20. November 2013

"Inhaltslose Geschwätzkultur"

Zu den heftigsten Kritikern des Lehrplans 21 gehört der Volkswirtschafter Mathias Binswanger. Seiner Meinung nach fördert die Verschiebung von Wissen hin zu Kompetenzen eine "inhaltslose Geschwätzkultur". 
Intensiv beteiligten sich rund 100 Gäste an der Diskussion, die kürzlich an der Uni Basel stattfand. Der Verein «Denknetz», der Entwicklungen in der Wirtschafts-, Sozial- und Bildungspolitik aufgreift, hatte zu einer Abendveranstaltung geladen. Es ging um den Lehrplan 21, das umstrittene Projekt, das die Lernziele für die 21 Deutschschweizer Kantone vorgeben soll.
Scharfer Kritiker des Lehrplans 21 ist Mathias Binswanger, Professor für Volkswirtschaft an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). Doch auch Rudolf Künzli, Lehrplanforscher und ehemaliger Leiter der Pädagogischen FHNW, stellt ihn infrage, jedoch auf etwas gemässigtere Weise als Binswanger. Einheitlicher Tenor: Der Lehrplan überfordert die Schüler, ist für Lehrkräfte kaum umsetzbar und entfernt sich zu weit von der Kernaufgabe der Schule: dem Vermitteln von Fachwissen.
Mathias Binswanger argumentierte klipp und klar: «Das Wissen wird mit dem Lehrplan 21 in den Hintergrund gedrängt.» Gefördert würde stattdessen eine inhaltslose Geschwätzkultur. Im Lehrplan sei viel die Rede von Selbstreflexion, Eigenständigkeit sowie Beziehungs- und Konfliktfähigkeit. Doch dies seien nichtssagende Worthülsen. Ausserdem: «Wie will man Kompetenz messen?» Da würde eine Form von Scheinpräzision vorgegaukelt, die nie und nimmer Realität sei.
Seiner Meinung nach will der Lehrplan 21 die Schulen zurechtstutzen auf politisch korrektes, normiertes Mittelmass. Doch so nehme man den Lehrkräften immer mehr Freiraum und die Lust am Unterrichten. «Wenn die Freude verdrängt wird, wird auch die Qualität verdrängt», ist Binswanger überzeugt.
Als Binswanger jedoch den Schluss zog, dass reine Kompetenzorientierung zu pseudokommunikativem Schwätzertum führe und den Schülern dafür grundlegende Fähigkeiten beispielsweise in Mathematik fehlen würden, sah sich Rudolf Künzli bemüssigt, Gegensteuer zu geben: «Der Lehrplan 21 ist eine Überforderung für die Schüler, das ist richtig. Doch er ist kein Schrott. Da müssen wir genau sein.» Allerdings sei die Überforderung der Schülerschaft und die Fülle des Lehrplans tatsächlich ein Problem.
Auch er stellte jedoch fest: «Kompetenz ist so was wie eine pädagogische Bewegung geworden.» Er ging auf die Geschichte der Bildung ein und stellte zum Schluss seines Referats fest: «Die Politik scheut die Setzung von gemeinsamen Rahmenbedingungen: Nicht einmal mit der Schulharmonisierung hätten so relevante Anliegen wie die gemeinsame Einführung von Fremdsprachen, Schulzeiten und Fächerstrukturen durchgesetzt werden können.
Zum Schluss schaltete sich auch die Zuhörerschaft in die Diskussion ein, unter ihnen viele Lehrkräfte: «Binswanger macht es sich zu einfach. Er war wohl schon lange nicht mehr in einer Schulstube», sagte einer von ihnen. Gerade mit dem Kompetenzbegriff habe man nun die Chance, von der Wortfülle wegzukommen. Doch der Lehrplan 21 erntete auch von dieser Seite nicht viele gute Worte.
«Man hat den Eindruck, dass man mit dem Lehrplan die Gesellschaft über unsere Jugend umerziehen will», sagte ein Votant, der sich als Pfarrer outete.Und er fügte hinzu: «Das Werk kommt daher wie eine Bibel.» Bedenken äusserte auch eine Primarlehrerin: «Es scheint, dass die Schüler mit dem neuen Lehrplan nicht mehr rechnen und lesen müssen, dafür aber operieren und benennen, erforschen und argumentieren.» Wissen könne man aber so kaum erlangen, da gehöre nun einfach einmal Pauken dazu.
Angesprochen wurde ein weiteres Problem: «Gerade die zahlreichen auffälligen Kinder dürften mit dem neuen Lehrplan überfordert sein», sagte eine Lehrerin. Diese seien auf klare Anweisungen angewiesen. Doch der Lehrplan 21 setze ganz klar auf das eigenständige, selbstbestimmte Lernen.
Quelle: Lehrplan 21 fördert "inhaltslose Geschätzkultur", Basler Zeitung, 20.11. von Franziska Laur

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen