Die Integration von Schülern mit einer Lernbehinderung in die Regelklassen hat zur Folge, dass sich ein Heer von Experten und Therapeuten in den Klassenzimmern tummelt. Lehrer müssen mit Hilfspersonen Absprachen treffen, Krankheitsgeschichten diskutieren und Evaluationsfachleuten Daten liefern. Dabei möchten sie sich einfach ihrem Kernthema, dem Unterrichten, widmen.
Sie
haben ihren Beruf gewählt, weil sie dachten, sie seien dazu da, junge Menschen,
je nach Begabung, als Köche oder Akademiker auf ihren Lebensweg schicken zu
können. Doch heute steht in der Bildungspolitik die Frage im Vordergrund, wie
man möglichst allen zu einer Karriere verhelfen kann, für die sich nur wenige
eignen. Die Bildungspolitiker unserer Tage wiegen sich im Glauben, die
ungleiche Leistung der Schüler sei allein aufgrund mangelnder Anstrengung der
Lehrer zustande gekommen. In tätiger Reue und mit einer Fülle von Reformen soll
dieses vermeintlich pädagogische Versagen zurechtgebogen werden. Dabei verschliessen
sie die Augen vor der Tatsache, dass sie mit ihren realitätsfernen Ansprüchen
den Lehrkörper schwächen und Unsicherheit und Unruhe schüren.
Kommt
hinzu, dass vielen Kindern mit Lernbehinderung mit der Integration in
Regelklassen ein Bärendienst erwiesen wird. Sie fühlen sich durch die
Dauerbeobachtung und Überbetreuung an den Pranger gestellt und ihrer Würde
beraubt. Sie müssen täglich erleben, dass andere schneller und klüger sind, sie
finden kaum Freunde und sind ständig Aussenseiter.
Keine
Frage, eine starke Klasse hält den einen oder anderen Schüler mit Eigenheiten
oder Lernschwächen aus. Doch es kann nicht sein, dass mit einer therapeutischen
Dauerberieselung eine sozialromantische Vision alltagsferner Bildungspolitiker
umgesetzt wird, ohne dass auch nur einer der Betroffenen davon profitiert.
Denn an
der Front müssen Lehrer schon genug kämpfen, um mit den vielen Reformbaustellen
und den modernen Formen der Didaktik klarzukommen. Denn viele Schüler sind mit
Gruppenarbeiten und selbstständigem Lernen völlig überfordert. Sie können mit
der grossen Freiheit, wechselnden Bezugspersonen und diffusen Anweisungen
schlecht umgehen und sehnen sich danach, einen soliden Ansprechpartner zu
haben, der klare, erfüllbare Ansprüche stellt. Dies sollten sich auch
Bildungsbehörden zu Herzen nehmen: Ansprüche stellen, die Pädagogen erfüllen
können, und nicht meinen, die Schule könne alle Probleme dieser Welt beheben.
Quelle: Basler Zeitung, 25.7. von Franziska Laur
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