Zwei Momente waren entscheidend
für Beat Zemps Berufswahl. Als ihm ein Mädchen vor Freude um den Hals fiel -
und als ihm einer ein Spitzensalär anbot. Das Mädchen war eine Mitschülerin,
die sich mit quadratischen Gleichungen schwertat und die dank der Nachhilfe von
Klassenprimus Zemp einen Sechser schrieb. Der Spitzenverdienst wurde ihm vom
Gymnasium Liestal geboten, als er 1985 mit dem Mathe-Diplom in der Tasche auf
Stellensuche ging. Basler Kantonalbank, Basler Versicherungen, Ciba-Geigy: Sie
hätten den Mathematiker mit Bestnoten vom Fleck weg eingestellt. Nur: «Sie
boten alle im Schnitt 10 000 Franken pro Jahr weniger als das Gymnasium»,
erinnert sich Zemp.
Heute
muss der 58-jährige Zemp als Zentralpräsident des Lehrer-Dachverbands um mehr
Lohn und mehr Männer in seinem Beruf kämpfen. Inzwischen verdient man als
Lehrer deutlich weniger als in der Privatwirtschaft, es unterrichten viel mehr
Frauen - je nach Stufe beträgt ihr Anteil bis zu 90 Prozent. Teilzeitarbeit im
Schulzimmer wird zum Normalfall.
Aus dem gutbezahlten Junglehrer
Zemp, der bei Freund und Feind als brillant, ja als hochbegabt gilt, ist einer
der wichtigsten Bildungsfunktionäre des Landes geworden. Zemp beim Medienkonsum
auszuweichen, ist etwa gleich schwierig, wie die Bikini-Bilder von Michelle
Hunziker im «Blick am Abend» zu ignorieren. Er spricht zur Kopftuchfrage, zu
Frühfranzösisch, Lehrplänen, Absenzen, Fachdidaktik, religiösen Feiertagen,
Maturaquoten, Studierfähigkeit. Er tut es stets mit Eloquenz und Nachdruck.
Dass Zemp nach 20 Jahren Medienpräsenz noch nicht den «Dä scho wider»-Effekt
bei den Leuten auslöst wie andere Akteure der Bildungslandschaft, verdankt er
im Wesentlichen seiner Fähigkeit zu klarem Ausdruck. Er weicht heiklen Fragen
nicht aus, indem er auf nebulöse Formulierungen und Worthülsen zurückgreift.
Weil Zemp in druckreifen Sätzen
spricht und telegen ist, mögen ihn die Journalisten. Er überragt den
Durchschnittsschweizer um zwei Köpfe, trägt einen akkurat gestutzten Schnauz
und dunkle Anzüge, die ihm seine Frau morgens rauslegt. Zemp geniesst die
Aufmerksamkeit, auch wenn er es nie zugäbe. Zwar wird es auch ihm manchmal zu
bunt. Dann etwa, wenn ein Redaktor von «10 vor 10» will, dass Zemp für einen
Beitrag die Wandtafel putzt - wieder und wieder, bis die Aufnahme perfekt ist.
«Ich bin doch kein Schauspieler», beschwert sich Zemp. «Am Anfang hatte ich mit
seiner starken Präsenz ein Problem», sagt Anton Strittmatter, ehemaliger Leiter
der pädagogischen Arbeitsstelle des LCH und langjähriger Weggefährte Zemps. Er
habe gedacht: «Jetzt kommt der und stellt sich ins Schaufenster, dabei bist du
erfahrener und hast im Hintergrund die ganze Knochenarbeit gemacht», gesteht
er. Doch dann bemerkte er, dass sich Zemp «ultraschnell fremde Sachverhalte»
aneigne und in klaren Statements auf den Punkt bringe. «Die meisten Lehrer sind
froh, so einen guten Anwalt für sich zu haben. Oder sollten es sein», sagt
Strittmatter.
Doch dann gibt es Stimmen, die
Zemp vorwerfen, Teil eines «Bildungsfilzes» zu sein. Vor allem ist er für viele
zu nahe an den Institutionen, wie etwa der mächtigen
Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK). Urs Kalberer, Englischlehrer und Betreiber
eines bildungspolitischen Blogs, ist vor Jahren aus dem Lehrerverband
ausgetreten. «Man hat immer das ungute Gefühl, dass Zemp mit den EDK-Leuten zu
Mittag isst», sagt Kalberer. Etwa, als die EDK kürzlich den Lehrplan 21 vor den
Medien präsentierte. Da war Zemp dabei und gab sich handzahm. Lobte das
Projekt, wo er doch noch vor Monaten von einem «Flickenteppich» gesprochen
hatte. Wieder andere Lehrer beklagen sich, Zemp jammere das Berufsimage kaputt,
etwa, indem er wie kürzlich erneut Lohnforderungen der Lehrer präsentiert. Bis
zu 20 Prozent mehr in fünf Jahren. Die Kritik an dieser Forderung kam zu einem
guten Teil von den Lehrern selbst. Zemp erklärt sich das unter anderem damit,
dass die meisten Lehrer heute Frauen sind, die Teilzeit arbeiten. Ihnen sei
halt der Lohn weniger wichtig, sagt Zemp. Als wäre ihm das nicht genug Ärger,
haute er letzte Woche nochmals auf den Putz. Ein Lehrerstreik, sagte er am
Radio, wäre erstens legitim und zweitens als letztes Mittel nicht
auszuschliessen. «Dann hiess es gleich: Zemp droht mit Streik», sagt der
LCH-Präsident.
Überhaupt
hätten die Medien die ganze Lohnforderung falsch transportiert. «20 Prozent
mehr Lohn in fünf Jahren bedeutet übrigens nicht 4 Prozent Lohnsteigerung
jährlich», stellt Zemp klar. Dürfe man nicht erwarten, dass die Journalisten
die Zinseszins-Formel kennten? Wenn Zemp so spricht, ist er wieder ganz Lehrer.
Doch so rational, wie man meinen könnte, ist der Mann nicht. Im Gespräch stösst
man plötzlich auf Zemps Ader für das Unerklärliche. Kann es einen Menschen geben,
der mit Hilfe seines Röntgenblicks durch Wände sieht und Krankheiten
diagnostiziert? «Mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit geht das», sagt Zemp.
Ähnlich esoterisch klingt es, wenn Zemp zu ergründen versucht, warum Mädchen
allgemein etwas schlechtere Mathe-Leistungen erzielen. Er, der einmal gesagt
hat, dass man jeden Stoff, den man als Lehrer vermittle, zuerst geistig
vollständig durchdringen müsse, spricht vage von hirnphysiologischen
Erkenntnissen, die zeigten, dass «die Frauen etwas anders verdrahtet sind».
Auch sonst tritt er gerne ab und zu in einen Gender-Fettnapf. Etwa, als er die
zunehmende Entpolitisierung des Berufes beklagt. Die sei vor allem den Frauen
zuzuschreiben, die weniger politisch seien.
Zemp will mehr männliche
Lehrer, am liebsten solche, die Vollzeit arbeiten. Diese Forderung fusst nicht
nur auf dem Wunsch, dass Kinder von beiden Geschlechtern unterrichtet und
erzogen werden, sondern auch auf der Vorstellung vom Mann als Alleinernährer
der Familie. Dessen ungeachtet setzt sich in der realen Schulwelt der Trend zur
Teilzeitarbeit fort, auch unter Männern.
Zemp ist mindestens noch fünf
Jahre im Amt. Wer auch immer dereinst sein Nachfolger wird, er wird seine
Politik zwangsläufig an die gesellschaftlichen Realitäten anpassen müssen.
Zemp: Tritt gerne ab und zu in einen Gender-Fettnapf, Bild: NZZ
Quelle: Der Lehrer mit der Ader für das Unerklärliche (gekürzt), NZZaS, 14.7. von Katharina Bracher
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