Der Druck für eine Anpassung steigt
Keine Matur mehr für Faulpelze, NZZaS, 9.2. von René Donzé
Das geschieht oft in der Erstsprache - vor allem aber in
der Mathematik. «Rund 20 Prozent der Maturanden haben grob ungenügende
Mathematikkenntnisse», sagt der Präsident der Berner Maturitätskommission, Jürg
Schmid: «Das ist extrem bedenklich.» Schmid stützt sich auf eine Auswertung von
Berner Maturanoten. «Grob ungenügend» heisst Note 2,5 oder tiefer. In anderen
Kantonen dürfte es nicht anders sein. In der Studie Evamar II der Universität
Zürich von 2008 waren 41 Prozent der schriftlichen Mathe-Maturaprüfungen
ungenügend. Regelmässig kommen Klagen aus Hochschulen, zum Beispiel von
ETH-Rektor Lino Guzzella und Michael Hengartner, Rektor der Universität Zürich.
Ein leeres Prüfungsblatt genügt
Es kursiert sogar die Geschichte eines Schülers, der an
der Prüfung ein leeres Blatt abgab und die Matura dennoch bestand. Möglich ist
dies dank dem System, wonach jeder Tiefpunkt (Notenpunkt unter 4) durch zwei
Hochpunkte (Notenpunkte über 4) kompensiert werden kann. Die an sich sinnvolle
Regel wurde verwässert, indem die Zahl der Maturitätsfächer auf 13 erweitert
wurde (inklusive Maturaarbeit). So kann beispielsweise eine 2,5 in Mathe mit je
einer 5,5 in Sport und Musik wettgemacht werden.
Damit soll nun Schluss sein, fordern die Deutschschweizer
Mathematiklehrer (DMK). Sie fordern in einem Brief an die Schweizerische
Maturitätskommission die Einführung einer zusätzlichen Bestehensnorm für die
Maturität, welche die Kompensation ganz schwacher Leistungen erschwert. Neu
soll die Summe der fünf tiefsten Noten mindestens 19 betragen. «Damit streben
wir eine Regelung an, mit der die Schüler angehalten werden, vermehrt an ihren
Schwächen zu arbeiten», sagt DMK-Präsidentin Daniela Grawehr.
Die Idee kommt nicht von ungefähr. Die Kantonsschule
Solothurn hat eine solche Bestimmung bereits vor zehn Jahren ins
Promotionsreglement eingebaut - und gute Erfahrungen gemacht, wie Rektor Stefan
Zumbrunn sagt. «Damit sind die Exoten, die mit einer 2 in einem Fach durchs
Gymi kommen, verschwunden», sagt er. «Wir haben keine tiefen Ausreisser mehr
nach unten.» Auch die Rückmeldungen seitens der Hochschulen seien besser
geworden. Dem Vernehmen nach liebäugelt auch Neuenburg mit einer solchen Regel,
in Bern wird sie ebenfalls diskutiert. Die Promotionsreglemente können die
Kantone in Eigenregie anpassen. Eine Änderung der Maturitätsanerkennungsverordnu ng
hingegen müsste von der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) und vom Bundesrat
genehmigt werden.
Druck für eine Anpassung steigt
Die EDK weiss um die mangelhaften Mathematik- und
Sprachkenntnisse der Maturanden. Sie lässt beim Zürcher Professor Franz Eberle
einen Katalog der grundlegenden Kompetenzen in diesen beiden Bereichen
erstellen, die für ein Hochschulstudium vorhanden sein müssen. Diese sollen
dann in den Rahmenlehrplan der Gymnasien aufgenommen werden. Inzwischen steht
aber auch eine Veränderung der Bestehensnorm zur Diskussion. Laut EDK-Präsident
Christoph Eymann steigt der Druck seitens der Lehrer und Rektoren für eine Anpassung.
«Es gibt aber noch keinen konkreten Auftrag für eine Revision der
Maturitätsverordnung», sagt er. Persönlich sei er indes gegen eine
19-Punkte-Regel, weil sie Schüler mit einseitigen Begabungen ausschliessen
würde: «Gymnasiale Bildung sollte nicht auf Durchschnitt ausgelegt sein», sagt
der Basler Erziehungsdirektor.
Positive Signale kommen vom Bund. Mauro Dell'Ambrogio,
Staatssekretär für Bildung, Forschung und Innovation, sagt: «Ich bin sehr
dafür, dass die Maturitätsprüfungsverordnung so angepasst wird, dass sehr
schlechte Noten nicht mehr so einfach kompensiert werden können.» Laut Franz
Eberle würde die Regelung zwar nicht alle Probleme lösen. «Sie würde aber
weniger Ungleichgewichte im Notenbild bewirken», sagt er. «Aus diesem
Blickwinkel sollte man sie diskutieren.»
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