14. Juli 2013

Wer ist Beat Zemp?

Zwei Momente waren entscheidend für Beat Zemps Berufswahl. Als ihm ein Mädchen vor Freude um den Hals fiel - und als ihm einer ein Spitzensalär anbot. Das Mädchen war eine Mitschülerin, die sich mit quadratischen Gleichungen schwertat und die dank der Nachhilfe von Klassenprimus Zemp einen Sechser schrieb. Der Spitzenverdienst wurde ihm vom Gymnasium Liestal geboten, als er 1985 mit dem Mathe-Diplom in der Tasche auf Stellensuche ging. Basler Kantonalbank, Basler Versicherungen, Ciba-Geigy: Sie hätten den Mathematiker mit Bestnoten vom Fleck weg eingestellt. Nur: «Sie boten alle im Schnitt 10 000 Franken pro Jahr weniger als das Gymnasium», erinnert sich Zemp.
Heute muss der 58-jährige Zemp als Zentralpräsident des Lehrer-Dachverbands um mehr Lohn und mehr Männer in seinem Beruf kämpfen. Inzwischen verdient man als Lehrer deutlich weniger als in der Privatwirtschaft, es unterrichten viel mehr Frauen - je nach Stufe beträgt ihr Anteil bis zu 90 Prozent. Teilzeitarbeit im Schulzimmer wird zum Normalfall.
Aus dem gutbezahlten Junglehrer Zemp, der bei Freund und Feind als brillant, ja als hochbegabt gilt, ist einer der wichtigsten Bildungsfunktionäre des Landes geworden. Zemp beim Medienkonsum auszuweichen, ist etwa gleich schwierig, wie die Bikini-Bilder von Michelle Hunziker im «Blick am Abend» zu ignorieren. Er spricht zur Kopftuchfrage, zu Frühfranzösisch, Lehrplänen, Absenzen, Fachdidaktik, religiösen Feiertagen, Maturaquoten, Studierfähigkeit. Er tut es stets mit Eloquenz und Nachdruck. Dass Zemp nach 20 Jahren Medienpräsenz noch nicht den «Dä scho wider»-Effekt bei den Leuten auslöst wie andere Akteure der Bildungslandschaft, verdankt er im Wesentlichen seiner Fähigkeit zu klarem Ausdruck. Er weicht heiklen Fragen nicht aus, indem er auf nebulöse Formulierungen und Worthülsen zurückgreift.
Weil Zemp in druckreifen Sätzen spricht und telegen ist, mögen ihn die Journalisten. Er überragt den Durchschnittsschweizer um zwei Köpfe, trägt einen akkurat gestutzten Schnauz und dunkle Anzüge, die ihm seine Frau morgens rauslegt. Zemp geniesst die Aufmerksamkeit, auch wenn er es nie zugäbe. Zwar wird es auch ihm manchmal zu bunt. Dann etwa, wenn ein Redaktor von «10 vor 10» will, dass Zemp für einen Beitrag die Wandtafel putzt - wieder und wieder, bis die Aufnahme perfekt ist. «Ich bin doch kein Schauspieler», beschwert sich Zemp. «Am Anfang hatte ich mit seiner starken Präsenz ein Problem», sagt Anton Strittmatter, ehemaliger Leiter der pädagogischen Arbeitsstelle des LCH und langjähriger Weggefährte Zemps. Er habe gedacht: «Jetzt kommt der und stellt sich ins Schaufenster, dabei bist du erfahrener und hast im Hintergrund die ganze Knochenarbeit gemacht», gesteht er. Doch dann bemerkte er, dass sich Zemp «ultraschnell fremde Sachverhalte» aneigne und in klaren Statements auf den Punkt bringe. «Die meisten Lehrer sind froh, so einen guten Anwalt für sich zu haben. Oder sollten es sein», sagt Strittmatter.
Doch dann gibt es Stimmen, die Zemp vorwerfen, Teil eines «Bildungsfilzes» zu sein. Vor allem ist er für viele zu nahe an den Institutionen, wie etwa der mächtigen Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK). Urs Kalberer, Englischlehrer und Betreiber eines bildungspolitischen Blogs, ist vor Jahren aus dem Lehrerverband ausgetreten. «Man hat immer das ungute Gefühl, dass Zemp mit den EDK-Leuten zu Mittag isst», sagt Kalberer. Etwa, als die EDK kürzlich den Lehrplan 21 vor den Medien präsentierte. Da war Zemp dabei und gab sich handzahm. Lobte das Projekt, wo er doch noch vor Monaten von einem «Flickenteppich» gesprochen hatte. Wieder andere Lehrer beklagen sich, Zemp jammere das Berufsimage kaputt, etwa, indem er wie kürzlich erneut Lohnforderungen der Lehrer präsentiert. Bis zu 20 Prozent mehr in fünf Jahren. Die Kritik an dieser Forderung kam zu einem guten Teil von den Lehrern selbst. Zemp erklärt sich das unter anderem damit, dass die meisten Lehrer heute Frauen sind, die Teilzeit arbeiten. Ihnen sei halt der Lohn weniger wichtig, sagt Zemp. Als wäre ihm das nicht genug Ärger, haute er letzte Woche nochmals auf den Putz. Ein Lehrerstreik, sagte er am Radio, wäre erstens legitim und zweitens als letztes Mittel nicht auszuschliessen. «Dann hiess es gleich: Zemp droht mit Streik», sagt der LCH-Präsident.
Überhaupt hätten die Medien die ganze Lohnforderung falsch transportiert. «20 Prozent mehr Lohn in fünf Jahren bedeutet übrigens nicht 4 Prozent Lohnsteigerung jährlich», stellt Zemp klar. Dürfe man nicht erwarten, dass die Journalisten die Zinseszins-Formel kennten? Wenn Zemp so spricht, ist er wieder ganz Lehrer. Doch so rational, wie man meinen könnte, ist der Mann nicht. Im Gespräch stösst man plötzlich auf Zemps Ader für das Unerklärliche. Kann es einen Menschen geben, der mit Hilfe seines Röntgenblicks durch Wände sieht und Krankheiten diagnostiziert? «Mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit geht das», sagt Zemp. Ähnlich esoterisch klingt es, wenn Zemp zu ergründen versucht, warum Mädchen allgemein etwas schlechtere Mathe-Leistungen erzielen. Er, der einmal gesagt hat, dass man jeden Stoff, den man als Lehrer vermittle, zuerst geistig vollständig durchdringen müsse, spricht vage von hirnphysiologischen Erkenntnissen, die zeigten, dass «die Frauen etwas anders verdrahtet sind». Auch sonst tritt er gerne ab und zu in einen Gender-Fettnapf. Etwa, als er die zunehmende Entpolitisierung des Berufes beklagt. Die sei vor allem den Frauen zuzuschreiben, die weniger politisch seien.
Zemp will mehr männliche Lehrer, am liebsten solche, die Vollzeit arbeiten. Diese Forderung fusst nicht nur auf dem Wunsch, dass Kinder von beiden Geschlechtern unterrichtet und erzogen werden, sondern auch auf der Vorstellung vom Mann als Alleinernährer der Familie. Dessen ungeachtet setzt sich in der realen Schulwelt der Trend zur Teilzeitarbeit fort, auch unter Männern.

Zemp ist mindestens noch fünf Jahre im Amt. Wer auch immer dereinst sein Nachfolger wird, er wird seine Politik zwangsläufig an die gesellschaftlichen Realitäten anpassen müssen.





Zemp: Tritt gerne ab und zu in einen Gender-Fettnapf, Bild: NZZ




Quelle: Der Lehrer mit der Ader für das Unerklärliche (gekürzt), NZZaS, 14.7. von Katharina Bracher

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