18. Juni 2014

"Drohungen von Urs Wüthrich sind wir uns gewohnt"

Nachdem bekannt wurde, dass der Baselbieter Bildungsdirektor Urs Wüthrich (SP) nun doch noch bis zum Ende seiner Amtszeit weitermacht und nicht vorzeitig zurücktritt, wird er nun mit heftiger Kritik konfrontiert. In einem Interview erklärt die SVP-Landrätin Caroline Mall, weshalb Wüthrich mit der Vorlage zur Integrativen Schulung im Landrat gescheitert ist. 




Mall: Es braucht einen Richtungswechsel, Bild: Basler Zeitung

"Der Bildungsdirektor kennt die Verhältnisse an der Basis nicht", Basler Zeitung, 18.6. von Thomas Dähler


Sie haben mit Ihrem kritischen Votum im Landrat zur Integrativen Schulung massgeblich dazu beigetragen, dass die Regierung nochmals über die Bücher gehen muss. Bildungsdirektor Urs Wüthrich findet, das sei reine Obstruktion. Spielen Sie in erster Linie gegen den Bildungsdirektor?
Nein, darum geht es nicht. Die Vorlage ist für die Praxis untauglich. Sie regelt nur die integrativ zu schulenden Kinder. Wir brauchen aber auch eine Vorlage für den Regelfall. Etwas, das für die Schule als Ganzes tauglich ist.
Hinter dem Grundsatz der Integrativen Schulung steht ein Volksentscheid auf Bundesebene. Wollen Sie diesen rückgängig machen? Der Kanton Baselland hat heute landesweit die höchste Separationsquote der Volksschule.
Nein, ich stelle den Grundsatz der Integrativen Schulung nicht infrage. Sie findet schon heute statt, auch im Kanton Baselland. Wenn wir im Baselbiet weniger separat schulen, heisst das aber auch, dass wir ebenso überdurchschnittlich viele Schüler in ein integratives Programm schicken. Zu viele. Wenn wir dies mit Zürich vergleichen, stellen wir fest, dass dort wesentlich weniger Schüler von Massnahmen betroffen sind, obwohl Zürich auch Probleme mit Fremdsprachigen oder sozial schwierigen Verhältnissen hat. Mittlerweile wird in unserem Kanton jedes zweite Kind therapiert, während noch vor wenigen Jahren nur etwa zehn Prozent als verhaltensauffällig eingestuft waren. Das Klassenzimmer wird zum Therapieraum, in welchem die Therapeuten gleich vor Ort sind und selber darüber befinden können, welche Kinder nun in den Genuss der vom Staat finanzierten Therapieleistungen kommen sollen. Eltern können sich dagegen nur noch auf einem aufwendigen und kostenintensiven Weg wehren.
Kritisiert wurde im Landrat vor allem die Entscheidfindung in den einzelnen Fällen. Wer redet mit und wer beschliesst?
Dies regelt die zurückgewiesene Vorlage meiner Ansicht nach falsch. Der Bildungsdirektor kennt die Verhältnisse an der Basis nicht. Viele Erziehungsberechtigte erfahren heute gar nicht, dass ihre Kinder in ein Förderungsprogramm gesteckt werden. Schreibt heute ein Erstklässler nur schon eine Zahl seitenverkehrt, beginnen Pädagogen einzuschreiten – ohne dies den Eltern überhaupt mitzuteilen. Mit einer kurzen Mitteilung würden die Eltern vielleicht mit dem Kind entsprechend üben, und das Problem löste sich von selber. Auch wenn wirklich Fördermassnahmen nötig werden: Sobald Eltern mit der Massnahme nicht einverstanden sind, kommen sie in den Clinch und fühlen sich ohnmächtig. Dies bleibt nicht ohne Kostenfolgen.
Solche Entscheide können aber kaum allein den Eltern überlassen werden.
Die Erziehungsberechtigten werden aus meiner Sicht zu wenig in die schulische Laufbahn miteinbezogen, Ängste und Unkenntnis der Erziehungsberechtigten müssen ernst genommen werden, und zwar in einem frühen Stadium. Damit würde Ruhe in der Schullandschaft geschaffen werden, damit die Lehrpersonen ihrer eigentlichen Aufgabe, nämlich Wissen zu vermitteln, endlich wieder gerecht werden können.
In der Vorlage enthalten sind auch Kontingente, damit nicht beliebig finanzielle Mittel aufgewendet werden. Als bürgerliche Politikerin müsste es ihnen ein Anliegen sein, die Kosten zu begrenzen?
Eine Steuerung mit dem vorgelegten Konzept funktioniert nicht. Die Vorlage verlagert die Kosten nur vom Kanton zu den Gemeinden. Dem System fehlt es gänzlich an Transparenz. In keinem Bereich sind die Kosten derart gestiegen wie im Bildungs­bereich, und dies ohne sichtbare Verbesserung des Bildungsniveaus. Insbesondere die Bildungsbürokratie wurde zulasten der Ausbildung laufend ausgebaut. Auch werden zurzeit im ganzen Kanton für über 600 Millionen Franken Schulhäuser erweitert oder gar neu gebaut. Ein unglaublicher Leerlauf, da es nicht mehr Schüler gibt. Der Steuerzahler kann eine solche Entwicklung nur schwer nachvollziehen.
Streit gab es im Landrat auch bei der Frage gescheiterter Integration.
Wir waren auch der Ansicht, dass bei einem Misserfolg ein Projekt sofort abgebrochen wird und nicht mehrere vergebliche Versuche unternommen werden.
Ist es denn so schwierig, Kompromisse zu schliessen – die Vorlage der Integrativen Schulung wurde immerhin an sieben landrätlichen Kommissionssitzungen besprochen?
Der Bildungsdirektion ging es darum, die Vorlage als Gesamtprojekt umzusetzen. Teile davon herauszubrechen und anders zu regeln, erwies sich bisher als chancenlos. Die SP unterstützt ihren Regierungsrat stets ohne Einschränkung. Das Resultat ist, dass heute sowohl die Lehrer als auch die Eltern weitgehend unzufrieden sind. Grossartig angekündigte Projekte arten in eine permanente Reformitis aus, und die Schulen kommen kaum dazu, die letzte Reform anzugehen, bevor die nächste schon wieder angekündigt wird. Es wäre aus meiner Sicht an der Zeit, eine Wende in der Schullandschaft des Kantons Baselland anzupeilen. Unsere gute Schule Baselland muss sich an den Bedürfnissen von Kindern, Eltern und Lehrern orientieren.
Sind Sie auch grundsätzlich gegen das Harmos-Konkordat?
Harmos ist gefloppt. Der Lehrplan 21 bevormundet jede Lehrperson im Schulbetrieb. Individualität, Persönlichkeit und Durchsetzungsvermögen werden durch Plan- und Soll-Spiele abgelöst. Die Lehrperson wird neu zum Coach degradiert.

Hand aufs Herz: Sie stehen schon im Wahlkampf.
Nein, es geht mir um die Sache. Es braucht einen Richtungswechsel, sodass wieder Vertrauen an der Basis spürbar wird. Drohungen von Urs Wüthrich sind wir uns gewohnt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen