11. April 2014

LCH sagt Nein zu Pädophilen-Initiative

In einem Interview begründet Beat Zemp das Nein des LCH zur Pädophilen-Initiative. Die geltende Regel mit der schwarzen Liste sei bereits ein gutes Präventionsmittel. Ausserdem weist Zemp hin auf Situationen, in denen die Initiative unverhältnismässig wäre.
"Die Lehrpersonen sind viel vorsichtiger geworden", Südostschweiz, 11.4. von Rinaldo Tibolla  


Herr Zemp, wieso positioniert sich der Lehrerdachverband (LCH) gegen die Volksinitiative «Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen»?
Beat W. Zemp: Wenn ein 18-jähriger Gymnasiast eine 15-jährige Schülerin einvernehmlich küsst, wird er im juristischen Sinn zu einer Person, welche die sexuelle Unversehrtheit eines Kindes beeinträchtigt. Der Kuss müsste als Sexualdelikt bestraft werden und der Betroffene würde ein lebenslängliches Berufsverbot im Umgang mit Kindern erhalten. Das wäre völlig unverhältnismässig. Zudem müssten Lehrpersonen ihre jugendlichen Schülerinnen und Schüler auf dem Schulareal vor solchen Gesetzesverstössen und Verurteilungen schützen und persönliche Situationen überwachen. Das geht zu weit.
Mit einem Ja zur Initiative hätten Sie aber die Gewissheit, dass kein Pädokrimineller mehr unterrichten kann...
Diese Gewissheit haben wir jetzt schon. Wenn ein pädophiler Lehrer eine strafbare Handlung begeht, wird ihm das Lehrdiplom entzogen und er landet auf der schwarzen Liste der Erziehungsdirektorenkonferenz. Das entspricht einem totalen Berufsverbot als Lehrer.
Wie ist die Stimmung bei den Lehrern?
Wir machen keine Umfragen vor Abstimmungen. Jede Lehrperson soll selber entscheiden, ob sie diese Initiative unterstützen will oder nicht. In der Stellungnahme des LCH, die wir zur Zeit ausarbeiten, weisen wir aber auf die Vorteile der Gesetze hin, die das Parlament ausgearbeitet hat. Diese schützen Kinder nicht nur vor sexuellen Übergriffen sondern auch vor körperlicher und psychischer Gewalt.
«Wir können nicht in die Köpfe der Lehrer schauen»
Es hat zu wenig Lehrer. Gerade männliche Lehrpersonen sind Mangelware. Die Pädophilen-Debatte ist nicht hilfreich...
Der Lehrerberuf ist auf der Vorschul- und Primarstufe zu einem Lehrerinnenberuf geworden. 1964 lag die Männerquote noch bei 50 Prozent und sank dann kontinuierlich auf vier Prozent in den heutigen Primarschulen ab. Aus entwicklungspsychologischer Sicht ist dies insbesondere für die Knaben nicht optimal. Daher unterstützen wir Projekte, die wieder mehr Männer als Primarlehrer gewinnen wollen. Diese Männer dann alle unter den Generalverdacht Pädophilie zu stellen, wäre etwa so, wie wenn man alle Bankangestellten als mutmassliche Betrüger verdächtigen würde.
Der LCH will also mehr Männer in Lehrberufen?
Ja. Aber wer pädophile Neigungen verspürt, soll am besten einen anderen Beruf wählen, bei dem er nicht mit der «geliebten» Altersstufe in Kontakt kommt.
Wie merkt denn ein Schulleiter, dass ein Lehrer pädophile Neigungen hat?
Solange jemand nicht straffällig geworden ist, können wir es auch nicht wissen. Wir können nicht in die Köpfe hineinschauen. Es gibt sicherlich pädophile Lehrer, Kinderärzte, Pfarrer, Sporttrainer oder Bademeister. Aber solange sie keine sexuellen Übergriffe machen, bleiben sie unbehelligt. Erst wenn ein Lehrer eine strafbare Handlung begeht, hat er die rote Linie überschritten. Solche Lehrer werden aus unserem Verband ausgeschlossen und landen auf der schwarzen Liste.
Wie gehen die pädagogischen Hochschulen mit dem Thema «Pädophilie» in der Ausbildung um?
Das Thema wird im Zusammenhang mit der Beziehungsgestaltung zwischen Lehrenden und Lernenden behandelt. Ein Lehrer muss seine Schüler im Sinne von Pestalozzi «gern haben», damit überhaupt eine gegenseitige positive Beziehung aufgebaut werden kann. Dazu braucht es aber keine körperliche Nähe.
Lehrer dürfen also ihre Schüler nicht mehr berühren?
Er darf ihnen die Hand geben oder mit der Hand auf die Schulter klopfen, wenn der Schüler etwas gut gemacht hat. Körperliche Berührungen sind aber möglichst zu vermeiden.
Wie fest ist der Gedanke bei den Lehrern im Hinterkopf, dass sie wegen einer möglicherweise gut gemeinten Geste auf einmal als Pädophile gelten könnten?
Die Sensibilisierung für dieses Thema ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Lehrpersonen sind viel vorsichtiger geworden. Sie vermeiden heute möglichst alle Situationen, die dazu führen könnten, dass man ihnen sexuelle Absichten vorwerfen könnte. Leider gibt es auch tragische Fälle, bei denen Lehrern zu Unrecht sexuelle Übergriffe vorgeworfen wurden und die dann erst Jahre später vor Gericht rehabilitiert wurden.
Die Initianten sagen, mit einem Ja zur Initiative werden die Opfer geschützt. Was unternimmt der Lehrerverband diesbezüglich?
Die meisten Übergriffe ereignen sich im familiären, kirchlichen oder sportlichen Umfeld – nicht in der Schule. Oftmals merken Lehrpersonen aber durch Verhaltensänderungen bei Kindern und Jugendlichen, dass etwas nicht mehr stimmt, und können dann reagieren. Der LCH hat 1999 Standesregeln verabschiedet, die eine Nulltoleranz bei sexuellen oder körperlichen Übergriffen vorschreiben, auch wenn ein Täter im eigenen Kollegium ist.
Zu welchen Konsequenzen hat die seit Jahren geführte Diskussion um Pädophilie im Lehrerberuf geführt? Immer wieder hört man von Lehrern, die ihre Schüler nicht mehr im Geräteturnen unterrichten, weil sie sich nicht mehr getrauen, die nötigen Hilfestellungen zu leisten...
Wir haben dazu in Zusammenarbeit mit kantonalen Fachstellen einen Ratgeber herausgegeben, der den konkreten Umgang mit heiklen Situationen im Schulalltag beschreibt. Hilfestellungen im Sportunterricht sind durchaus möglich, ohne dass es zu Verletzungen der Intimsphäre von Schülerinnen und Schülern kommt.


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