6. Juli 2013

Kritik an Zürcher Lehrmittel

Kaum vorgestellt, wird das neue Zürcher Lehrmittel für Religion und Ethik auch schon heftig kritisiert. 
Ohne Religion sind die Meisterleistungen in Baukunst, Musik oder Malerei undenkbar. Die Werke zu Ehren Gottes gehören zum kulturellen Erbe der Menschheit, sie sind ein Grundpfeiler des Bildungskanons. Deshalb drängen sich weltweit die Touristenmassen in Kathedralen, Tempeln und Moscheen. Die berühmtesten unter ihnen sind nicht mehr in erster Linie Orte gelebten Glaubens, sondern Museen. Auch Feiertage wie Ostern, an denen sich diverse Bräuche überlagern, dienen gerade in unseren Breitengraden immer weniger der Vergegenwärtigung Gottes. Und der Kern religiöser Riten etwa am Ende des Lebens ist für viele nicht mehr sakrosankt. So weit die gesellschaftliche Realität, insbesondere in der Schweiz. Konstatiert werden muss zudem, dass mit Religion immer noch Gewaltexzesse legitimiert werden. Sie leisten Stereotypen von Glaubensgemeinschaften Vorschub, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land strapazieren.Diese Realitäten blenden die Verantwortlichen des neuen Zürcher Lehrmittels «Blickpunkt Religion und Kultur» weitgehend aus. Zwar stellen sie das Christentum wie von der Bildungsdirektion verlangt in die Reihe der fünf grossen Weltreligionen und geben Hinweise auf Differenzen und Gemeinsamkeiten. Und gestalterisch wirken die drei Bände, welche die spezifisch geschulten regulären Lehrer der verschiedenen Volksschulstufen nun einsetzen, ansprechend und modern. Dazu gehören Bezüge zur Alltagswelt, mit denen insbesondere der Band für die Unterstufe arbeitet. Trotzdem entpuppt sich dieser als ein Minderheitenprogramm für Kinder, die in einem Klima gelebter Religion aufwachsen. Im Zentrum stehen die religiösen Symbolsysteme, die nicht erklärt werden, sondern deren Kenntnis vorausgesetzt wird. So sind etwa beim Thema Geburt und Taufe auch muslimische Symbole wie Schere und Münze abgebildet. Im Text wird suggeriert, dass das muslimische Mädchen Aischa, «weiss, was die Münze und die Schere bedeuten». Entsprechend fehlt eine Antwort.Solche Sätze wecken Zweifel, ob das neue Lehrmittel seinem Anspruch auf eine neutrale Darstellung der Weltreligionen tatsächlich gerecht wird. Bedingung dazu wäre, die Schüler nicht auf ihre unterschiedlichen Glaubensrichtungen festzunageln, sondern insbesondere auf der Oberstufe zu fragen, wie sich die Symbole und Geschichten interpretieren lassen und wozu sie zu gebrauchen sind. Ein solcher wirklich objektiver Blickwinkel würde auch die Funktionalisierung von Religion umfassen. Der Blick von aussen würde zudem ermöglichen, Religion als ein Konzept zu vermitteln, das unter anderen Konzepten Antworten auf die grossen Fragen des Menschen gibt. Stattdessen wird der Eindruck erweckt, als seien allein die Religionen für ethische Belange zuständig. Der Standpunkt, nicht religiös zu sein und trotzdem ethischen Grundwerten nachzuleben, taucht im Band für die Oberstufe nur am Rand auf. Absolut stiefmütterlich wird die grosse Mehrheit behandelt, die sich nicht explizit von Religion lossagt, in deren Alltag sie aber nicht präsent ist.Gemäss neuem Lehrplan soll das Thema Ethik ins Fach Lebenskunde integriert werden. Dagegen ist nichts einzuwenden - nur entbindet es die Religionspädagogen nicht davon, den Schülern Anhaltspunkte zu geben, wie sie die verschiedenen und verschieden gelebten (religiösen) Wertesysteme einordnen könnten. Ausgangspunkt ist zweifellos die Alltagswelt - aber in ihrer ganzen spannungsreichen Heterogenität. Warum nicht eine Party thematisieren, an der manche Jugendliche aus ganz unterschiedlichen Gründen kein Fleisch essen? Zu Wort kommen könnte auch ein Veganer, der dies mit Argumenten einer modernen Ethik begründet.
Religions-Lehrbuch mit zentraler Lücke, NZZ, 6.7. von Dorothee Vögeli

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