Der Zuger Bildungsdirektor und SVP-Politiker Stephan Schleiss nennt die Leute, welche unsere duale Berufsbildung schwächen wollen.
"Alt Nationalrat Rudolf Strahm (SP) verdanken wir die
aufschlussreiche Beobachtung, dass Ernst Buschor bei der Denkfabrik Avenir
Suisse als Berater wirkt. Dort sei er, so Strahm, die treibende Kraft hinter
der Kritik an der Berufslehre. Kritik an der Berufslehre? Spätestens hier reibt
man sich die Augen. Zu einem Zeitpunkt, da viele Länder in unserer
unmittelbaren Nachbarschaft schmerzhaft lernen, dass sie mit der Akademisierung
ihrer Bildungswelt auf dem Holzweg sind (teilweise sind über 50 Prozent der Jugendlichen
arbeitslos), sägt Herr Buschor am Schweizer Bildungsbaum.
Kritik
an der Berufslehre und am dualen Ausbildungssystem ist zwar nicht neu und im
Welschland gar verbreitet, aber bei Avenir Suisse erfolgt diese zum ersten Mal
mit wirtschaftswissenschaftlichem Anstrich. Kritik von dieser Seite an der
arbeitsmarktlich und wirtschaftlich überlegenen Berufslehre – das ist
allerdings neu. Stichhaltig wird die Kritik aber auch mit diesem Anstrich
nicht. Hier wäre es eigentlich an den Geldgebern aus der Wirtschaft, der
Denkfabrik das Denken beizubringen.
Aber
nicht nur Ernst Buschor, auch andere haben sich aufgemacht, das bewährte
Schweizer Nebeneinander von Berufsbildung und Allgemeinbildung in Zweifel zu
ziehen. Wie immer, wenn etwas Bewährtes auf den Kopf gestellt werden soll,
finden sich wortreich die Verkünder einer neuen Zeit ein.
Einer,
der sich bei diesem Unterfangen besonders hervortut, ist Philipp Sarasin von
der Uni Zürich. Seine Forderung ist einfach, er will mehr Maturanden und
weniger Lehrlinge. Auch was er sich davon verspricht, ist einfach: eine klügere
Bevölkerung, weniger Akademiker aus dem Ausland und – wie eigentlich immer,
wenn es ums Schrauben am Bildungssystem geht – mehr Bildungsgerechtigkeit. Doch
der Reihe nach.
Beginnen
wir mit der klügeren Bevölkerung. Eine klügere Bevölkerung würde natürlich viel
stärker auf die Uni Zürich als auf ihr Bauchgefühl hören. Sinnvoll wäre das vor
dem Hintergrund der Vorläufigkeit und Kontextabhängigkeit vieler
wissenschaftlicher Befunde nicht. Beide Systeme, Politik und Wissenschaft,
leisten wichtige gesellschaftliche Beiträge. Die Wissenschaft kann aber nicht
die Aufgabe der Politik übernehmen, verbindliche und dauerhafte Entscheide
herbeizuführen.
Wahrheit
und Einsicht – das Ziel aller Wissenschaft – sind nicht einfach da und für ein
paar Eingeweihte erkennbar, auch wenn uns dies die Frank A. Meyers, Philipp Sarasins oder auch
die Club Helvétique dieser Welt glauben machen wollen. Wahrheit und Einsicht
werden durch Menschen gemacht. Erkenntnis ist abhängig von Raum und Zeit.
Skepsis gegenüber wissenschaftlichen Befunden und wissenschaftlichen Forderungen an
die Politik ist damit Pflicht. Eine solche Aussage wird in einigen Kreisen
bereits als akademikerfeindlich eingestuft. Bei Sarasin heisst das sogar
«traditionelle Akademikerfeindlichkeit». Dabei ist Skepsis ein Muss. Diese
Skepsis wäre aber sicher nicht Gegenstand einer Allgemeinbildung à la Sarasin;
und das gute Bauchgefühl schon gar nicht.
Die
Akademiker aus dem Ausland sind Prof. Sarasin ein zweiter Dorn im Auge. Der
Ansatz Sarasins, selber mehr Maturanden hervorzubringen, ist allerdings eine
teure Symptombekämpfung und löst das Problem nicht. Der Ruf nach einer
akademischen Selbstversorgung der Schweiz ist etwa ähnlich verwegen, wie es der
Ruf nach einer landwirtschaftlichen Selbstversorgung der Stadt Zürich wäre. Das
Wirtschaftswunderland Schweiz hat einen Akademikerbedarf, der vor allem im
Bereich der exakten Wissenschaften das einheimische Potenzial weit übersteigt.
Hier ist Realitätssinn angebracht. Die Qualität, die wir brauchen, können wir
nicht in der geforderten Quantität produzieren. Eine gymnasiale Anbauschlacht à
la Sarasin würde die universitäre Rösti nicht besser machen.
Viel
wichtiger ist die Frage, weshalb wir für immer mehr Ausbildungen überhaupt eine
Matura vorschreiben. Dort müsste der bildungspolitische Hebel angesetzt werden.
Unser Leben wird nämlich nicht immer komplexer, wie uns das die Vertreter der
Bildungsindustrie weismachen wollen. Täglich komplexer wird nur die
Bildungsindustrie – und teurer notabene.
Damit
sind wir bei der Bildungsgerechtigkeit angelangt. Das selektive Schweizer
Schulsystem ist der dritte Dorn in Philipp Sarasins Auge. Selektion ist aber
nichts Schlechtes, sondern etwas Gutes. Im Schweizer Schulsystem ist Selektion
nämlich nichts Endgültiges. Nach dem Motto: «Kein Abschluss ohne Anschluss»
bleibt in der Schweiz jeder Bildungsweg nach oben offen. Damit gelingt dem
Schweizer Schulsystem das, was in vielen anderen Schulsystemen weltweit ein
leeres Versprechen bleibt: Es schafft gleichzeitig Fundamente und Chancen.
Darin kann ich keine Ungerechtigkeit erkennen. Im Gegenteil.
Eine
späte schulische Selektion, das zeigt zum Beispiel ein Blick nach Deutschland
ganz eindeutig, erhöht nur die Fallhöhe für die Betroffenen. Zu einem
Zeitpunkt, da viele Schweizer Jugendliche bereits einen Lehrabschluss im Sack
haben und für sich selber sorgen können, stehen in später selektionierenden
Systemen viele Jugendliche vor dem Nichts. Wo genau Philipp Sarasin hier
Bildungsgerechtigkeit erkennen kann, ist und bleibt mir schleierhaft."
Quelle: "Wahrheit und Einsicht", Weltwoche 7/2013 von Stephan Schleiss
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen