27. Juni 2014

Zürcher Schulreformen: Fehlentwicklungen korrigieren

Der ehemalige Sekretär des Zürcher Lehrerverbands (ZLV), Ueli Zulauf, meldet sich in einem Leserbrief zu Wort. Der Schulversuch "Fokus starke Lernbeziehungen" sei leider nichts anderes als die Korrektur einer Fehlentwicklung. Der Text kulminiert mit der Feststellung: "Stossend daran ist, dass dabei jene recht bekommen, die schon immer gewusst haben, dass man am besten alles beim Alten belässt"
Auf Zulauf reagiert nun Thomas Ziegler, pensionierter Sekundarlehrer. 


Schulreformen benachteiligen die Buben, Bild: Keystone

Reaktion auf Leserbrief Zulauf von Thomas Ziegler




Lieber Ueli Zulauf

„...jene bekommen recht, die schon immer gewusst haben, dass man am besten alles beim Alten belässt“.
Diese (zu) späte Einsicht ehrt dich – anders als all die Bildungstechnokraten, akademisch gebildeten Erziehungswissenschafter (ohne Praxisbezug) und Schulbehörden (und die ganze „Heilpädagogen-Mafia“), die immer noch alles wunderbar findet.

Allerdings hat niemand alles beim Alten lassen wollen, sondern wir wollten z.B. eine statt zwei Fremdsprachen auf der Primarstufe, eine Integration nur der körperlich behinderten (und nicht auch noch der Verhaltensoriginellen oder wirklich ganz leistungsschwachen) Kinder, keine Aufgabe des Klassenlehrerprinzips, v.a nicht an der Primarschule, eine differenzierte Stundentafel auf der Sekundarschulstufe usw. Und wir befürchteten, dass die Reformen von den Bildungstheoretikern (und deren politischer Führungsriege) von oben herab „ohne Pardon“  durchgezogen würden, ohne die Erfahrungen von ausgewiesenen Lehrkräften an der Front genügend zu berücksichtigen. Jeder Lehrer, der nicht zu jeder (radikalen) Reform ja sagte, wurde als rückständig, (ver)alt(et), konservativ oder überheblich diffamiert – von der Presse über die Bildungsbehörden bis zu den (meisten) Lehrervereinen...

Dass heute die BiD durch das Volk wenigstens in kleinsten Schritten (Grundstufe, Unterrichtssprache Kindergarten; Opposition gegen Totalintegration) zurückgepfiffen wird, ist nur eine kleine Genugtuung. Dass ich (und viele andere) recht bekommen haben, vermag mich gar nicht zu erfreuen – im Gegenteil.
Dass die Rückkehr zu einem System mit wenigstens „nur“ zwei Lehrkräften als (neu erfundener) Versuch dargestellt wird, ist hingegen geradezu zynisch.

Wenn ich heute (als „Senior im Klassenzimmer“ und als sehr engagierter Grossvater) ins Klassenzimmer komme, kann ich mich vor lauter Atelier-, Werkstatt- und Gruppen-unterricht (in dem stundenlang Arbeitsblätter ausgefüllt werden) selten erwärmen. Zwei bis drei (wechselnde) Lerncoaches (insgesamt sechs bis sieben) statt Lehrkräfte sorgen dafür, dass (langweilige) Ruhe und gute soziale Zusammenarbeit herrschen – eine (Klassen)lehrkraft, eine Persönlichkeit, die auch begeistern kann, fehlt. Besonders nachteilig wirkt sich das auf (wilde) Buben aus. Dass die Schule heute bubenfeindlich (mit entsprechenden Auswirkungen auf die Mittelschulquote) geworden ist, ist nicht nur deren Schuld, sondern auch die der Reformen (und der Verweiblichung des Lehrkörpers).

Und so komme ich zu dem, was für mich an der Entwicklung der Volksschule am stossendsten ist: Als (einst) glühender Befürworter des „gebrochenen“ Bildungsweges (und als Vater eines aktiven Seklehrers, der genau so spricht) muss ich heute meinem ältesten Enkel (5. Klasse) zum Langzeitgymi raten statt zur Sekundarschule, denn v.a. diese Stufe ist mit dem Segen von Buschor und Co. „zu Tode“ reformiert worden.

Mit kollegialen Grüssen

Thomas Ziegler, Alt-Seklehrer, -Bezirksschulpflegepräsident, -Kantonsrat


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