5. Februar 2014

Trotz vollen PH weiterhin Lehrermangel

Die PH verzeichnen einen Ansturm von Lehrerstudenten. Doch dies sorgt auch für Probleme: Es können nicht überall genügend Praktikumsplätze angeboten werden. In Graubünden werden die Schulen verpflichtet, solche zur Verfügung zu stellen. Ausserdem bleibt die Situation auf Stufe Sek I weiterhin angespannt. Dort gehen in den kommenden Jahren überdurchschnittlich viele Lehrer in Pension.
Lehrer werden ist wieder im Trend, NZZ, 5.2. von Erich Aschwanden und Daniel Gerny


Zwei Herzen schlagen in der Brust des Schwyzer Bildungsdirektors Walter Stählin. Zum einen freut sich der oberste Verantwortliche für das Erziehungswesen, dass der Lehrerberuf einen neuen Aufschwung feiert. Zum anderen bereitet dem Politiker die Situation an der Pädagogischen Hochschule Schwyz Sorge. Bereits drei Monate vor Anmeldeschluss zeichnet sich nämlich ab, dass die in Goldau zur Verfügung stehenden 300 Ausbildungsplätze für das Schuljahr 2014/15 nicht ausreichen. Sogar die Einführung eines Numerus clausus schliesst Stählin inzwischen nicht mehr aus.
Lehrerberuf im Trend
So zugespitzt wie im Kanton Schwyz präsentiert sich die Situation nicht überall in der Deutschschweiz, doch auch andernorts muss ein Ansturm bewältigt werden, wie ihn dieses Berufsfeld schon lange nicht mehr erlebt hat. Die Zahlen sind eindrücklich: Studierten an der Pädagogischen Hochschule (PH) Luzern im Schuljahr 2006/07 noch 780 angehende Lehrerinnen und Lehrer, so waren es 2013/14 bereits 1706. An der PH Graubünden werden derzeit 400 Lehrpersonen ausgebildet. Vor vier Jahren waren es noch 240. Am grössten ist der Zuwachs an der PH der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW), wo die Schülerzahlen von 2006 bis heute von 1600 auf 3200 stiegen.
Die anhaltenden Diskussionen über den bevorstehenden Lehrermangel hätten diesen Beruf wieder in den Fokus gerückt, sagt Christian Irgl von der FHNW. Die auch in zeitlicher Hinsicht flexibel gestaltbare Ausbildung sei auch für Studierende interessant, die gerade Eltern geworden seien und sich deshalb nicht in Vollzeit der Ausbildung widmen könnten. Viele Studierende seien über 30 Jahre alt. Auch Hans-Rudolf Schärer, langjähriger Rektor der PH Luzern, freut sich über das stark gestiegene Interesse: «Allen Unkenrufen zum Trotz hat der Lehrerberuf nicht an Attraktivität verloren - sondern eher noch gewonnen.» Viele junge Leute erlebten den Beruf trotz allen Schwierigkeiten als sinnvolle Aufgabe.
Ist der drohende Lehrermangel damit vom Tisch - und steht allenfalls sogar eine Lehrerschwemme bevor? Johannes Flury, Rektor der PH Graubünden und Präsident der Schweizerischen Konferenz der Rektorinnen und Rektoren der Pädagogischen Hochschulen (Cohep), winkt ab. Ausreichend junge Lehrkräfte würden auf Stufe Primar- und Vorschule ausgebildet. Auf der Sekundarstufe I bleibe die Situation jedoch angespannt. Für viele Studierende sei es offenbar attraktiv, sich mit begrenztem Mehraufwand zum Gymnasiallehrer weiterzubilden. Auch Schärer warnt vor voreiligen Schlüssen. Im Kanton Luzern würden die Schülerzahlen bis 2020 klar zunehmen. «Nur schon deswegen müssen wir noch viele Lehrpersonen ausbilden.»
Grosse Pensionierungswelle
Das Bundesamt für Statistik (BfS) rechnet für 2022 in fast allen Kantonen mit grösseren Primarschulbeständen als 2012, in elf Kantonen sollen die Zunahmen sogar über 10 Prozent betragen. Beim Kanton Luzern erwarte man keine Lehrerschwemme, sagt Charles Vincent, Leiter der Dienststelle Volksschulbildung. Auf Stufe Kindergarten und Primarschule könnten die momentanen Abgänger die Nachfrage knapp decken. «Doch wir sind froh, wenn der Zustrom an die pädagogischen Hochschulen in den nächsten zwei bis drei Jahren noch anhält», so Vincent.
Doch nicht nur die Schülerzahlen wachsen. Bereits heute und noch verstärkt in den kommenden Jahren erreichen überdurchschnittlich viele Lehrer das Pensionierungsalter. Dies vor allem auf der Sekundarstufe I. «Die stark männlich geprägte Lehrergeneration tritt ab», so Flury. Die Feminisierung des Berufs und die Zunahme der Teilzeitpensen bedinge, dass für jeden pensionierten Lehrer fast zwei junge Lehrpersonen ausgebildet werden müssen - ein Phänomen, das beispielsweise auch bei den Kinderärzten zu beobachten ist. Für eine Entwarnung in Bezug auf den Lehrermangel ist es deshalb zu früh.
Ein neuer Flaschenhals

Anders als in Schwyz stehen anderswo ausreichend Studienplätze zur Verfügung. Engpässe gibt es jedoch bei den Praktikumsplätzen. Ursache: Während die Zahl der Schulen und Lehrerstellen konstant bleibt, explodiert die Zahl der angehenden Lehrer, die ihr Praktikum absolvieren müssen. Das führt zu einer Art Flaschenhals. Graubünden hat darauf reagiert. Die Gemeindeschulen werden gesetzlich verpflichtet, Praktikumsplätze zur Verfügung zu stellen. Und auch für Lehrer, die «frisch ab Presse» kommen, wird die Ausbildung der nachfolgenden Lehrergeneration bereits zum Thema: PH-Abgänger werden neuerdings aufgefordert, sich drei Jahre nach Abschluss als Praxislehrpersonen zur Verfügung zu stellen.

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