31. März 2014

Sparpotenzial bei Wahlfächern falsch berechnet

Das Sparpotenzial bei Wahlfächern der Aargauer Oberstufe ist viel höher als ursprünglich kommuniziert wurde. Handelt es sich dabei um eine bewusste Taktik des Kantons? Das Bildungsdepartement gibt zu, dass die Schätzung bis zu einer Million oder mehr zu tief liege. 

Aargauer Bezschüler demonstrieren für ihre Wahlfächer, Bild: Stefanie Suter

Das Bildungsdepartement hat Sparpotenzial bei Wahlfächern zu tief geschätzt, Aargauer Zeitung, 31.3. von Hans Fahrländer


Hat der Regierungsrat das Sparpotenzial gewisser vorgeschlagener Einschnitte im Bildungsbereich bewusst (zu) tief eingesetzt, um weitere Sparmassnahmen rechtfertigen zu können? Umgekehrt: Hätte man auf gewisse Einschnitte verzichten können, wenn das Potenzial überall korrekt eingesetzt worden wäre?
Im Fokus steht vor allem die Massnahme 310-11, «Steuerung Wahlfächer optimieren». An der Oberstufe soll das Angebot an Wahlfächern reduziert werden. So soll «Freies Gestalten» an der Bezirksschule gestrichen werden, die Realienpraktika an allen drei Oberstufenzügen sollen reduziert werden, ebenso das Fach Hauswirtschaft, Italienisch soll in der 3. Bez gestrichen und nur noch in der 4. angeboten werden. Damit würden jährlich 650 000 Franken eingespart.
«Das kann nicht sein ...»
Bereits kurz nach Bekanntwerden des Sparziels hat Rolf Wernli, Schulleiter der Bezirksschule Wohlen, in dieser Zeitung Berechnungen angestellt: Auf der Basis des Budgets 2014 kostet eine Lektion an der Bezirksschule den Kanton im Jahr 3590 Franken. Das Sparziel von 650 000 Franken entspricht einem Wegfall von 181 Lektionen. Wird an allen Aargauer Bezirksschulen das Italienisch in der 3. Klasse gestrichen wird, ergibt das allein schon einen Wegfall von 132 Lektionen. Verblieben also für alle anderen Einschnitte noch 49 Lektionen.
Wernlis Fazit: Das Sparpotenzial von Massnahme 310-11 liege viel höher. Der Aargauische Lehrerinnen- und Lehrerverband (alv) hat das Potenzial auf rund 6 Mio. Franken geschätzt. Doch beide, Rolf Wernli und alv-Geschäftsführer Manfred Dubach, sagen: «Wir konnten das nur schätzen. Wir haben keine Übersicht über das Angebot an Oberstufen-Wahlfächern und die Schülerzahlen im ganzen Kanton. Diese Zahlen hat nur das Bildungsdepartement BKS.»
«Wir haben keine Detail-Zahlen»
Also Nachfrage beim BKS – und eine überraschende Antwort: «Wir konnten das nur schätzen», sagt auch Irene Richner, Leiterin Kommunikation des BKS. «Wir haben beim Kanton keine detaillierten Zahlen zu den Wählfächern, weil unser Meldesystem beispielsweise nicht zwischen Wahlfächern und Wahlpflichtfächern unterscheidet und nur im Total erfasst, wie viele Lektionen die Schulen anbieten. Das Ganze ist von vielen Faktoren abhängig.»
Ab 2015 soll sich das ändern: Mit der Einführung eines neuen elektronischen Tools «ALSA» (Administration Lehrpersonen Schule Aargau) soll der Datenaustausch zwischen den Schulen und dem BKS wesentlich einfacher und besser werden. «Damit wird es auch möglich sein, die Wahlfach-Schülerzahlen zu erfassen», sagt Irene Richner.
Zwischen 1 und 2 Mio. Franken
Doch für die Leistungsanalyse kommt «ALSA» zu spät. «Wir hatten zum Thema Wahlfächer zahlreiche Rückmeldungen», sagt die Kommunikationschefin. «Wir wissen heute, dass wir mit den 650 000 Franken zu tief lagen.
Allerdings beträgt das Sparpotenzial für den Kanton nicht 6 Mio. Franken, wie zum Teil behauptet wird. Wir gehen heute von einem Betrag zwischen einer und zwei Millionen aus.» Richner betont, dass Massnahmen und Beträge aufgrund der Anhörung angepasst würden: «Wir befinden uns in einem Prozess. Änderungen der Zielvorgaben müssen und werden möglich sein.»
«Das ist eine Ausnahme»
Ist es nicht heikel, nur mit Schätzungen in eine Sparrunde zu gehen? Hat man sich zu wenig Zeit für genaue Berechnungen gegeben – oder ist zu früh mit Detailzahlen an die Öffentlichkeit gelangt? Die Fragen gehen an Peter Buri, Leiter Kommunikation in der Staatskanzlei und Regierungssprecher. «Wir haben es hier mit einem Ausnahmefall zu tun, weil die Datenerfassung in diesem Punkt so schwierig ist. Die Schlussfolgerung, die Beträge der Leistungsanalyse seien alle nur geschätzt, wäre indessen komplett falsch. Die Zahlen basieren auf genauen Berechnungen oder Erfahrungswerten.»
Ein halbes Jahr Arbeit
Man habe auch nicht eine unzulässige Eile an den Tag gelegt, betont Buri: «Der Zeitplan der Leistungsanalyse ist so angelegt, dass die ersten Massnahmen ab 2015 greifen können. Das ist notwendig, um strukturelle Defizite zu verhindern. Vorausschauend wurde im Aargau bereits im ersten Quartal 2013 eine Leistungsanalyse initiiert. Mit grosser Sorgfalt wurden bis Ende August 2013 rund 200 Massnahmen evaluiert. Das hat uns vor Feuerwehrübungen verschont, wie sie in andern Kantonen stattfinden mussten.»
Grösstmögliche Transparenz
Und zum Thema «zu früh zu detailliert informiert» meint Buri: «Die Regierung hat sich grösstmögliche Transparenz auf die Fahne geschrieben. Über die Massnahmen, die in der Kompetenz des Grossen Rates liegen, musste eine ordentliche Anhörung durchgeführt werden. Dazu gehört auch die detaillierte Information der Öffentlichkeit. Ohne diese wären ja fundierte Stellungnahmen gar nicht möglich gewesen.»



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