26. Januar 2014

Geplätscher auf 557 Seiten

Pointiert nimmt Beat Kappeler den Faden um die Diskussion des Lehrplans 21 auf. Sein Fazit: "Die Schweizer Volksschule ist heute noch nicht so dumm wie dieser Lehrplan auf 557 Seiten." Kappeler skizziert einen möglichen Themenbereich Wirtschaft, äussert sich zum "Schmusefach" Natur-Mensch-Gesellschaft und notiert, worauf es ankommt: umfassend gebildete Lehrkräfte.



"Platte Modethemen, die einer kurzlebigen Aktualität hinterherrennen", Bild: NZZ

Ein gutgemeinter Lehrplan hilft Schülern nicht, die Wirtschaftswelt zu meistern, NZZaS, 26.1. von Beat Kappeler


Der Lehrplan 21 plätschert auf 557 Seiten den Lehrern vor, was und wie sie lehren sollen.Besonders abstrus fiel der Teil über Wirtschaft, Arbeit, Haushalt aus. Einmal, weil er im pseudowissenschaftlichen Ton des ganzen Lehrplans daherkommt und den Schülern «Kompetenzen» auferlegt, wozu sie reflektieren, Verhalten generieren, Fragen identifizieren sollen. Einleitend dazu «erfahren sie Schrift als Träger von Bedeutung und als Instrument, um Gedanken festzuhalten».
Das habe ich in den vielen Jahren Schule nie mitgeteilt bekommen, trotzdem dilettiere ich nun wie folgt. Das Wirtschaftskapitel ergeht sich in platten Modethemen, die einer kurzlebigen Aktualität hinterherrennen. Wie man kauft und frisst, das treibt die Verfasser um. Die Anleitungen sehen fast nur Probleme und Gefahren - die Schüler sollen die soziokulturellen Bedingungen des Konsums erkennen und reflektieren und die Marken bezüglich der sozialen Anerkennung hinterfragen. Immer auch muss der Ressourcenverbrauch dahinter verglichen und beurteilt werden. Preisdruck, Verschuldung, Arbeitsbedingungen und Arbeitsplatzverlust seien zu identifizieren. Die Schüler sollen eigene Ideen generieren, um die negativen Folgen des Konsums zu reduzieren.
Die Geschlechtergerechtigkeit darf dabei nicht zu kurz kommen. Rohstoffe und andere Geschäfte brauchen ethische Verhaltensleitsätze, Verhaltenskodizes, Zertifizierung. Die Lehrer pauken den Schülern die fortschreitende Bürokratisierung der Wirtschaft ein. Eine Welt von Abgründen tut sich auf, auf Soziologen-Deutsch grell erleuchtet. Von solchen Höhen der Weltsorge fällt das Kapitel dann in plumpe Anleitungen ab. Die Schüler sollen «exemplarische Alltagsarbeiten eines Haushalts ausführen» oder sich vorsehen, wenn «spontanes Dazukommen von Gästen» geschieht. Nur schon diese substantivische Sprache ist ein Monstrum des Festhaltens von Gedanken.
Also, das Kapitel hängt mit seinen Kompetenzzielen in den akuten Moden drin - Nachhaltigkeit, Gender, Rohstoffkritik, Schulden, Krisen. Hätten die Millionen verschlingenden Kommissionssitzungen dazu noch länger gedauert, müssten die Lehrer auch noch zur Energiewende antreten. Das fehlt jetzt, und wir werden's überleben.
Was zum Glück nicht fehlt, sind Anleitungen zu Arbeits-, Kauf- und Mietverträgen. Das ist der Stoff, aus dem nachhaltiges Lernen besteht, also das, was den Schülern später bleibt. Die Modethemen wechseln hingegen. Ich kenne Schüler, die mit ziemlichem Zynismus auf die von Lehrern vorgeweinten Naturschäden - arme Indianer, arme Immigranten - reagierten.
Was aber sollte kurz und bündig als Lehrinhalt für die Ober- und Sekundarstufe der Volksschule gelten? Es sind die erwähnten, nüchternen Rechte und Pflichten in Arbeit, Kauf und Miete. Die Elemente von Buchhaltung, sogar von doppelter Buchhaltung gehören dazu, nicht nur das Plärren über Konsumschulden. Sodann sind wichtige Begriffe zu erläutern und an Beispielen zu zeigen. Wie entsteht Produktivität, Geldschöpfung, Wertschöpfung in Firmen des Gewerbes, der Industrie, der Dienste? Ein kurzer Blick auf die Instrumente des Anlegens, auf Aktien, Obligationen, Sparbuch, Versicherungen ist nötig. Wie solche Werte sich verändern, wenn die Zinsen sich ändern, wie also abdiskontiert wird, ergibt sich als angewandte Zinseszinsrechnung. Dann wissen die Sekundarschüler schon mehr als Europas Schuldenpolitiker. Nicht schaden kann ein Blick auf die Voraussetzungen dafür, wie Länder wohlhabend werden und bleiben. Und wenn die Schüler die aktuellen Themen in den Medien verstehen sollen, dann muss die Schule die EU, die Welthandelsorganisation, die Efta und Freihandelsabkommen erklären. Die Schüler sollen eigene Produkte, auch übers Internet, entwickeln und verkaufen. Sie sollen sich als Produzenten, als aktive Wirtschaftsbürger sehen, nicht als allseits bedrohte Konsumenten eines dekadenten Landes.
Insgesamt läuft der Lehrplan 21 an den Vorschlägen des Star-Pädagogen John Hattie völlig vorbei. Gemäss Hattie kommt es nicht auf Kleinklassen, auf die unendlichen Schulreformen an, sondern auf den Lehrer. Finnland, mit seinen spektakulären Pisa-Resultaten bei den Schülerkompetenzen, baut auf umfassend gebildete Lehrkräfte, lässt ihnen aber die Freiheit.
Ebenso irrt der Lehrplan 21, wenn er meint, modisches Verhalten züchten zu müssen anstatt inhaltliches Wissen, anstatt Rechnen, Schreiben, Lesen zu exerzieren. Auch wird die Schweiz nie genügend Naturwissenschafter haben, wenn das Schmusefach «Natur-Mensch-Gesellschaft» an die Stelle tritt von Biologie, Physik und Chemie mit deren Methoden und Berufsbildern. Die Schweizer Volksschule ist heute noch nicht so dumm wie dieser Lehrplan auf 557 Seiten.

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