Was läuft bei Aufklärungstagen hinter verschlossener Tür genau ab? Bild: Keystone
Politiker reagieren geschockt auf Sexbericht, Basler Zeitung, 14.2. von Daniel Wahl
Mit grossen Augen ist der Erlebnisbericht der Klasse 3s zum Aufklärungsunterricht an der Sekundarschule Binningen
gestern im Landrat zur Kenntnis genommen worden. Die 13- und 14-Jährigen gaben
in der gestrigen BaZ-Ausgabe Einblick, was während des sogenannten
Pubertätstags hinter verschlossenen Türen mit den externen Fachberatern der Aids-Hilfe
beider Basel abläuft. In unverblümter Sprache schreiben die Kinder, wie
«Sextante D.» sie zur Masturbation ermuntert habe und wie sie angeleitet worden
seien, bei bestimmten Sexualstellungen zum besseren Orgasmus zu kommen. Und
immer wieder kommt zum Ausdruck, dass die Kinder sich genötigt sahen, Intimes
und Privates preiszugeben, was ihnen teilweise sehr peinlich war.
Der
Sekundarlehrer und Landrat Jürg Wiedemann (Grüne) zollt der Klasse grossen
Respekt, mit dem Thema an die Presse gegangen zu sein, und ebenso den Lehrern,
welche die Kinder auf ein hohes soziales und sprachliches Niveau gebracht
hätten. «Diese Klasse würde ich gerne unterrichten.» Aber Wiedemann ist auch
schockiert darüber, dass die Kinder, die im Alter von 13 und 14 vielleicht ihre
ersten Beziehungen eingehen, an der Schule über ihre Liebe sprechen müssen.
«Dies erzählen die Kinder nicht einmal den engsten Vertrauten, den Eltern. Und
dann kommt eine fremde Person und quetscht sie aus. Das erachte ich als brutal.
Das darf nicht sein.»
Rote Köpfe
im Unterricht
Daniel Stolz,
Geschäftsführer der Aids-Hilfe beider Basel, wehrt sich gegen den Vorwurf, ihre
Fachperson habe die Kinder zu Aussagen genötigt oder ihre Schamgrenze verletzt:
«Uns ist sehr bewusst, dass wir Unterricht in einem heiklen Bereich geben.»
Deshalb versuche man zu Beginn des Unterrichts herauszufinden, wie eine Klasse
über das Thema redet.
Die
Lehrperson würde das «Wording» übernehmen, sicher in der Ausdrucksweise aber
einen Gang zurückschalten. «Dass es rote Köpfe bei diesem Thema gibt, ist doch
selbstverständlich und gehört zum Unterricht», sagt Stolz. Zudem passe man das
Programm dem Alter der Schüler an. «Wir haben zum Beispiel das Modul Ü16 (über
16 Jahre) geschaffen, evaluiert und lanciert.» Weitere Schritte sind geplant,
erklärt Stolz.
Chance der externen Personen
Der
Aids-Hilfe-Chef spricht auch über den Vorteil, externe Personen einzuberufen,
die «einmal, vielleicht zweimal auftauchen und im Leben der Kinder wieder
verschwinden». Stolz sagt: «Die Jugendlichen können unbefangener sprechen. Sexualkunde
kann anders thematisiert werden, als wenn es der Klassenlehrer macht.» Diesen
Vorteil sieht Jürg Wiedmann grundsätzlich auch, Schüler könnten anders reden.
Aber: Das
Thema müsste grundsätzlich im Rahmen des Biologieunterrichts behandelt werden
und die externen Fachberater der Aids-Hilfe ins Konzept miteinbezogen werden,
«so wie das ein Klassenlehrer mit seinen Skiteam macht, wenn er mit den Kindern
in die Berge geht». Dass die Lehrerschaft in Binningen nicht wahrgenommen hat,
was hinter verschlossenen Türen passiert sei, sei bedenklich. An der
Sekundarschule Therwil werden beispielsweise die externen Fachberater an einem
Elternabend vorgestellt, um ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.
«Seelischer Übergriff»
Bei der
CVP/EVP-Fraktion zeigt man sich schockiert über die Schilderungen der Kinder.
«In diesen Unterricht würde ich mein Kind nicht schicken wollen», sagt Felix
Keller. Er erwarte, dass man über Aids und die Verhütungsmittel aufklärt. Dass
zur Masturbation aufgefordert werde, findet er nicht haltbar. EVP-Landrätin
Elisabeth Augstburger redet von einem «seelischen Übergriff» gegenüber den
Kindern und spricht der «Sextante» die Vorbildfunktion ab, wenn sie den Kindern
sagt: «Im Alter von 53 ist der Pfupf in einer Beziehung weg.» Vielmehr solle die
Chance genutzt werden, den Kindern zu erzählen, wie man eine Liebesbeziehung
auch im Alter schön und romantisch gestalten könne.
Die Lehrerin
und CVP-Parteipräsidentin Sabrina Corvini-Mohn spricht von Rücksichtslosigkeit
gegenüber jenen Kindern, die noch nicht so weit seien. «Die Kinder sollen doch
entsprechend ihrer Reife selber intime Themen ansprechen können. Hier zieht die
Schule am Tag X einfach blank.»
Parteikollege
Felix Keller hat darum angekündigt, dass die CVP/EVP-Fraktion eine
Interpellation einreichen werde. Man wolle wissen, inwiefern die Eltern über
die Tiefe der Aufklärung informiert worden seien. Und ob dieses Vorgehen
Standard an allen Sekundarschulen sei.
Anstrengender Unterricht
Auf die
Frage, ob die Aids-Hilfe nach dem Feedback der Schüler Lehren ziehen werde,
weicht Stolz aus. Es sei ihm bewusst geworden, dass Sexualkunde-Unterricht
sehr anstrengend sein kann. Mit der Fachperson, die in Binningen unterrichtete,
habe man bereits gesprochen. Die Klasse sei anstrengend gewesen, weshalb man
früher als üblich die Geschlechter getrennt betreut habe.
Übrigens: Als
sich der Klassenlehrer der 3s im Verdacht sah, Initiant des Schülerberichtes
gewesen zu sein, gingen gestern die Kinder geschlossen zur Schulleitung, um
ihren Lehrer aus der Schusslinie zu nehmen und zu erklären, dass sie den
Bericht selbstständig und eigenhändig verfasst hätten.
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