Daniel Walter (links) und Simon Baumann haben eine Idee umgesetzt, Bild: Dominique Meienberg
Hier kommen die virtuellen Lehrer, Tages Anzeiger, 17.5. von Monica Müller
Die Idee ist simpel:
Statt dass sich Lehrer und Schüler für eine Nachhilfestunde extern verabreden,
bleibt jeder bei sich zuhause, schaltet seinen Computer ein und begibt sich in
ein Onlineschulzimmer. Den passenden Lehrer kann ein Schüler nach Fach, der Bewertung
von anderen oder nach dem Preis pro Stunde auswählen. Ein Mail genügt, um Zeit
und Schulstoff zu bestimmen. Beide loggen sich ein, laden Aufgaben oder
Unterrichtsmaterialien hoch – und los gehts. Wie bei der Videotelefonie mit dem
ComputerprogrammSkype sehen sich Lehrer und Schüler
auf dem Bildschirm. Zudem können sie beide auf eine interaktive Wandtafel
schreiben.
Die Idee für das
Start-up-Unternehmen Teachpoint stammt von Simon Baumann. Als der 27-Jährige an
der ETH Zürich Maschinenbau studierte, nutzte er jeweils die Khan Academy, wenn
er etwas nicht verstand. Die Website enthält über 4000 wissenschaftliche Lehrfilme.
Baumann war fasziniert von den Möglichkeiten der neuen Medien für die Bildung.
In seiner Abschlussarbeit untersuchte er, ob Studierende den Stoff besser
erfassen, wenn sie eine Vorlesung dazu besuchen oder sich diesen in einem Video
erklären lassen. Fazit: Die Wirkung ist dieselbe.
Hier wollte Baumann
ansetzen, um sich selbstständig zu machen. In seinem Freund aus Kindertagen,
Daniel Walter, fand er einen Geschäftspartner. Nach dem Studium der
internationalen Beziehungen und Volkswirtschaftslehre in Genf arbeitete Walter
in einer Unternehmensberatung. Auch er wollte etwas Eigenes auf die Beine
stellen. Die Suche nach einem Programmierer war schwierig. An der ETH fand sich
kein Absolvent, der bereit war, sich zu 100 Prozent zu engagieren, die Zusammenarbeit
mit indischen Firmen scheiterte. «Es fehlte am Mitdenken», sagt Baumann.
Schliesslich fanden die beiden Jungunternehmer einen IT-Kollegen in Russland,
der ihre Ideen umsetzt.
Gute
Erfahrungen mit Nachhilfe
Baumann und Walter
unterrichten beide auf Teachpoint. Baumann hat selbst gute Erfahrungen mit
Nachhilfe gemacht. Sein Primarlehrer fand, er gehöre in die Realschule. Einige
Nachhilfestunden hätten sein Selbstvertrauen so gestärkt, dass er es
schliesslich an die ETH schaffte, sagt er. Kann er jemandem Mathematik oder
Physik so erklären, dass er in der nächsten Prüfung gut abschneidet, freut ihn
das enorm. Walter vermittelt unter anderem Geschichte und findet es spannend,
sich in Themen zu vertiefen, die nichts mit dem Job zu tun haben.
150 Lehrer sind auf
Teachpoint registriert, 250 Schüler haben ihre Dienste bereits in Anspruch
genommen. Rund 40 Prozent der Schüler haben fünf oder mehr Lektionen
gebucht. Zurzeit finden etwa 100 Lektionen pro Monat statt, sie kosten zwischen
25 und 80 Franken. 20 Prozent der Einnahmen gehen an Walter und Baumann.
Mit 2000 Lektionen im Monat könnten sie von ihrem Start-up gut leben. Sie sind
überzeugt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie das Ziel erreichen.
Walter: «Im etwas unpersönlichen Setting fällt es Schülern leichter, ihre
Schwachpunkte einzugestehen.»
Die 18-jährige
Gymnasiastin Silvia Graber ist eine Schülerin, die Teachpoint seit Anfang Jahr
regelmässig nutzt. Sie suchte einen Lehrer in ihrer Nähe, der Mathematik und
Wirtschaft unterrichtet, und wurde online fündig. «Ich fühlte mich gleich wohl
im virtuellen Raum. Der Ansatz sorgt für Abwechslung und spornt mich an.»
Graber findet es sehr praktisch, dass der Anfahrtsweg wegfällt und sie so Zeit
spart. Manchmal bucht sie sehr kurzfristig Lektionen, etwa, wenn einige Stunden
später eine Prüfung ansteht.
«Für
Ältere besser geeignet»
Auch Jonathan Brignoli
entdeckte Teachpoint zufällig. Der 24-Jährige macht seinen Master in
Materialwissenschaften an der EPFL Lausanne. Er hat bereits auf Bachelor-Stufe
Nachhilfe in Mathematik erteilt und wollte auch in Lausanne damit fortfahren.
«Auf Französisch traute ich mir das aber noch nicht zu.» Bei Teachpoint könne
er bequem von zu Hause aus unterrichten – auf Deutsch. Zu seinen Schülern
zählen Sek- und Gymischüler ebenso wie 30- bis 45-Jährige, die eine
Weiterbildung absolvieren. Brignoli glaubt, dass Schüler im virtuellen
Schulzimmer weniger Hemmungen haben, sich von einem Lehrer zu trennen, der
ihnen nicht zusagt. «Bei Teachpoint kann jeder finden, was er sucht.»
Peter Suter, Dozent im
Fachbereich Medienbildung an der Pädagogischen Hochschule Zürich, hält
Teachpoint für eine zeitgemässe Idee. Die Chancen sieht er in der räumlichen
und zeitlichen Unabhängigkeit, die auch Schülern in abgelegenen Gebieten eine
grosse Auswahl an möglichen Nachhilfelehrern biete. Die Kommunikation übers
Internet sei aber komplizierter als in der direkten Begegnung. Es sei
schwieriger für einen Lehrer, eine Beziehung zum Schüler aufzubauen und zu
spüren, wie er sich gerade fühle und wie konzentriert er sei. Auch technische
Hürden wie eine langsame Internetverbindung oder ein rauschendes Mikrofon
könnten stören.
Das virtuelle
Schulzimmer eignet sich laut Suter besser für etwas ältere Schüler, die bereits
in der Lage sind, ihre offenen Fragen klar zu benennen. Besonders wichtig seien
qualifizierte, fähige und seriöse Lehrer, die sich auf der Website mit Bild und
Werdegang kurz vorstellten. «Als Vater will ich wissen, mit wem meine Kinder
via Bildschirm in ihrem Zimmer kommunizieren.» Eltern sollten deshalb bei der
ersten Lektion mindestens teilweise dabei sein und entscheiden, ob sie dem
entsprechenden Lehrer wirklich vertrauen wollen.
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