Lehrer werden ist wieder im Trend, NZZ, 5.2. von Erich Aschwanden und Daniel Gerny
Zwei Herzen schlagen in der
Brust des Schwyzer Bildungsdirektors Walter Stählin. Zum einen freut sich der
oberste Verantwortliche für das Erziehungswesen, dass der Lehrerberuf einen
neuen Aufschwung feiert. Zum anderen bereitet dem Politiker die Situation an
der Pädagogischen Hochschule Schwyz Sorge. Bereits drei Monate vor
Anmeldeschluss zeichnet sich nämlich ab, dass die in Goldau zur Verfügung
stehenden 300 Ausbildungsplätze für das Schuljahr 2014/15 nicht ausreichen.
Sogar die Einführung eines Numerus clausus schliesst Stählin inzwischen nicht
mehr aus.
Lehrerberuf im Trend
So zugespitzt wie im Kanton
Schwyz präsentiert sich die Situation nicht überall in der Deutschschweiz, doch
auch andernorts muss ein Ansturm bewältigt werden, wie ihn dieses Berufsfeld schon
lange nicht mehr erlebt hat. Die Zahlen sind eindrücklich: Studierten an der
Pädagogischen Hochschule (PH) Luzern im Schuljahr 2006/07 noch 780 angehende
Lehrerinnen und Lehrer, so waren es 2013/14 bereits 1706. An der PH Graubünden
werden derzeit 400 Lehrpersonen ausgebildet. Vor vier Jahren waren es noch 240.
Am grössten ist der Zuwachs an der PH der Fachhochschule Nordwestschweiz
(FHNW), wo die Schülerzahlen von 2006 bis heute von 1600 auf 3200 stiegen.
Die anhaltenden
Diskussionen über den bevorstehenden Lehrermangel hätten diesen Beruf wieder in
den Fokus gerückt, sagt Christian Irgl von der FHNW. Die auch in zeitlicher
Hinsicht flexibel gestaltbare Ausbildung sei auch für Studierende interessant,
die gerade Eltern geworden seien und sich deshalb nicht in Vollzeit der
Ausbildung widmen könnten. Viele Studierende seien über 30 Jahre alt. Auch
Hans-Rudolf Schärer, langjähriger Rektor der PH Luzern, freut sich über das
stark gestiegene Interesse: «Allen Unkenrufen zum Trotz hat der Lehrerberuf
nicht an Attraktivität verloren - sondern eher noch gewonnen.» Viele junge
Leute erlebten den Beruf trotz allen Schwierigkeiten als sinnvolle Aufgabe.
Ist der drohende
Lehrermangel damit vom Tisch - und steht allenfalls sogar eine Lehrerschwemme
bevor? Johannes Flury, Rektor der PH Graubünden und Präsident der
Schweizerischen Konferenz der Rektorinnen und Rektoren der Pädagogischen
Hochschulen (Cohep), winkt ab. Ausreichend junge Lehrkräfte würden auf Stufe
Primar- und Vorschule ausgebildet. Auf der Sekundarstufe I bleibe die Situation
jedoch angespannt. Für viele Studierende sei es offenbar attraktiv, sich mit
begrenztem Mehraufwand zum Gymnasiallehrer weiterzubilden. Auch Schärer warnt
vor voreiligen Schlüssen. Im Kanton Luzern würden die Schülerzahlen bis 2020 klar
zunehmen. «Nur schon deswegen müssen wir noch viele Lehrpersonen ausbilden.»
Grosse Pensionierungswelle
Das Bundesamt für Statistik
(BfS) rechnet für 2022 in fast allen Kantonen mit grösseren
Primarschulbeständen als 2012, in elf Kantonen sollen die Zunahmen sogar über
10 Prozent betragen. Beim Kanton Luzern erwarte man keine Lehrerschwemme, sagt
Charles Vincent, Leiter der Dienststelle Volksschulbildung. Auf Stufe
Kindergarten und Primarschule könnten die momentanen Abgänger die Nachfrage
knapp decken. «Doch wir sind froh, wenn der Zustrom an die pädagogischen
Hochschulen in den nächsten zwei bis drei Jahren noch anhält», so Vincent.
Doch nicht nur die
Schülerzahlen wachsen. Bereits heute und noch verstärkt in den kommenden Jahren
erreichen überdurchschnittlich viele Lehrer das Pensionierungsalter. Dies vor
allem auf der Sekundarstufe I. «Die stark männlich geprägte Lehrergeneration
tritt ab», so Flury. Die Feminisierung des Berufs und die Zunahme der
Teilzeitpensen bedinge, dass für jeden pensionierten Lehrer fast zwei junge
Lehrpersonen ausgebildet werden müssen - ein Phänomen, das beispielsweise auch
bei den Kinderärzten zu beobachten ist. Für eine Entwarnung in Bezug auf den
Lehrermangel ist es deshalb zu früh.
Ein neuer Flaschenhals
Anders als in Schwyz stehen
anderswo ausreichend Studienplätze zur Verfügung. Engpässe gibt es jedoch bei
den Praktikumsplätzen. Ursache: Während die Zahl der Schulen und Lehrerstellen
konstant bleibt, explodiert die Zahl der angehenden Lehrer, die ihr Praktikum
absolvieren müssen. Das führt zu einer Art Flaschenhals. Graubünden hat darauf
reagiert. Die Gemeindeschulen werden gesetzlich verpflichtet, Praktikumsplätze
zur Verfügung zu stellen. Und auch für Lehrer, die «frisch ab Presse» kommen,
wird die Ausbildung der nachfolgenden Lehrergeneration bereits zum Thema:
PH-Abgänger werden neuerdings aufgefordert, sich drei Jahre nach Abschluss als
Praxislehrpersonen zur Verfügung zu stellen.
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