Hanna Muralt Müller: "Das Potenzial aller besser ausschöpfen".
Für eine nationale Bildungsstrategie, NZZ, 3.5. von Michael Schoenenberger
Die Akademien
der Wissenschaften Schweiz haben am Freitag ein «Plädoyer für eine nationale
Bildungsstrategie» veröffentlicht. Oberstes Ziel einer solchen Strategie
müssten aus Sicht der Verfasser die Sicherstellung der Handlungskoordination
der beteiligten Akteure und die Gewährleistung einer kohärenten Entwicklung im
Bildungssystem sein. Den Lead sollen der Bund und die Eidgenössische Konferenz
der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) übernehmen.
Potenzial ausschöpfen
Um
Missverständnissen vorzubeugen: Die Akademien wünschen keine zentralistische
Steuerung des Systems, sondern die Verständigung auf übergeordnete Ziele, an
denen sich die Akteure zu orientieren hätten. Eine solche Strategie, wird
betont, stehe nicht im Widerspruch zu kantonalen und kommunalen Kompetenzen und
Verantwortlichkeiten. Sie sei aber sehr wohl - im Lichte des kooperativen
Föderalismus - zugleich als Schutz vor Übersteuerung und administrativen
Eingriffen gedacht.
Hanna Muralt
Müller, Mitglied der Arbeitsgruppe «Zukunft Bildung Schweiz» der Akademien,
formulierte es vor den Medien in Bern so: «Es geht darum, dass wir das
Potenzial aller besser ausschöpfen.» Das ist umfassend gemeint: von der
Frühförderung über den gezielten Einbezug von Migrantenkindern bis zur
Weiterbildung und zu Tagesschulen, die eine bessere Vereinbarkeit von Familie
und Beruf für Frauen und Männer ermöglichen würden. Mit konkreten Vorschlägen
halten sich die Akademien sehr zurück, es gehe nun zunächst um die Einleitung
eines Prozesses, der zur nationalen Bildungsstrategie führen solle.
In der
Analyse des Ist-Zustandes jedoch finden die Autoren des Plädoyers klare,
teilweise harte Worte. So sei das Bildungssystem unübersichtlich geworden, es
gebe Probleme an den Schnittstellen der verschiedenen Bildungsbereiche. Die
Bildungseinrichtungen stünden zudem zwischen Innovationsdruck und Reformkritik,
was manche Akteure geradezu lähme. Die Akademien stellen, wohl nicht zu
Unrecht, einen Vertrauensverlust und eine Entfremdung aller Partner im
Bildungssystem fest. Die Rede ist auch von einer immer komplexeren Landschaft
von Gremien, deren Akteure nur bedingt nach einem gemeinsamen
Orientierungsrahmen handelten - und bemängelt wird eine «geringe Transparenz».
Von fehlender demokratischer Kontrolle oder Legitimation solcher Gremien wird
aber nicht gesprochen. Anstrengungen von Bund und Kantonen werden zwar
ausdrücklich anerkannt, trotzdem wird festgehalten: «Wir stellen fest, dass bis
heute eine klare bildungspolitische Zielsetzung (. . .) weitgehend fehlt.»
Die Herausforderungen
Ausgehend vom
Weissbuch 2009 formulieren die Akademien im Plädoyer nun acht Herausforderungen
«von strategischer Bedeutung». Sie betreffen etwa die Volksschule, das
lebenslange Lernen oder die Verschränkung von Schule und Gesellschaft. Im
Weissbuch war die Rede von einem an die «Grenzen seiner Leistungsfähigkeit
stossenden dualen Bildungssystem». Die Berufsbildung wird denn auch heute
weiterhin als Herausforderung gesehen: Genannt ist eine Entwicklung, welche die
klare Profilierung von allgemeinbildenden und berufsbildenden Ausbildungsgängen
erschwere. Kritik erfahren darum die wechselseitige Abschottung von Gymnasium
und Berufslehre sowie die geringe Nutzung von Übertrittsmöglichkeiten. Ein
wachsendes Problem sei der stark expandierende tertiäre Bereich: Es komme zu
Überschneidungen von Angeboten, zu unklaren Profilen und durch die ausgeweitete
Definition des Forschungsbegriffs zu einer Hemmung der Profilbildung von
Hochschulen.
Mehrfach
wurde vor den Medien sodann betont, es gelte dringend, das Personal an der
«Front», die Profession als solche zu stärken. Denn die Qualität von
Bildungssystemen stehe und falle mit der Qualität ihres Personals. Zuletzt
erwähnt, aber nicht minder wichtig sind Steuerung und Finanzierung: Eine
nationale Bildungsstrategie habe den rechtlichen Rahmen sowie die Formen der
kooperativen Steuerung und Finanzierung zu klären.
Gewerbeverband empört
Postwendend
reagierte am Freitag der Schweizerische Gewerbeverband (SGV). In Bezug auf die
duale Berufsbildung sei das Plädoyer unqualifiziert, es zeuge von mangelndem
Fachwissen über die Stärken des Bildungssystems und seiner Akteure. Als
Positivum genannt wird die rekordtiefe Jugendarbeitslosigkeit. Das Papier
scheine nur dem Zweck zu dienen, Probleme zwischen den Verbundpartnern herbeizuschreiben.
Empört fordert der SGV eine Überprüfung der Bundesmittel, die für die Akademien
gesprochen werden.
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