8. Mai 2014

Rücktrittsforderung an Urs Wüthrich

Das reformkritische Komitee Starke Schule Baselland fordert den "möglichst schnellen Wechsel an der Spitze der Bildungsdirektion". Grund für diese für Schweizer Verhältnisse ungewöhnlichen Äusserung ist die Broschüre "Pädagogische Kooperation", welche die Zusammenarbeit unter den Lehrkräften einheitlich regeln soll. Jede Schulleitung soll in Zukunft ein Modell bestimmen, nach dem sich die Lehrkräfte zu richten haben. Michael Pedrazzi, Vorstandsmitglied des Komitees Starke Schule Baselland: "Wer sich nicht fügen will, dem droht die Kündigung".




Gleichschaltung des Unterrichts nach DDR-Manier? Bild: Basellandschaftliche Zeitung

Frontalangriff auf Bildungsdirektor Urs Wüthrich, Basler Zeitung, 8.5. von Boris Gygax


Das Komitee Starke Schule Baselland fährt rhetorisch schweres Geschütz gegen die Bildungsdirektion auf. Von «Ideologie nach DDR-Manier» ist in einem Communiqué die Rede, von einer «Demontage des Schulsystems», «Gleichschaltung» und «Meinungsdiktatur». Zu guter Letzt fordert es nichts weniger als den Rücktritt des Bildungsdirektors Urs Wüthrich: «Das Komitee Starke Schule Baselland befürwortet einen möglichst schnellen Wechsel an der Spitze der Bildungsdirektion.»
Anlass für den neusten Aufreger ist die Broschüre «Pädagogische Kooperation» der Bildungsdirektion. Zurzeit beraten die Schulleitungen darüber, wie die Lehrer künftig zusammenarbeiten sollen. Das Ziel: Die Teamarbeit soll einheitlich geregelt werden. Konkret: Die Arbeitsteilung unter den Lehrern und die Art der Vermittlung der Inhalte werden festgelegt. Was bisher die Lehrer organisieren konnten, wird nach den Wünschen der Bildungsdirektion standardisiert. Jede Schulleitung soll in Zukunft ein Modell bestimmen, nach dem sich die Lehrkräfte zu richten haben.
Damit missachte der Kanton die Grundrechte der Lehrperson in ihrer methodischen und didaktischen Unterrichtstätigkeit, findet Michael Pedrazzi, Vorstandsmitglied des Komitees Starke Schule Baselland. Im Bildungsgesetz sei die freie Gestaltung des Unterrichts innerhalb der Lehrpläne und des Schulprogramms verankert. «Was bleibt uns Lehrern noch, wenn wir den Unterricht nach einem Schema X gestalten müssen?», fragt sich der Sekundarlehrer. Zudem würden Lehrer mit der Vorgabe unter Druck gesetzt: «Wer sich nicht fügen will, dem droht die Kündigung.»
«Niveaulose Verlautbarung»
Diese «Zwangsvereinheitlichung» sei ein Frontalangriff auf ein funktionierendes Bildungssystem, legt Pedrazzi nach. Die heutige Zusammenarbeit zwischen den Lehrpersonen funktioniere ausgezeichnet. Werde eine Regelung in das Schulprogramm integriert, komme dies einer Überwachung der Unterrichtsmethoden gleich, «einer Lehrtätigkeit à la DDR-Arbeitsbrigaden». Darum sei der harsche Begriff gerechtfertigt, findet Geschichtslehrer Pedrazzi.
Bildungsdirektor Urs Wüthrich möchte sich zu diesen Vorwürfen gar nicht erst erklären. «Aus Respekt gegenüber den zahlreichen Lehrpersonen, die mit hoher Professionalität und grossem Engagement ihre anspruchsvolle Aufgabe erfüllen, beteilige ich mich nicht an der öffentlichen Diskussion über diese absolut niveaulose Verlautbarung», sagt er auf Anfrage. Gerne hätte die BaZ von ihm gewusst, was die Bildungsdirektion mit dieser Broschüre genau beabsichtigt und wie verbindlich die Vorgaben sein werden. Offensichtlich scheint darüber keine Klarheit zu herrschen.
Michael Weiss, interimistischer Präsident des Lehrervereins (LVB), kritisierte die Broschüre bereits, nachdem sie im November zufällig in seine Hände geraten war. Er schrieb im Januar in der Verbandszeitschrift: «Die Broschüre überschreitet die Grenzen des Vernünftigen und Notwendigen.» Zudem würde der Lehrerberuf dadurch weiter an Attraktivität verlieren, die Lehrer würden zu «Standardtrainern» degradiert und das vorgesehene Konzept missachte die Authentizität der Lehrpersonen, die zu den «allerwichtigsten Bedingungen für ein erfolgreiches Lehren gehören».
Heute sieht er die ganze Angelegenheit etwas gelassener. Durch die Wegleitung schlage die Bildungsdirektion lediglich Modelle vor, «mehr darf es auch nicht sein», betont Weiss. Das Papier sei lediglich eine Art von Orientierungshilfe. So habe es jedenfalls Bildungsdirektor Urs Wüthrich an der LVB-Delegiertenversammlung im April dargestellt. «Hier werde ich ihn beim Wort nehmen». Ganze anders Pedrazzi: Auf den 72 Seiten tauchen die Begriffe «Verankerung» und «Verbindlichkeiten» immer wieder auf. Er befürchtet, dass ein dogmatischer Paradigmenwechsel durch die Hintertüre eingeführt werde.
Drei Monate für eine Antwort
Schon an der Delegiertenversammlung des LVB Anfang April sorgte dieser Punkt für Verunsicherung. Damals wurde Thomas von Felten, Harmos-Mandatsleiter der Sekundarstufe 1, mit der Frage konfrontiert, ob Lehrern gekündigt werden könne, wenn sie das beschlossene Modell der Schulleitung nicht mittragen würden. Nur zögerlich bestätigte dies von Felten.

Es ist nicht das erste Mal, dass es im Projekt Bildungsharmonisierung diesbezüglich an klarer Kommunikation und Transparenz mangelt. Weiss forderte schon im Dezember 2013 eine Stellungnahme des Bildungsdirektors, wie verbindlich die Broschüre sei. Eine Antwort erhielt er an der erwähnten Veranstaltung des LVB im April.

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