Ein Berner Grüner spricht fortan Hochdeutsch im Grossen Rat: welch eine Leistung! Bild: swissinfo.ch
Die Deutschen müssen wir nicht lieben, aber das Deutsche, NZZaS, 8.6. von Daniel Meier
Als 1901 im
bernischen Kantonsparlament ein jurassischer Grossrat forderte, man möge
künftig Hochdeutsch sprechen, damit auch die französischsprechenden
Ratsmitglieder etwas verstehen, war die deutschsprechende Mehrheit empört. Da
er die Forderung auf Deutsch vorbringe, sei ja bewiesen, dass da kein Problem
bestehe, antwortete man ihm - und versenkte den Vorstoss.
Seither haben die Grossräte in Bern immer wieder über einen
Wechsel abgestimmt, sechsmal in den letzten 30 Jahren. Diese Woche sprachen sie
sich erneut klar dagegen aus. Die Argumente sind seit 100 Jahren die gleichen:
Auf Berndeutsch debattiere es sich eben spontaner. Jeder soll reden können, wie
ihm der Schnabel gewachsen sei.
Hochdeutsch oder Mundart - im alten Sprachenstreit lässt sich
ein Punkt leicht klären: Wenn das Gegenüber Mühe mit dem Dialekt hat, wechselt
man auf Hochdeutsch. Das nennt man Anstand. Doch die Berner sind nicht so
arrogant, wie es zunächst scheint. Selbst den Voten in rustikalem Oberländer
Dialekt können die Jurassier durchaus folgen - dank Simultanübersetzung ins
Französische. Auch andere zweisprachige Parlamente behelfen sich mit Dolmetschern.
Vielsprachigkeit ist wertvoll, und sie ist teuer.
Gleichwohl offenbaren die Berner mit ihrer trotzigen Weigerung
den Abwehrreflex, der in der ganzen Deutschschweiz jeweils zutage tritt, sobald
etwas zu deutsch klingt. Das war nicht immer so. Noch um 1900 wurde das Ende
der Mundart vorausgesagt. Mehr und mehr redete man Hochdeutsch, in der Zürcher
Oberschicht vereinzelt sogar im Alltag. Doch dann setzte der Dialekt zum
grossen Comeback an. Zunächst wanderten mehr Ausländer ein, worauf sich die
Schweizer in ihre ureigene Sprache zurückzogen. In den beiden Weltkriegen
stärkte man bewusst den Dialekt, um zu Deutschland auf Distanz zu gehen. Von
kultureller Überfremdung durch die Reichsdeutschen war die Rede. In den
sechziger Jahren setzte schliesslich eine weitere Mundartwelle ein, auch als
Zeichen des Protests gegen die Obrigkeit.
Dieser Vormarsch der Mundart im öffentlichen Leben hält bis
heute an. Einst wurde an Schulen nur Hochdeutsch gesprochen, auch im Turnen, in
der Pause. Inzwischen ist sogar an der Universität Mundart zu hören. Der
Pfarrer, der Offizier, die Stadtpräsidentin, der Bundesrat, sie alle plaudern
in ihrem Dialekt - vor 50 Jahren undenkbar. Die erste Mundart-Radiosendung war
1968 ein Grosserfolg. Mittlerweile beschränkt sich das Hochdeutsche oft auf
Staumeldungen. Neue Fernsehsendungen heissen «SRF bi de Lüt» - oder aber «The
Voice of Switzerland».
Nichts gegen Mundart. Sich in Fiesch, in Gais, Steckborn oder
Sörenberg an lokalen Eigenheiten zu erfreuen, das ist wunderbar. Aber Hochdeutsch
ist unsere zweite Muttersprache. Wir sind quasi bilingue - eigentlich ein
Geschenk. Wie ein Spanier, der durch Südamerika reist, können wir in Berlin
oder Wien mit den Leuten reden, ihre Bücher und Zeitungen lesen, an ihrer
Kultur teilhaben.
Kinder sprechen ihre ersten Worte im Dialekt, aber kaum
schnappen sie Deutsch auf, ahmen sie es nach, spielerisch, lustvoll - und oft
recht geschliffen. Die Kinder der vielen deutschen Einwanderer sind ihre
Lehrer. Später lernen wir das Hochdeutsch richtig, in Wort und Schrift. Doch
nach der Schule folgt der Schnitt. Hier die Mundart, die wir ausschliesslich
sprechen, dort das Hochdeutsche, dass wir ausschliesslich schreiben und lesen.
Oder im deutschen Fernsehen hören.
Aber wer gar kein Hochdeutsch spricht, verliert die Übung. Diese
Muttersprache wird zur Fremdsprache. Falls man doch wieder einmal Deutsch reden
muss, weil ein Tourist oder ein eingewanderter IT-Manager aus Köln etwas fragt,
tut man sich schwer und fühlt sich unwohl. Ressentiments können auch aus solchen
Erlebnissen entstehen. Und die Entfremdung schreitet voran.
Dem wollten die Bildungsdirektoren entgegenwirken. Mit
Frühdeutsch im Kindergarten sollte wohl die Liebe zum Deutschen besser
verankert werden. Dieser Schuss ging nach hinten los, die Gegenreaktion an der
Urne fiel klar aus. Nach dem Kanton Zürich stimmte im Mai auch der Aargau für
die Dialektpflicht. Überraschend war das nicht: Viele sahen die Mundart und
ihre Schweizer Identität gefährdet, wenn schon Kindergärtler Hochdeutsch
sprechen müssen.
Den Schweizern das Deutsche vorzuschreiben, ist eine ganz
schlechte Idee. Übrigens taugt es auch nicht als Mittel, um mehr Weltoffenheit
zu erzwingen. Wenn überhaupt, dann schwingt das Pendel von selbst zurück.
Jugendliche tippen auf Facebook im Dialekt. Wer das daneben findet, verkennt,
dass sich Sprache nur so verändern kann. Vielleicht redet eine kommende
Generation wieder Deutsch - einfach aus Freude daran.
Es ist Zeit, den Schützengraben der geistigen Landesverteidigung
zu verlassen. Mancher mag Mühe haben mit der deutschen Art. Nun denn, die
Deutschen müssen wir nicht lieben, aber das Deutsche. Wir sollten unverkrampft
und selbstbewusst mit dieser Sprache umgehen, die auch die unsere ist. Niemand
muss in gestelztem Bühnendeutsch oder Schachtelsätzen sprechen, auch nicht laut
und schnell, wir müssen uns schliesslich nicht assimilieren. Dass hier ein
Schweizer Deutsch spricht, darf man durchaus hören.
Der Grüne Urs Muntwyler, der mit seinem Vorstoss in Bern
gescheitert ist, redet fortan im Grossen Rat Hochdeutsch. Das ist offiziell
erlaubt. Nur hat es bisher niemand gemacht.
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