Jetzt wird es immer häufiger auch Ärzten, die das
Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ADHS behandeln, unheimlich. Am 2. Mai widmen die
Mitglieder der Schweizerischen Fachgesellschaft ADHS ihre Jahrestagung dem, wie
sie schreiben, «deutlichen Handlungsbedarf» bei der medizinischen Fortbildung
und Qualitätssicherung. Konkret baut die Fachgesellschaft im Moment ein
umfassendes freiwilliges Fortbildungsprogramm auf für Kollegen, welche mit ADHS
zu tun haben.
Einige
Mitglieder des Vorstands fordern gar Einschränkungen bei der Verschreibung von
Medikamenten wie Ritalin gegen ADHS sowie verbindliche Regeln für die ärztliche
Fortbildung. In der neusten Ausgabe der «Schweizerischen Ärztezeitung» schreibt
etwa Vorstandsmitglied Hans Rudolf Stricker: Um dem «Wildwuchs» von
oberflächlich gestellten ADHS-Diagnosen und der «unkritischen, zu grosszügigen»
Verschreibung von Stimulanzien entgegenzuwirken, seien Qualitätskriterien für
Ärzte notwendig.
Konkret
hält Stricker etwa die häufige Diagnose «Verdacht auf ADHS» für fraglich. «Bei
genauerem Hinschauen würden sich viele dieser Verdachtsdiagnosen als
Fehldiagnosen herausstellen», schreibt er. Hintergrund der Initiative ist die
Tatsache, dass der Konsum von Medikamenten gegen ADHS weiterhin zunimmt (siehe
Grafik). Seit 2007 verschreiben die Ärzte laut Zahlen des Schweizerischen
Heilmittelinstituts Swissmedic durchschnittlich jedes Jahr 15 Prozent mehr
Medikamente wie Ritalin. Buben werden die Mittel vier- bis fünfmal häufiger
verabreicht als Mädchen. Betroffen von ADHS sind vier bis acht Prozent der
Kinder und zwei bis fünf Prozent der Erwachsenen. Aber längst nehmen nicht nur
Personen, welche sich schlecht konzentrieren können und zappelig sind, die
Medikamente. Manager, Mittelschüler und Studierende schlucken sie ebenfalls,
allerdings nicht gegen ADHS, sondern als Wachmacher und für mehr Konzentration.
Die Substanzen können süchtig machen. Zudem ist nicht bewiesen, dass sie bei
Menschen ohne ADHS die Konzentration fördern.
Seit Jahren
interessiert sich auch die Politik für ADHS und Ritalin. So forderte die
Gesundheitskommission des Nationalrats unlängst einstimmig strengere Regeln für
die Therapie von ADHS. Doch einige Ärzte wollen die nun auch von ihnen selbst
erkannten Probleme allein in den Griff bekommen und der Politik zuvorkommen.
«Keinesfalls möchte ich einer Überreglementierung Vorschub leisten, sondern
durch Qualitätskriterien zu rigiden Vorschriften zuvorkommen», schreibt
Stricker.
Seine
Idee: Psychiater, Kinder- und zum Beispiel auch Allgemeinärzte müssen
ADHS-spezifische Fortbildungen absolvieren. Für Psychiater und Kinderärzte, die
heute schon als qualifiziert für Diagnose und Therapie der Störung gelten, soll
der Aufwand dafür laut Stricker gering sein. Zudem wünscht sich der auf ADHS
spezialisierte Allgemeinmediziner, dass nicht wie heute nur Psychiater und
Kinderärzte Medikamente gegen die Krankheit verschreiben dürfen, sondern dass
dies alle auf ADHS spezialisierten Ärzte tun können - aber eben nur nach
entsprechender Fortbildung. «Einige Psychiater zum Beispiel wissen heute nicht
genug über ADHS. Trotzdem verschreiben sie diese Medikamente», sagt er.
Stricker will sich nun bei Kollegen und Politikern dafür einsetzen, dass
«konstruktiv» über seine Vorschläge diskutiert wird.
Die
ADHS-Fortbildung müssten die Ärzte selbst für obligatorisch erklären.
Psychiater und Kinderärzte dürften sich allerdings nicht so leicht überzeugen
lassen. So sagt etwa Roland Kägi, Kinderarzt und selbst im Vorstand der
Fachgesellschaft ADHS: «Die obligatorische Fortbildung wäre zwar sinnvoll, aber
wir können nicht für jede Kompetenz einen Kurs machen und unsere Praxis
vorübergehend schliessen.»
Der Forderung
nach neuen Regeln bei der Medikamentenabgabe wiederum müssten die
Gesundheitsbehörden beim Bund nachkommen. Beim Bundesamt für Gesundheit heisst
es, im Moment seien keine Anpassungen geplant. Der politische Druck und die
Offensive der Ärzte dürften aber zumindest für Diskussionen sorgen.
Quelle: Kampf dem Ritalin-Missbrauch, NZZaS, 14.4. von Sarah Nowotny
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen