Ihr Kind liebt sie und braucht sie, um in dieser Welt klarzukommen. Da braucht es keine permanente Auslagerung an Fachleute. Ballett, Waldzauber, Geigenunterricht - das mag eine schöne Erweiterung für das kindliche Umfeld sein. Die Grundlagen aber werden zu Hause gelernt.
Auch ein geregelter Tagesablauf gibt eine wertvolle Struktur, in der das Kind lernt, dass es verschiedene Zeiten gibt: Zeit für Zuwendung, Zeit für Schlafen, Zeit für Essen, Zeit für Musse, Zeit für das Miteinander- und für das Alleinsein. Daran kann es sich orientieren, denn es kennt die Abläufe. So kann es auch lernen zu warten, denn es weiss ja, was kommt. Eltern sind Vorbild und wichtigstes Gegenüber. Von ihnen lernen die Kinder, von ihnen werden sie in das Leben eingeführt, erweitern sprechend und erzählend ihren Wortschatz, hören Geschichten, Bilderbücher, Fingerverse und spüren Geborgenheit.
Eltern, die ihre Verantwortung übernehmen, geben ihren Kindern in den ersten Jahren die wichtigsten Voraussetzungen für die Schuljahre und das Leben ganz selbstverständlich mit. Der Besuch einer Spielgruppe gehört dann einfach zur Erweiterung und Vernetzung mit anderen Kindern.
Zurück zu den Crashkursen. Was für eine Mehrheit überflüssig ist, kann für eine Minderheit sehr sinnvoll sein. Etwa für Kinder, die in den ersten Lebensjahren nicht in entwicklungssförderndem Milieu aufwachsen oder einen Migrationshintergrund haben. Leitet eine Fachfrau diese Vorbereitung, die in vertrauensvoller Atmosphäre die unterschiedlichen Voraussetzungen der Beteiligten aufnimmt, können solche Crashkurse Kindern und Eltern den Start im Kindergarten erleichtern. Die wertvolle Kindergartenzeit wird dann optimal genutzt.

Für alle andern ist oft das ganz Naheliegende das Richtige. Liebe Väter, liebe Mütter, warum nicht heute zusammen mit dem Sohn oder der Tochter eine Wurst bräteln gehen? Das Wetter bietet sich geradezu an!

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