18. März 2014

Sinnloser Drill an Aufnahmeprüfung

Ein Vater schildert in einem Leserbrief die Erfahrung der Prüfungsvorbereitung ans Zürcher Gymnasium.
Mein Sohn hat die Aufnahmeprüfung für das Gymnasium bestanden. Rückblickend kann ich sagen, dass ich im Familienleben keine Zeit erlebt habe, die so unerfreulich war wie die Monate davor. Es dauerte, bis meine Frau und ich - an gute Leistungen unseres Sohnes gewöhnt - überhaupt bemerkten, dass es sich nicht etwa um den normalen obligatorischen Schulstoff der 6. Klasse handelte, sondern um einen zusätzlichen, schwierigeren Lernstoff. In meinen Augen skandalös und rechtlich höchst fragwürdig! Sämtliche Eltern im Umkreis waren ein halbes Jahr mit ihren Kindern oft Abend für Abend, Wochenende für Wochenende am Pauken. In anderen Kreisen Zürichs wurden die Kids in teuren, Jahre dauernden Privatkursen für den Tag X trainiert. Erzählte man Leuten jenseits der Kantons- und Landesgrenzen davon, war ungläubiges Kopfschütteln die Reaktion. Eine Prüfung dieser Dimension und Tragweite ist für 13-Jährige in keiner Weise adäquat. Bei vielen bewirkt der Psycho-Stress angesichts der Wichtigkeit dieser Prüfung schon im Vorfeld absinkende Noten. Viele begabte Kinder bestehen die Prüfung nicht, weil sie mit diesem Prüfungsdruck (noch) nicht umgehen können. Sensible Kinder bleiben oft auf der Strecke. Ein Mädchen hatte letztes Jahr um ein Zehntel verfehlt. Soll sie deswegen nicht geeignet sein? Wie viele kommen nicht zur Prüfung, weil den Eltern Zeit, Geld oder Bildungsniveau fehlen? Von Chancengleichheit kann nicht die Rede sein, schon gar nicht im Vergleich zu anderen Kantonen. Was mit der Gymi-Prüfung gefördert wird, sind vor allem die Privatschul-Industrie und das Bewusstsein, sich das Nötige erkaufen zu können. Leistung ist notwendig, aber warum dieser absurde Drill? Wozu dieses antiquierte Elitedenken? Um schliesslich die Ideengeber, Wirtschaftslenker und Ärzte aus dem Ausland zu importieren, dessen Bildungssystem man hierzulande so gerne belächelt?
Der SVP-Politiker Rochus Burtscher «befürchtet ein weiteres Absinken des Niveaus an Mittelschulen» und will die Prüfung verschärfen. Wenn man das intellektuelle Niveau und das Auftreten seiner Partei betrachtet, scheint es, als brauche es vor allem eine verschärfte Aufnahmeprüfung in der Politik.
Gert Rappenecker, Zürich

Quelle: NZZ, 18.3.

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