24. Januar 2014

Zufrieden mit sich und der Welt

14-Jährige in der Stadt Zürich saufen und rauchen kaum, essen abends am Familientisch, fühlen sich gesund und zufrieden. Zu dem Schluss führt eine Befragung in sämtlichen zweiten Sekundarklassen. Doch gibt es auch besorgniserregende Punkte.
Wie die Jugend leibt und lebt, NZZ, 24.1. von Urs Bühler




Die Pubertät gilt nicht als die Lebensphase, in der man sich in seiner Haut am wohlsten fühlt. Umso erstaunlicher der Befund, dass gut zwei Fünftel der Stadtzürcher Achtklässler nichts und etwa die Hälfte nur wenig an ihrem Körper ändern möchten. Damit nicht genug: Über 90 Prozent zeigen sich mit sich und ihrem Leben recht bis sehr zufrieden. Die Resultate entstammen einer Befragung, unter Federführung der städtischen Gesundheitsdienste im vergangenen Schuljahr durchgeführt und mit einer solideren Datenbasis als viele andere Umfragen versehen: Beteiligt waren 1757 Jugendliche aus zweiten Sekundarklassen, was 95 Prozent der grossteils 14-jährigen Schülerschaft dieses Bereichs entspricht. Am Ende waren es 1420 ausgefüllte Multiple-Choice-Fragebögen, die das Sozialforschungsbüro Lamprecht und Stamm auswertete.


Täglich 2 Stunden am Telefon

Die Stadt begründet ihren Bedarf nach einer solchen Befragung damit, dass sich gesundheitsgefährdende Entwicklungen frühzeitig erkennen und die Prävention gezielter aufbauen liessen. Das haben Claude Hunold, Direktor der Schulgesundheitsdienste, und Stadtrat Gerold Lauber am Donnerstag bei der Präsentation betont. Obwohl Selbstdeklarationen natürlich nicht immer die Wahrheit ans Licht bringen, liefern die Resultate interessante Einblicke in die Lebenswelt von Teenagern. Die Palette einbezogener Themen geht über das körperliche und psychische Wohlbefinden hinaus, bis zu Freizeitgestaltung, Sexualität, Ernährungsverhalten und Suchtmittelkonsum. Dabei wird das verbreitete Bild einer dem Kiffen, Rauchen, Saufen verfallenen Jugend relativiert: Täglich am Glimmstengel zieht etwa jede 33. der befragten Personen. 83 Prozent kreuzten an, keinen Tabak zu konsumieren, 86 Prozent keinen Alkohol. Beide Anteile sind höher als im Jahr 2008. Damals gab es eine erste Befragung, so sind nun Vergleiche möglich. Leicht gesunken ist dafür der Anteil von 84 Prozent, die noch nie Cannabis geraucht haben. Ablesbar ist aber auch, dass die wenigen einbezogenen 15-Jährigen eher zu Alkohol, Tabak oder Marihuana greifen als die 14-Jährigen. Die Fachleute schliessen daraus, dass gerade an dieser Schwelle präventive Massnahmen besonders sinnvoll wären.

Und was tut der Nachwuchs in der Freizeit? Das Treffen von Freunden gilt als häufigste Beschäftigung. Drei von fünf Befragten sind zudem im Sportverein aktiv, wobei Mädchen klar untervertreten sind. Dafür sind sie Meisterinnen am Telefon: Gut die Hälfte von ihnen telefoniert täglich über zwei Stunden, bei den Knaben ist es immerhin gut ein Drittel. Nicht nur am Hörer wird mehr Zeit verbracht als noch 2008, auch beim Internetsurfen und Simsen. Zu schwinden scheint indes die Attraktion der Computerspiele: Gaben 2008 noch 42 Prozent an, täglich über zwei Stunden zu «gamen», waren es nun noch 24 Prozent.

Gestärkt wird die These, dass Gesundheit und Wohlbefinden eng an das Bildungsniveau und die soziale Herkunft gekoppelt sind. Jugendliche aus der Sek B zeigen in ihren Antworten etwa einen Hang zu ungesünderem Lebensstil als die aus der Sek A: Erstere trinken mehr Süssgetränke, scheinen öfter betrunken zu sein oder zu rauchen und meiden eher Velohelme. Nicht nur beim Helmtragen, das kein Fünftel aller Befragten regelmässig praktiziert, auch beim Sonnenschutz zeigen Knaben ein stärkeres Risikoverhalten als Mädchen.

Was den Schutz beim Geschlechtsverkehr betrifft, ergibt der Vergleich zur Befragung von 2008 ein verbessertes Bild. Damals hatten 14 Prozent derjenigen, die schon sexuelle Erfahrung hatten, sich laut Eigenangabe nicht geschützt. Nun waren es 9 Prozent. Auch die Tendenz zu sehr frühen Sexualkontakten scheint abzunehmen: Diesmal gaben 10 Prozent an, bereits Verkehr gehabt zu haben, 2008 waren es 16 Prozent. Gerade in diesem Punkt könnten allerdings speziell Buben selbst in anonymen Befragungen zu Prahlerei neigen.

Allgemein kristallisiert sich bei den männlichen Beteiligten ein höherer Bewegungsdrang heraus: Nur etwa jeder 15. Knabe, aber jedes 5. Mädchen gibt an, sich ausserhalb des Sportunterrichts nie zu bewegen. Aus ernährungstechnischer Sicht erstaunen mag angesichts der Lamenti über zerfallende Familienstrukturen, dass 90 Prozent ihr Abendessen am Familientisch einnehmen. Und vier Fünftel frühstücken gewohnheitsmässig.

Die dunklere Seite

Bei der Einschätzung des Idealgewichts deuten sich einige Störungen an, was angesichts der täglich publizierten Vorbilder und Kampagnen kaum erstaunt: Ein Drittel jener Befragten, die mitnichten übergewichtig sind, findet sich zu dick. Gut die Hälfte der Mädchen und ein Drittel der Knaben wollen abnehmen. Wachsende Hysterie zeichnet sich aber nicht ab: 51 Prozent, mehr als 2008, finden ihr Körpergewicht gerade richtig.

Ihren Gesundheitszustand schätzen 95 Prozent als gut bis ausgezeichnet ein. Über zwei Fünftel haben allerdings jede Woche Kopf-, Bauch- oder Rückenweh. Davon sind Mädchen häufiger betroffen (oder sie gestehen es sich eher ein), und sie weisen mit 54 Prozent auch einen höheren Anteil auf, der die Schmerzen medikamentös bekämpft. Dafür nehmen 9 Prozent der Knaben, fast doppelt so viele wie bei den Mädchen, Mittel zur Förderung der Konzentration.

Anlass zu besonderer Sorge gibt, dass sich in je einem Sechstel der Fragebögen Hinweise auf Angststörungen oder auf depressive Verstimmungen manifestieren. Auch hier sind mehr Mädchen betroffen. Die Symptome sind oft gepaart mit Verhaltensweisen wie Schulschwänzen, Ausreissen oder Selbstverletzung. Noch besorgniserregender sind jene 47 Jugendlichen, bei denen eine Mehrfachbelastung vermutet wird. Hierbei sind Angststörungen etwa kombiniert mit häufigem Suchtmittelkonsum, Gefühlen des Diskriminiertseins oder schlechtem Eigenbild bezüglich Gesundheit. In dieser Gruppe sind Übergewichtige und Sek-B-Jugendliche stark vertreten. Die Fachleute gehen davon aus, dass im Erwachsenenalter diese Probleme nicht einfach abklingen. Umso wichtiger seien frühzeitige Diagnose und Begleitung. Die Schulgesundheitsdienste sehen sich dadurch in ihrem Entscheid bestätigt, beim laufenden Massnahmenplan «Psychosoziale Gesundheit im schulischen Kontext» einen Fokus auf Früherkennung und -intervention zu legen.
 

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