Die politisch
Verantwortlichen sollten die Funktion des neuen Lehrplans 21 klar umschreiben,
sagt der oberste Lehrer, Beat Zemp, im Interview. Sie dürften den Lehrplan
nicht als Kontrollinstrument missbrauchen.
Zemp: "Eine absolute Methodenfreiheit hat es nie gegeben", Bild: SRF
"Der Unterricht muss frei von jeglicher Indoktrination sein" NZZ, 16.4. von Michael Schoenenberger
Reicht dem Lehrerverband die Reduktion des Inhalts
um 20 Prozent?
Bei der
Kürzungsvorgabe der Steuergruppe - 20 Prozent - handelt es sich um eine
relevante Grössenordnung. Wäre es deutlich weniger gewesen, hätten wir zu Recht
gesagt, die Kürzung sei reine Kosmetik am Lehrplan. Ob die Reduktion reicht,
können wir aber erst beurteilen, wenn die überarbeitete Version vorliegt.
Es bliebe noch immer ein grosses Dokument mit vielen Kompetenzen. Setzen
Sie sich für eine weitere Reduktion ein?
In
einigen Fachbereichen kann man noch mehr kürzen, indem man Redundanzen streicht
und detaillierte Beschreibungen von Kompetenzstufen weglässt, die nicht
unbedingt nötig sind. Ein guter Lehrplan soll die Lehrpersonen nicht gängeln,
sondern ihnen wie ein Kompass helfen, ihren Unterricht auf Kurs zu halten.
Die Verantwortlichen der Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz,
der D-EDK, betonen, die Methodenfreiheit bleibe bestehen. Teilen Sie als
Fachperson diese Einschätzung?
Eine
absolute Methodenfreiheit hat es nie gegeben. Die Lehrmittel waren schon immer
der heimliche Lehrplan und hatten grossen Einfluss auf die Unterrichtsmethodik.
Trotzdem gab und gibt es einen methodischen Spielraum für Lehrpersonen, den wir
unbedingt erhalten müssen. Aus den Befragungen von Zehntausenden von
Lehrpersonen wissen wir, dass die Möglichkeit, Neues auszuprobieren, die
Berufszufriedenheit erhöht.
Müssten nicht Sicherheiten eingebaut werden, damit Lehrpersonen auch
künftig Methodenfreiheit geniessen?
Es ist
wichtig, dass die politisch Verantwortlichen die Funktion des Lehrplans klar umschreiben
und ihn nicht als engmaschiges Kontrollinstrument missbrauchen. EDK-Präsident
Christoph Eymann hat in einem Interview kürzlich gesagt, der Lehrplan 21 solle
lediglich eine Richtlinie sein und keine Bibel, die man sklavisch befolgen
müsse. Das sehen wir auch so.
Der LCH hat angemahnt, der Lehrplan dürfe nicht Einstellungen, Haltungen
oder politische Wertungen enthalten. Wie ist das zu verstehen?
Solange
die Volksschule obligatorisch ist und nicht durch ein System mit freier
Schulwahl und einer Vielzahl von ideologisch geprägten Schulen abgelöst wird,
muss der Unterricht frei von jeglicher Indoktrination politischer oder
religiöser Art sein. Natürlich gibt es keinen absolut wertfreien Unterricht -
nicht einmal in der Mathematik. Es geht hier aber um Themen, die
gesellschaftlich umstritten sind. Diese dürfen an den öffentlichen Volksschulen
nicht einseitig vermittelt werden. Vielmehr sollen Schülerinnen und Schüler
dazu befähigt werden, selber Werthaltungen aufzubauen und ethische Fragen zu
reflektieren.
Können Sie ein Beispiel dazu nennen?
Im
Fachbereich «Wirtschaft, Arbeit, Haushalt» geht es beispielsweise darum, die
Rolle des Konsums zu hinterfragen. Würde man jetzt von den Lehrpersonen
erwarten, dass sie den Schülern beibringen, jede Form von Konsum sei schlecht,
so wäre das eine unzulässige Vorgabe. Hingegen ist es richtig, dass die
Lernenden das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung verstanden haben müssen,
damit sie überhaupt ihre Rolle als Konsumenten reflektieren können.
Wo sehen Sie sonst die problematischen Passagen bei den Werthaltungen?
Es geht
uns hier um die grundsätzliche Frage, ob wir Kompetenzen beurteilen müssen, die
erzieherische Werthaltungen enthalten. Wir sind der Meinung, dass dies objektiv
weder machbar noch wünschbar ist, weil damit ein unzulässiger Eingriff in die
elterliche Erziehungshoheit einhergeht. Wir können den Schülerinnen und
Schülern zwar durchaus beibringen, wie eine gesunde und nachhaltige Ernährung
aussieht, aber ich möchte niemanden mit einer schlechten Note bestrafen, wenn
er sagt, dass er ab und zu einen Hamburger isst.
Neu ist von Grundansprüchen die Rede, die am Ende eines Zyklus erreicht
werden müssen. Anforderungen werden gesenkt, wie Sie das gefordert haben. Wie
wird sichergestellt, dass gute Schüler ihren Fähigkeiten entsprechend gefördert
werden?
Das
reale Unterrichtsniveau wird nicht dadurch gesenkt, dass wir im Lehrplan in
einigen Fällen zu hohe Grundansprüche anpassen. Das ist wie beim Hochsprung.
Wenn die Latte auf 2,50 Meter gelegt wird, holt niemand Anlauf, weil die Hürde
zu hoch ist.
Die Deutschschweizer EDK will im Lehrplan 21 die Wissensanforderungen in
einigen Fachbereichen sichtbarer machen. Reicht das?
Der
Lehrplan 21 kann nicht auch noch die Wissensanforderungen für sämtliche
Lehrmittel bis ins letzte Detail festlegen. In vielen Fächern gibt es ja
bereits bewährte und grundlegende Wissensgebiete, die weiterhin verstanden und
gelernt werden müssen. In neueren oder umfassenderen Fachbereichen wie «Mensch,
Natur, Gesellschaft», Informatik und Medienpädagogik hat es aber einen Sinn,
wichtige Wissensthemen und Begriffe als Illustration zu den
Kompetenzbeschreibungen zu nennen. Für die Übergänge in weiterführende Schulen
müssen zudem wie heute inhaltliche Treffpunkte vereinbart werden.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen