18. April 2014

Welsche Warnpossen

Nachdem Bundesrat Alain Berset Französisch ab Primarschule forderte, geht nun Alt-Bundesrat Pascal Couchepin noch einen Schritt weiter. Couchepin fordert Französisch sogar verbindlich als erste Fremdsprache in der Deutschschweiz. Aus Sorge um den Zusammenhalt der Schweiz. Doch der Politstratege täuscht sich. Sprachen lernen ist Privatsache und keine Pflicht. Unsere Kinder sind diesbezüglich dem Staat nichts schuldig. Weiter gibt es keinen Zusammenhang zwischen dem frühen schulischen Erlernen von Französisch und dem gegenseitigen Verständnis der Landesteile. Drittens ist es absurd, eine Krise des nationalen Zusammenhalts herbeireden zu wollen. Schon Dürrenmatt hat erkannt, dass die Schweizer Nationalsprachen eher nebeneinander existierten, denn miteinander. Vielleicht ist dies auch das Geheimnis unseres problemlosen nationalen Verständnisses. Hier meine Vorschläge für die nächsten welschen Droh- und Warnpossen: Suzette Sandoz, Christian Levrat, Jacques Pilet. (uk)  










Liebt Provokationen: Pascal Couchepin, Bild: Blick



Was die Schweiz ist, Weltwoche 16/2014 von Pascal Couchepin



Frühfranzösisch, Frühenglisch? Die Diskussion muss in einem breiteren Rahmen geführt werden. Es geht um viel mehr als eine rein schulische Entscheidung.
Erste Bemerkung: Bis heute findet die Diskussion einzig in der deutschen Schweiz statt. Meines Wissens wird Frühenglisch in den Schulen der Romandie von niemandem gepriesen. Überall ist Deutsch Pflichtfach, ohne dass dies zu Kontroversen führt. Für diese Feststellung muss es eine Erklärung geben. Es gibt gute Gründe dafür, dass die einfachste auch die wahre ist: Die Romands, weniger zahlreich, anerkennen die Notwendigkeit, Grundkenntnisse in der Sprache der Mehrheit zu haben. Umgekehrt wäre dem nicht so. Die Mehrheit sieht keine Notwendigkeit, die Sprache der Minderheiten zu lernen. Also wäre die Debatte um die zweite Sprache in der Primarschule Ausdruck einer gewissen Gleichgültigkeit der Deutschschweizer den Romands und den Tessinern gegenüber.
Ich habe oft wiederholt, dass die Romands und die Tessiner in der Schweiz keine Minderheit sind, wie es etwa die Albaner in Zürich sind. Sie sind ein Bestandteil der Schweiz, weniger zahlreich als die Deutschschweizer, aber genauso ein Bestandteil. Ohne uns, Romands und Tessiner, wäre die Schweiz nicht die Schweiz. In anderen Ländern ist die Situation anders. Wenn der Elsässer Dialekt verschwinden würde, wäre das kulturell bedauernswert, aber es würde die Identität Frankreichs nicht verändern. Gäbe es ohne Romands und Tessiner noch eine Schweiz, in der Deutsch die einzige Sprache wäre? Nein, das wäre nicht mehr die Schweiz. Es wäre etwas anderes. Die Koexistenz mehrerer Sprachen ist für die Schweiz grundlegender als die relativ junge direkte ­Demokratie oder die Neutralität, deren Definition je nach unserer Interessenlage variiert.
Wenn diese Betrachtung der Schweiz richtig ist, kommt dem vorrangigen Erlernen einer zweiten Landessprache eine besondere Bedeutung zu. Es muss für den Zusammenhalt des Landes unterstützt werden. Die sogenannt pädagogischen Argumente werden daneben zweitrangig. Im Übrigen scheinen mir diese berühmten pädagogischen Argumente nicht ernsthaft. Gehen wir unter dem Vorwand, pädagogisch wäre ein anderer Stoff leichter, der Abschaffung des Mathematikunterrichts entgegen?
Die Einheit eines Landes wie der Schweiz ist fragiler, als man denkt. Es gab Zeiten, in denen diese Einheit wackelte. Das ist seit fast hundert Jahren glücklicherweise nicht mehr der Fall. Aber diese Befriedung beruht auf dem Respekt gegenüber einer ganzen Reihe von Gleichgewichten, die zwar nicht verfassungsmässig verankert sind, aber in der Praxis anerkannt werden. Man denke an die Vertretung von ­Romandie und Tessin im Bundesrat. Oder an die gelegentlich holprige Eleganz, mit der auch bei freundschaftlichen Treffen zwischen Deutschschweizern, Welschen und Tessinern hochdeutsch gesprochen wird. ­Leider sind einige unserer Mitbürger nicht mehr in der ­Lage, fliessend hochdeutsch zu sprechen.
Arrogante Sichtweise
Ein letzter Punkt: Ich bin überzeugt, dass es wichtig ist, zuzugeben, dass unsere sprachliche Verschiedenheit auch der Ausdruck unterschiedlicher Mentalitäten ist. Dem wird nicht immer beigepflichtet. Ein Politiker aus der deutschen Schweiz sagte einmal zu mir, ­eigentlich dächten die Romands in Sachen Politik genau wie die Deutschschweizer, sie wüssten es nur noch nicht: Mit Geld, Pro­paganda und einigen gewitzten Söldnern ­werde man das korrigieren. Eine solche Sichtweise ist nicht nur arrogant, sie ist auch tödlich in ­Bezug auf die nationale Einheit.
Ich bin nicht dafür, dass die Wahl einer Landessprache als zweite Sprache von Bundesbern auferlegt wird. Aber ich bin überzeugt, dass ­alle, denen dieses Land jenseits von niedrigem Rationalismus am Herzen liegt, wissen, dass es hier nicht nur um ein praktisches oder pädagogisches Problem geht, sondern um ­etwas Fundamentaleres.
Die Schweiz ist unter vielen Aspekten ein Erfolg, vor allem aber deswegen, weil sie es geschafft hat, Patriotismus nicht mit einer einzigen sprachlichen, religiösen oder politischen Kultur zu identifizieren. Die anderen Komponenten unserer Identität scheinen mir im ­Vergleich dazu zweitrangig. Wenn etwas an der Schweiz exemplarisch ist, dann die Sorge um den Mitbürger, der sich durch eine andere Sprache und eine andere kulturelle Identität unterscheidet. Diese Eigenschaft zu schwächen, bedeutet, die Schweizer Identität zu ­bedrohen.
Wehret den Anfängen!



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