14. Februar 2014

"Sexualkunde besser mit Lehrpersonen"

Allan Guggenbühl nimmt Stellung zum Sexualunterricht an der Schule aus Anlass des Erfahrungsberichtes einer 3. Sekundarklasse in Binningen BL.




Guggenbühl kritisiert die zunehmende Einmischung in private Angelegenheiten, Bild: Henry Muchenberger

"Das Geheimnisvolle geht verloren", Basler Zeitung, 14.2. von Franziska Laur


Herr Guggenbühl, was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie den Erfahrungsbericht der Klasse 3s lasen?
Dazu gibt es einige Dinge zu sagen. Sicher ist es ein berechtigtes Anliegen, dass man Kinder aufklären will. Tatsache ist, dass schon kleine Kinder sexuelle Gefühle erleben, aber nicht so konkret. Die genitale Sexualität kommt erst viel später. Doch auch dann überfordert es diese jungen Menschen, so konkret über Sexualität zu sprechen, und häufig sind sie auch peinlich berührt.
Was geht in jungen Menschen vor, wenn sie so intime Details hören oder davon erzählen sollen?
Es ist eine Tatsache, dass Sexualität zu 90 Prozent in der Fantasie gelebt wird. Wenn man darüber so direkt in einem Lehrgang spricht, wird sie auf sexuelle Organe und Handlungen reduziert. Dabei geht es um viel mehr. Wenn zwei Menschen sich verlieben, sprechen sie auch nicht gleich vom Penis-Reinstecken, sondern es geht um grosse Gefühle und Emotionen. Wenn das auf die körperliche Ebene reduziert wird, geht das Mystische, Geheimnisvolle verloren.
Also hat es nichts mit Verklemmung zu tun, wenn es Jugendlichen peinlich ist, über Sexualität zu sprechen?
Nein, gar nicht. Vielmehr geht es darum, dass sie sich ihre eigenen Fantasien erhalten wollen. Sie wollen ihre Sexualität nicht in einem von Erwachsenen vordefinierten Rahmen erproben, sondern sehnen sich nach einem eigenen Erfahrungsfeld.
Haben die heutigen Erwachsenen die Tendenz, sich auf ungesunde Weise bei den Kindern anzubiedern?
Ja, im Bildungswesen gibt es die Tendenz, den Kindern über Lehrgänge und Trainingsmodule etwas indoktrinieren zu wollen. Dies tut man, ohne auf die psychologische Entwicklung der Kinder Rücksicht zu nehmen. Da wird Toleranz für Aids, Homo­sexuelle, Ausländer und alles Mögliche gepredigt. Vor lauter Angst vor einer ungünstigen Entwicklung der Kinder gibt es eine Zielverwechslung. Doch man sollte dort ansetzen, wo es Probleme gibt, und nicht dort, wo es keine gibt. Wenn nun beispielsweise ein Knabe während des Sexualunterrichts ins Zimmer kommt, wird das von den meisten Mädchen nicht als Problem erlebt. Erwachsene jedoch sehen das schon als Geringschätzung des Mädchenraums.
Wie könnte man besser vorgehen?
In der Schule sollten auch Anstandsformen geübt werden. Natürlich geht es nicht, zu beleidigen, zu schlagen, oder bei Mädchen die BH-Träger spicken lassen. Wegkommen sollte man jedoch von Programmen, die in die Persönlichkeitsgestaltung der Kinder eingreifen. Es darf nicht sein, dass wir Kinder formatieren wollen.
Die Kinder empfanden die «Sextante» als grenzüberschreitend.
Ich will das nicht an dieser Person aufhängen. Sie unterrichtet wahrscheinlich gemäss dem aktuellen Wissensstand. Und dieser läuft in die Richtung, dass er den Erwachsenen die Berechtigung gibt, sich in private Angelegenheiten der Kinder einzumischen. Sie kann es wohl gar nicht anders machen, weil der Unterricht so vorgegeben ist und die Materialien so gestaltet sind. In unserem Bildungswesen müssen sich Lehrer häufig so verhalten, denn man muss ja «Fürchterliches» verhindern. So herrscht beispielsweise aus Angst vor gesundheitlichen Schäden in vielen Schulen schon ein Znüniterror: Kinder müssen ihr Znüni auf den Tisch legen und dann wird beurteilt, was gut ist und was nicht. Das ist ja schon ein eigentlicher moralischer Rigorismus.
Wie sieht guter Sexualunterricht aus?
Die Fragestellungen sollten von den Kindern ausgehen. Generell ist ein Zweiergespräch besser als ein Gespräch in der Klasse, auch sollte man nicht direkt auf die Kinder losgehen. Attrappen von Sexualorganen sind so plump und offensichtlich, das ist ja fast wie Pornografie. Aufklärung kann man gut auch mittels Geschichten vermitteln.
Wie steht es, wenn eine den Kindern unbekannte Person diese Aufklärung macht?
Ich finde es besser, wenn das Lehrpersonen tun. Sie kennen die Klassen und können Sexualität zum Thema machen, wenn sie merken, dass es unter den Schülern tatsächlich eines wird. Der Moment muss stimmen. Man muss auch nicht immer eine Lektion draus machen, manchmal ergibt sich spontan ein Gespräch. Das habe ich, als ich Unterricht gab, auch schon erlebt.


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