14. April 2013

Ritalin: Ärzte fordern strengere Regeln

Der Ritalinverbrauch steigt weiter an. Nun fordern auch Ärzte, die von der Diagnose ADHS profitieren, strengere Regeln.

Jetzt wird es immer häufiger auch Ärzten, die das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ADHS behandeln, unheimlich. Am 2. Mai widmen die Mitglieder der Schweizerischen Fachgesellschaft ADHS ihre Jahrestagung dem, wie sie schreiben, «deutlichen Handlungsbedarf» bei der medizinischen Fortbildung und Qualitätssicherung. Konkret baut die Fachgesellschaft im Moment ein umfassendes freiwilliges Fortbildungsprogramm auf für Kollegen, welche mit ADHS zu tun haben.
Einige Mitglieder des Vorstands fordern gar Einschränkungen bei der Verschreibung von Medikamenten wie Ritalin gegen ADHS sowie verbindliche Regeln für die ärztliche Fortbildung. In der neusten Ausgabe der «Schweizerischen Ärztezeitung» schreibt etwa Vorstandsmitglied Hans Rudolf Stricker: Um dem «Wildwuchs» von oberflächlich gestellten ADHS-Diagnosen und der «unkritischen, zu grosszügigen» Verschreibung von Stimulanzien entgegenzuwirken, seien Qualitätskriterien für Ärzte notwendig.
Konkret hält Stricker etwa die häufige Diagnose «Verdacht auf ADHS» für fraglich. «Bei genauerem Hinschauen würden sich viele dieser Verdachtsdiagnosen als Fehldiagnosen herausstellen», schreibt er. Hintergrund der Initiative ist die Tatsache, dass der Konsum von Medikamenten gegen ADHS weiterhin zunimmt (siehe Grafik). Seit 2007 verschreiben die Ärzte laut Zahlen des Schweizerischen Heilmittelinstituts Swissmedic durchschnittlich jedes Jahr 15 Prozent mehr Medikamente wie Ritalin. Buben werden die Mittel vier- bis fünfmal häufiger verabreicht als Mädchen. Betroffen von ADHS sind vier bis acht Prozent der Kinder und zwei bis fünf Prozent der Erwachsenen. Aber längst nehmen nicht nur Personen, welche sich schlecht konzentrieren können und zappelig sind, die Medikamente. Manager, Mittelschüler und Studierende schlucken sie ebenfalls, allerdings nicht gegen ADHS, sondern als Wachmacher und für mehr Konzentration. Die Substanzen können süchtig machen. Zudem ist nicht bewiesen, dass sie bei Menschen ohne ADHS die Konzentration fördern.
Seit Jahren interessiert sich auch die Politik für ADHS und Ritalin. So forderte die Gesundheitskommission des Nationalrats unlängst einstimmig strengere Regeln für die Therapie von ADHS. Doch einige Ärzte wollen die nun auch von ihnen selbst erkannten Probleme allein in den Griff bekommen und der Politik zuvorkommen. «Keinesfalls möchte ich einer Überreglementierung Vorschub leisten, sondern durch Qualitätskriterien zu rigiden Vorschriften zuvorkommen», schreibt Stricker.
Seine Idee: Psychiater, Kinder- und zum Beispiel auch Allgemeinärzte müssen ADHS-spezifische Fortbildungen absolvieren. Für Psychiater und Kinderärzte, die heute schon als qualifiziert für Diagnose und Therapie der Störung gelten, soll der Aufwand dafür laut Stricker gering sein. Zudem wünscht sich der auf ADHS spezialisierte Allgemeinmediziner, dass nicht wie heute nur Psychiater und Kinderärzte Medikamente gegen die Krankheit verschreiben dürfen, sondern dass dies alle auf ADHS spezialisierten Ärzte tun können - aber eben nur nach entsprechender Fortbildung. «Einige Psychiater zum Beispiel wissen heute nicht genug über ADHS. Trotzdem verschreiben sie diese Medikamente», sagt er. Stricker will sich nun bei Kollegen und Politikern dafür einsetzen, dass «konstruktiv» über seine Vorschläge diskutiert wird.
Die ADHS-Fortbildung müssten die Ärzte selbst für obligatorisch erklären. Psychiater und Kinderärzte dürften sich allerdings nicht so leicht überzeugen lassen. So sagt etwa Roland Kägi, Kinderarzt und selbst im Vorstand der Fachgesellschaft ADHS: «Die obligatorische Fortbildung wäre zwar sinnvoll, aber wir können nicht für jede Kompetenz einen Kurs machen und unsere Praxis vorübergehend schliessen.»
Der Forderung nach neuen Regeln bei der Medikamentenabgabe wiederum müssten die Gesundheitsbehörden beim Bund nachkommen. Beim Bundesamt für Gesundheit heisst es, im Moment seien keine Anpassungen geplant. Der politische Druck und die Offensive der Ärzte dürften aber zumindest für Diskussionen sorgen.
Quelle: Kampf dem Ritalin-Missbrauch, NZZaS, 14.4. von Sarah Nowotny

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