Wie die Jugend leibt und lebt, NZZ, 24.1. von Urs Bühler
Die Pubertät gilt nicht als die Lebensphase, in der man sich in seiner Haut am wohlsten fühlt. Umso erstaunlicher der Befund, dass gut zwei Fünftel der Stadtzürcher Achtklässler nichts und etwa die Hälfte nur wenig an ihrem Körper ändern möchten. Damit nicht genug: Über 90 Prozent zeigen sich mit sich und ihrem Leben recht bis sehr zufrieden. Die Resultate entstammen einer Befragung, unter Federführung der städtischen Gesundheitsdienste im vergangenen Schuljahr durchgeführt und mit einer solideren Datenbasis als viele andere Umfragen versehen: Beteiligt waren 1757 Jugendliche aus zweiten Sekundarklassen, was 95 Prozent der grossteils 14-jährigen Schülerschaft dieses Bereichs entspricht. Am Ende waren es 1420 ausgefüllte Multiple-Choice-Fragebögen, die das Sozialforschungsbüro Lamprecht und Stamm auswertete.
Täglich 2 Stunden am
Telefon
Die Stadt begründet ihren Bedarf nach einer solchen
Befragung damit, dass sich gesundheitsgefährdende Entwicklungen frühzeitig
erkennen und die Prävention gezielter aufbauen liessen. Das haben Claude
Hunold, Direktor der Schulgesundheitsdienste, und Stadtrat Gerold Lauber am
Donnerstag bei der Präsentation betont. Obwohl Selbstdeklarationen natürlich
nicht immer die Wahrheit ans Licht bringen, liefern die Resultate interessante
Einblicke in die Lebenswelt von Teenagern. Die Palette einbezogener Themen geht
über das körperliche und psychische Wohlbefinden hinaus, bis zu
Freizeitgestaltung, Sexualität, Ernährungsverhalten und Suchtmittelkonsum.
Dabei wird das verbreitete Bild einer dem Kiffen, Rauchen, Saufen verfallenen
Jugend relativiert: Täglich am Glimmstengel zieht etwa jede 33. der befragten
Personen. 83 Prozent kreuzten an, keinen Tabak zu konsumieren, 86 Prozent
keinen Alkohol. Beide Anteile sind höher als im Jahr 2008. Damals gab es eine
erste Befragung, so sind nun Vergleiche möglich. Leicht gesunken ist dafür der
Anteil von 84 Prozent, die noch nie Cannabis geraucht haben. Ablesbar ist aber
auch, dass die wenigen einbezogenen 15-Jährigen eher zu Alkohol, Tabak oder
Marihuana greifen als die 14-Jährigen. Die Fachleute schliessen daraus, dass
gerade an dieser Schwelle präventive Massnahmen besonders sinnvoll wären.
Und was tut der Nachwuchs in der Freizeit? Das
Treffen von Freunden gilt als häufigste Beschäftigung. Drei von fünf Befragten
sind zudem im Sportverein aktiv, wobei Mädchen klar untervertreten sind. Dafür
sind sie Meisterinnen am Telefon: Gut die Hälfte von ihnen telefoniert täglich
über zwei Stunden, bei den Knaben ist es immerhin gut ein Drittel. Nicht nur am
Hörer wird mehr Zeit verbracht als noch 2008, auch beim Internetsurfen und
Simsen. Zu schwinden scheint indes die Attraktion der Computerspiele: Gaben
2008 noch 42 Prozent an, täglich über zwei Stunden zu «gamen», waren es nun
noch 24 Prozent.
Gestärkt wird die These, dass Gesundheit und
Wohlbefinden eng an das Bildungsniveau und die soziale Herkunft gekoppelt sind.
Jugendliche aus der Sek B zeigen in ihren Antworten etwa einen Hang zu
ungesünderem Lebensstil als die aus der Sek A: Erstere trinken mehr Süssgetränke,
scheinen öfter betrunken zu sein oder zu rauchen und meiden eher Velohelme.
Nicht nur beim Helmtragen, das kein Fünftel aller Befragten regelmässig
praktiziert, auch beim Sonnenschutz zeigen Knaben ein stärkeres Risikoverhalten
als Mädchen.
Was den Schutz beim Geschlechtsverkehr betrifft,
ergibt der Vergleich zur Befragung von 2008 ein verbessertes Bild. Damals
hatten 14 Prozent derjenigen, die schon sexuelle Erfahrung hatten, sich laut
Eigenangabe nicht geschützt. Nun waren es 9 Prozent. Auch die Tendenz zu sehr
frühen Sexualkontakten scheint abzunehmen: Diesmal gaben 10 Prozent an, bereits
Verkehr gehabt zu haben, 2008 waren es 16 Prozent. Gerade in diesem Punkt
könnten allerdings speziell Buben selbst in anonymen Befragungen zu Prahlerei
neigen.
Allgemein kristallisiert sich bei den männlichen
Beteiligten ein höherer Bewegungsdrang heraus: Nur etwa jeder 15. Knabe, aber
jedes 5. Mädchen gibt an, sich ausserhalb des Sportunterrichts nie zu bewegen.
Aus ernährungstechnischer Sicht erstaunen mag angesichts der Lamenti über
zerfallende Familienstrukturen, dass 90 Prozent ihr Abendessen am Familientisch
einnehmen. Und vier Fünftel frühstücken gewohnheitsmässig.
Die dunklere Seite
Bei der Einschätzung des Idealgewichts deuten sich
einige Störungen an, was angesichts der täglich publizierten Vorbilder und
Kampagnen kaum erstaunt: Ein Drittel jener Befragten, die mitnichten
übergewichtig sind, findet sich zu dick. Gut die Hälfte der Mädchen und ein
Drittel der Knaben wollen abnehmen. Wachsende Hysterie zeichnet sich aber nicht
ab: 51 Prozent, mehr als 2008, finden ihr Körpergewicht gerade richtig.
Ihren Gesundheitszustand schätzen 95 Prozent als
gut bis ausgezeichnet ein. Über zwei Fünftel haben allerdings jede Woche Kopf-,
Bauch- oder Rückenweh. Davon sind Mädchen häufiger betroffen (oder sie gestehen
es sich eher ein), und sie weisen mit 54 Prozent auch einen höheren Anteil auf,
der die Schmerzen medikamentös bekämpft. Dafür nehmen 9 Prozent der Knaben,
fast doppelt so viele wie bei den Mädchen, Mittel zur Förderung der
Konzentration.
Anlass zu besonderer Sorge gibt, dass sich in je
einem Sechstel der Fragebögen Hinweise auf Angststörungen oder auf depressive
Verstimmungen manifestieren. Auch hier sind mehr Mädchen betroffen. Die
Symptome sind oft gepaart mit Verhaltensweisen wie Schulschwänzen, Ausreissen
oder Selbstverletzung. Noch besorgniserregender sind jene 47 Jugendlichen, bei
denen eine Mehrfachbelastung vermutet wird. Hierbei sind Angststörungen etwa
kombiniert mit häufigem Suchtmittelkonsum, Gefühlen des Diskriminiertseins oder
schlechtem Eigenbild bezüglich Gesundheit. In dieser Gruppe sind Übergewichtige
und Sek-B-Jugendliche stark vertreten. Die Fachleute gehen davon aus, dass im
Erwachsenenalter diese Probleme nicht einfach abklingen. Umso wichtiger seien
frühzeitige Diagnose und Begleitung. Die Schulgesundheitsdienste sehen sich
dadurch in ihrem Entscheid bestätigt, beim laufenden Massnahmenplan
«Psychosoziale Gesundheit im schulischen Kontext» einen Fokus auf Früherkennung
und -intervention zu legen.
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