Harmos ist noch nicht ganz begraben, Bild: Nils Fisch
Das Reformprojekt Harmos steht auf der Kippe, Tageswoche, 18.3. von Mara Wirthlin
In Baselland
herrscht Unmut wegen der Ausbildung für die Sekundarstufe I. Über 1100
Baselbieter Lehrkräfte unterzeichneten in den Monaten Januar und Februar eine
Forderung nach besser ausgebildeten Sek-I-Lehrkräften. Das
Unterschriftenverfahren leitete das Komitee «Qualität an den
Schulen und in der Ausbildung der Sek-I Lehrkräfte» unter dem
Vorsitz von Otto Schwarzenbach (Sek Oberwil). An der Medienorientierung
präsentierten Nadine Berger und Lukas Erni die Anliegen der Sek-I-Lehrer.
Um Sek-I-Lehrer
zu werden, gibt es heute die Möglichkeit, entweder an der Universität zwei
Fächer zu studieren und die pädagogische Ausbildung danach anzuhängen, oder die
ganze Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule (PH) zu absolvieren,
allerdings mit einer geringeren fachlichen Vertiefung. Eine geplante
Zusammenlegung der Fächer im Lehrplan 21 sieht vor, dass Sek-I Lehrer künftig
immer drei Fächer unterrichten. Die unterschreibenden Lehrerinnen und Lehrer
wehren sich dagegen, dass fehlende Teilfächer durch eine Kurzausbildung
nachgeholt werden können.
Ausbildungs-Missstand wird moniert
Das Komitee
plädiert zudem für eine Erhöhung des fachwissenschaftlichen Anteils der
Ausbildung an der PH – nur, wenn die Lehrperson wirklich etwas drauf habe,
könne «der Funken rüberspringen» beim Unterrichten von Schülern mit einem hohen
intellektuellen Potential. Zudem könne eine mangelhafte Ausbildung der
Lehrkräfte zu gefährlichen Risiken führen, zum Beispiel im praktischen
Chemieunterricht. Der Lehrerinnen- und Lehrerverein Baselland (LVB) werde
alles daran setzen, den Forderungen des Komitees Nachdruck zu verleihen, wie
Vereinspräsident Michael Weiss versichert.
«Damit der Funken rüberspringt, müssen Sek-I-Lehrer etwas drauf
haben.»
Doch der LVB
hat auch andere, noch dringlichere Sorgen. Seit das Baselland den Lehrplan 21 als einziger Projektkanton
abgelehnt hat, gibt es bezüglich der angestrebten Harmonisierung der
Schweizer Schulen viele Fragezeichen. Das interkantonale HarmoS-Konkordat, dem
Kantone seit 2007 beitreten können, hat das Ziel, die Struktur der
obligatorischen Schulzeit zu vereinheitlichen und die Mobilitätshindernisse
zwischen den Kantonen zu verringern.
Neben der
Anpassung der Schulstruktur (zwei Jahre Kindergarten, sechs Jahre Primarschule,
drei Jahre Sekundarschule für alle) sieht Harmos auch einen einheitlichen
Lehrplan vor, sowie eine Kompetenzorientierung des Unterrichts. Der letzte
Punkt bedeutet vereinfacht gesagt, dass Kinder sich künftig Fachwissen nicht
mehr primär aneignen müssen, sondern vielmehr die Fähigkeiten erwerben, um
gewisse Problemlösungen zu bewältigen und etwa über Recherchemethoden an das
nötige Wissen zu gelangen.
Schulharmonisierung steht schweizweit in der Kritik
Die
Veränderungen, die mit Harmos einhergehen sollen, klingen vielversprechend. Die
beiden Basel schlossen sich dem HarmoS-Konkordat im Mai (Basel-Stadt) und
September (Baselland) 2010 an. Doch mittlerweile ist das Vertrauen in die
Harmonisierung der Schulen schweizweit markant gesunken.
Der Schweizer
Lehrerverband stellt sich zwar hinter den Lehrplan 21, bezeichnet ihn jedoch
als «überladen und schwer verständlich». Er würde keine bestehenden Probleme
beheben, sondern neue schaffen, heisst es von mehreren Seiten. Und mit dem Forum Allgemeinbildung Schweiz wehren
sich Gymnasiallehrer, Fachdidaktiker, PH- sowie Universitätsdozenten aus
verschiedenen Kantonen gegen die mit der Kompetenzorientierung einhergehende
Ökonomisierung des Schulwesens.
Nirgends sind
die kritischen Stimmen allerdings so laut wie im Baselbiet, das den Lehrplan 21
als einziger Projektkanton ablehnte. Seither lautet die grosse Frage: Wie
weiter? Dieser Frage sieht der Baselbieter Bildungsdirektor Urs
Wüthrich-Pelloli anscheinend gelassen entgegen. Er rechnet nicht damit, dass
eine alternative Lösung gefunden werden muss, sondern hofft darauf, dass der Lehrplan
in den kritisierten Punkten angepasst und dennoch umgesetzt werden kann.
Komitee Starke Schule fordert Abnabelung von HarmoS
Das Komitee Starke Schule Baselland lancierte
Ende Februar eine Initiative, die den Austritt aus dem HarmoS-Konkordat
fordert. Dahinter steht Wüthrich nicht: «Die Motive der Initiative sind für
mich nicht nachvollziehbar», sagt er.
Die
«bildungspolitische Isolation» des Baselbiets sei keinesfalls anzustreben, auch
in der Wirtschaft hat Wüthrich Bedenken, dass mit einer Sonderregelung die
falschen Zeichen gesetzt würden. Doch seines Erachtens hat die Initiative keine
grossen Chancen. «Dass sich ausgerechnet Baselland in die bildungspolitische
Isolation manövriert, ist für mich nicht vorstellbar», sagt Wüthrich, seien
doch bisherige Abstimmungen über die Bildungsharmonisierung mit einem
eindeutigen Mehr angenommen worden.
Frappanter Abwärtstrend
Der LVB weist
an der Pressekonferenz allerdings auf einen frappanten Abwärtstrend bei der
Zustimmung für die Schulharmonisierung hin: Stimmten 2006 noch 91 Prozent der
Stimmberechtigten in Baselland für eine Harmonisierung, waren bei der
Abstimmung über den HarmoS-Beitritt 2010 nur noch 56 Prozent bereit, den eingeschlagenen
Weg weiterzugehen.
Der LVB hat als
Reaktion auf die Harmos-Austrittsinitiative seine Mitglieder befragt, und kam
zu dem Ergebnis, dass nur 22,4 Prozent der Umfrage-Teilnehmer das Vertrauen in
Harmos noch nicht verloren haben. Vereinspräsident Michael Weiss sagt: «Das
Ergebnis signalisiert einen tiefen Vertrauensverlust.»
Obwohl
Bildungsdirektor Urs Wüthrich-Pelloli vor der Abstimmung versichert habe, dass
genügend Mittel für die Umstellung auf HarmoS zur Verfügung stünden, stelle
sich nun heraus, dass die Weiterbildungen für die Primarlehrerinnen und -lehrer
mit unbezahltem Mehraufwand verbunden seien. Zudem vermittle ein Blick über die
Kantonsgrenzen hinaus den Eindruck, dass die Schulsysteme der Kantone mit
Ausnahme der beiden Basel seit den Anfängen von HarmoS weiter auseinandergedriftet
seien als je zuvor.
Der neue Lehrplan lasse zu wenig Spielraum
Ein weiterer
Kritikpunkt ist, dass der Lehrplan 21 wenig Spielraum für die individuelle
Gestaltung des Unterrichts lässt. Der neue Lehrplan würde die Lehrpersonen zu
stark kontrollieren und somit ihre Kreativität ausbremsen. Das Forum
Allgemeinbildung FACH schreibt dazu auf seiner Website: «Wir setzen auf
Lehrfreiheit und Methodenfreiheit im Rahmen der bestehenden Lehrpläne, damit
Lehrerinnen und Lehrer weiterhin persönliche und fassbare Vorbilder sein
können.»
Trotz dieser
negativen Bilanz für HarmoS betont Weiss, dass viele Lehrpersonen sich noch
keine endgültige Meinung gebildet hätten: «Die Beteiligung der
LVB-Mitglieder an der Umfrage war ziemlich tief, trotz der Brisanz des Themas.»
Viele seien einem Austritt gegenüber skeptisch, weil bereits viel Geld, Zeit
und Energie für Harmos aufgebracht wurde.
Diesbezüglich
kann der LVB entwarnen: Die bereits beschlossenen und bewährten Anpassungen
würden auch bei einem Austritt beibehalten werden, etwa die Umstellung der
Schulstruktur, oder die Vorverlegung des Fremdsprachenunterrichts.
Der LVB hat Harmos noch nicht ganz begraben
Doch obwohl
Michael Weiss im Namen des LVB die negativen Folgen eines Harmos-Austritts
kleinredet und die positiven Auswirkungen grossschreibt, scheint er weiterhin
auf eine flexiblere Auslegung des Konkordats zu pochen: Das
Harmos-Konkordat sollte laut Weiss dort wieder verbindlicher werden, wo dies
nötig sei, um die Mobilitätshindernisse wie versprochen auszumerzen. In anderen
Punkten hingegen plädiert der LVB für eine weniger restriktive Auslegung des
neuen Lehrplans.
Weiss sagt:
«Die Tür zu Harmos ist für uns immer noch einen Spalt weit offen. Meine
Hoffnung ist, dass noch vor der Abstimmung über den Austritt die
Erziehungsdirektorenkonferenz erkennt, dass es an der Zeit ist, die Bedenken
der HarmoS-Skeptiker ernst zu nehmen und zur Rettung der Schulharmonisierung
auch Kompromisse einzugehen.»
Zumindest in
einem Punkt scheinen sich die unterschiedlichen Akteure einig zu sein: Eine
Harmonisierung des Schulwesens ist eine überzeugende Idee. Einzig, wer genau
was unter dieser Harmonisierung versteht, bleibt nach wie vor schwammig.
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