Mögen
Sie Aufnahmeprüfungen? Wenn ja, dann wird es Sie freuen zu lesen, dass eine
Schweizer Studie kürzlich festgestellt hat, Prüfungen seien gerechter als
andere Selektionsverfahren wie zum Beispiel die Zuteilung durch die
Primarlehrerin aufgrund einer ganzheitlichen Beurteilung.
Wenn der Schulratspräsident zum Einstufungsgespräch erscheint, ist
es halt doch anders, als wenn dort die alleinerziehende Mutter mit ihrem Sohn
aufkreuzt. Unser sogenannt «ganzheitliches» Beurteilungssystem lässt Tür und
Tor offen für objektiv nicht nachweisbare Begünstigungen und Klüngeleien. Das
bleibt im Bewusstsein hängen. Gerade Leute mit tiefem Bildungsstand vertrauen
eher einer Prüfung als dem Urteil einer Lehrperson. Die Forderung zur
Abschaffung der Aufnahmeprüfungen kommt aus dem Lager der Akademiker. Gut
situierte Eltern wissen: Ein Lehrerurteil lässt sich eben besser zurechtbiegen
als die Punktezahl einer Prüfung.
Die erwähnte Studie zeigt, dass die Betroffenen die Prüfung als
Beitrag zur Chancengerechtigkeit sehen. Doch auch bei den Aufnahmeprüfungen
hält man nicht nur in Graubünden den Privilegierten ein Türchen offen. Nicht
die klügsten, sondern die reichsten Kinder schaffen es ins Gymnasium. Die Zahl
der Gymnasiasten korreliert stark mit den Bodenpreisen des Wohnorts. Konkret:
Hohe Bodenpreise, viele Gymnasiasten. Tiefe Preise, wenig Gymnasiasten. Wer es
sich leisten kann, besucht private Vorbereitungskurse und wird so auf die
Prüfung gedrillt, dass diese dann auch bestanden wird. Dieses Vorgehen ist den
Prüfungsverantwortlichen durchaus bewusst. An unseren Schulen herrscht aber
noch immer die weitverbreitete Ansicht, dass es genüge, wenn die Schüler nur
den behandelten Schulstoff beherrschten. Weit gefehlt – ohne klare Kenntnisse
der zu absolvierenden Prüfung haben die Kandidaten keine Chance. Das ist wie
beim Lauberhornrennen. Wer die Piste vorher besichtigen kann, ist schneller als
jemand, der sie unvorbereitet runterfährt.
Nun stellt sich die berechtigte Frage, ob es nicht Aufgabe der
Schule wäre, die Schüler optimal auf die weiterführenden Schulen vorzubereiten.
Wenn man bedenkt, wie viel Geld in Stützmassnahmen für schwache Schüler
hineingebuttert wird, wenn man sich die honigsüssen Leitbilder unserer Schule
mit ihren Bekenntnissen zu individueller Förderung zu Gemüte führt, dann wäre
es eigentlich naheliegend, dass unsere Schulen Prüfungskurse anbieten müssten.
Hier besteht Handlungsbedarf und hier gilt es anzupacken, wenn man unsere
Gesellschaft wirklich ein wenig fairer machen möchte.
Quelle: Urs Kalberer im Bildungsblog der "Südostschweiz", publiziert am 1.10.
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