3. Mai 2014

Nationale Bildungsstrategie gefordert

Die Akademien der Wissenschaften fordern eine nationale Bildungsstrategie von der Frühförderung über den gezielten Einbezug von Migrantenkindern bis zur Weiterbildung und zu Tagesschulen. Das Bildungssystem sei unübersichtlich geworden, es gebe Probleme an den Schnittstellen. Kritik erfährt insbesondere auch die wechselseitige Abschottung von Gymnasium und Berufslehre.




Hanna Muralt Müller: "Das Potenzial aller besser ausschöpfen".

Für eine nationale Bildungsstrategie, NZZ, 3.5. von Michael Schoenenberger



Die Akademien der Wissenschaften Schweiz haben am Freitag ein «Plädoyer für eine nationale Bildungsstrategie» veröffentlicht. Oberstes Ziel einer solchen Strategie müssten aus Sicht der Verfasser die Sicherstellung der Handlungskoordination der beteiligten Akteure und die Gewährleistung einer kohärenten Entwicklung im Bildungssystem sein. Den Lead sollen der Bund und die Eidgenössische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) übernehmen.
Potenzial ausschöpfen
Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Akademien wünschen keine zentralistische Steuerung des Systems, sondern die Verständigung auf übergeordnete Ziele, an denen sich die Akteure zu orientieren hätten. Eine solche Strategie, wird betont, stehe nicht im Widerspruch zu kantonalen und kommunalen Kompetenzen und Verantwortlichkeiten. Sie sei aber sehr wohl - im Lichte des kooperativen Föderalismus - zugleich als Schutz vor Übersteuerung und administrativen Eingriffen gedacht.
Hanna Muralt Müller, Mitglied der Arbeitsgruppe «Zukunft Bildung Schweiz» der Akademien, formulierte es vor den Medien in Bern so: «Es geht darum, dass wir das Potenzial aller besser ausschöpfen.» Das ist umfassend gemeint: von der Frühförderung über den gezielten Einbezug von Migrantenkindern bis zur Weiterbildung und zu Tagesschulen, die eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und Männer ermöglichen würden. Mit konkreten Vorschlägen halten sich die Akademien sehr zurück, es gehe nun zunächst um die Einleitung eines Prozesses, der zur nationalen Bildungsstrategie führen solle.
In der Analyse des Ist-Zustandes jedoch finden die Autoren des Plädoyers klare, teilweise harte Worte. So sei das Bildungssystem unübersichtlich geworden, es gebe Probleme an den Schnittstellen der verschiedenen Bildungsbereiche. Die Bildungseinrichtungen stünden zudem zwischen Innovationsdruck und Reformkritik, was manche Akteure geradezu lähme. Die Akademien stellen, wohl nicht zu Unrecht, einen Vertrauensverlust und eine Entfremdung aller Partner im Bildungssystem fest. Die Rede ist auch von einer immer komplexeren Landschaft von Gremien, deren Akteure nur bedingt nach einem gemeinsamen Orientierungsrahmen handelten - und bemängelt wird eine «geringe Transparenz». Von fehlender demokratischer Kontrolle oder Legitimation solcher Gremien wird aber nicht gesprochen. Anstrengungen von Bund und Kantonen werden zwar ausdrücklich anerkannt, trotzdem wird festgehalten: «Wir stellen fest, dass bis heute eine klare bildungspolitische Zielsetzung (. . .) weitgehend fehlt.»
Die Herausforderungen
Ausgehend vom Weissbuch 2009 formulieren die Akademien im Plädoyer nun acht Herausforderungen «von strategischer Bedeutung». Sie betreffen etwa die Volksschule, das lebenslange Lernen oder die Verschränkung von Schule und Gesellschaft. Im Weissbuch war die Rede von einem an die «Grenzen seiner Leistungsfähigkeit stossenden dualen Bildungssystem». Die Berufsbildung wird denn auch heute weiterhin als Herausforderung gesehen: Genannt ist eine Entwicklung, welche die klare Profilierung von allgemeinbildenden und berufsbildenden Ausbildungsgängen erschwere. Kritik erfahren darum die wechselseitige Abschottung von Gymnasium und Berufslehre sowie die geringe Nutzung von Übertrittsmöglichkeiten. Ein wachsendes Problem sei der stark expandierende tertiäre Bereich: Es komme zu Überschneidungen von Angeboten, zu unklaren Profilen und durch die ausgeweitete Definition des Forschungsbegriffs zu einer Hemmung der Profilbildung von Hochschulen.
Mehrfach wurde vor den Medien sodann betont, es gelte dringend, das Personal an der «Front», die Profession als solche zu stärken. Denn die Qualität von Bildungssystemen stehe und falle mit der Qualität ihres Personals. Zuletzt erwähnt, aber nicht minder wichtig sind Steuerung und Finanzierung: Eine nationale Bildungsstrategie habe den rechtlichen Rahmen sowie die Formen der kooperativen Steuerung und Finanzierung zu klären.
Gewerbeverband empört

Postwendend reagierte am Freitag der Schweizerische Gewerbeverband (SGV). In Bezug auf die duale Berufsbildung sei das Plädoyer unqualifiziert, es zeuge von mangelndem Fachwissen über die Stärken des Bildungssystems und seiner Akteure. Als Positivum genannt wird die rekordtiefe Jugendarbeitslosigkeit. Das Papier scheine nur dem Zweck zu dienen, Probleme zwischen den Verbundpartnern herbeizuschreiben. Empört fordert der SGV eine Überprüfung der Bundesmittel, die für die Akademien gesprochen werden.

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