5. Januar 2013

Moderne Methoden sind theoretisch besser

Wir haben auf eine deutsche Studie hingewiesen, welche die Vorzüge des Frontalunterrichts hervorstreicht. Die Weltwoche beschäftigt sich in einem Kommentar damit.
Wenn ein Lehrer vor der Klasse steht und ­allen Schülern gleichzeitig erklärt, wie der Satz des Pythagoras funktioniert, so nennt man das heute abschätzig: Frontalunterricht. Der Klassenunterricht, wie er eigentlich heisst, steht bei «progressiven» Bildungstheoretikern etwa so hoch im Kurs wie das Feldschiessen oder das Konkurrenzdenken. Die Schüler, so ihre ­Kritik, würden nach dem Giesskannenprinzip mit Wissen gefüttert und so zu unselbständigen Konsumenten erzogen. Zeitgemässer Unterricht hat gemäss «moderner» Lehre nach dem Lustprinzip zu funktionieren: Der Lehrer ist ­eine Art «Coach» im Hintergrund, die Kinder bestimmen selber, was sie gerade lernen wollen. In der Praxis sieht das etwa so aus: Fritzli übt Pantomime, Heidi löst Rechenaufgaben, Abdul hat gerade keine Lust auf Lernen und erholt sich auf dem Klassensofa. «Schülerzentrierter Unterricht» oder «selbstgesteuertes Lernen» nennt man das, und selbstverständlich ist für dessen Anhänger klar, dass dieses Prinzip dem altbackenen Frontalunterricht haushoch überlegen ist.
Wissenschaftlich belegen liess sich das bisher allerdings nicht, im Gegenteil. «Frontalunterricht macht klug», titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung kürzlich. Die Zeitung stützt sich auf die Arbeit «Is Traditional Teaching Really all that bad?», die der Münchner Wissenschaftler Guido Schwerdt 2011 veröffentlichte. Da es für Deutschland kaum Datenmaterial gibt, wertete Schwerdt grossangelegte Schüler­befragungen und -tests aus den USA aus. Dabei zeigte sich, dass Schüler, die nach traditionellen Methoden unterrichtet wurden, in Wissens­tests signifikant besser abschnitten als jene, die sich selbstgesteuert bildeten.
Von einem positiven Effekt der neuen Methoden, so Schwerdts Fazit, könne keine Rede sein. Natürlich lassen sich die Verhältnisse in den USA nicht 1:1 auf Deutschland oder die Schweiz übertragen. Doch wer sich hierzu­lande bei Lehrern, Schülern und Eltern umhört, die mit selbstgesteuerten Experimenten konfrontiert sind, ist über das Ergebnis der Studie kaum überrascht. In der Praxis sind schwache und mittelmässige Schüler mit der grossen Freiheit überfordert, die Motivation sinkt. Die Befürworter konstruktivistischer Theorien haben sich bisher darauf beschränkt, ihre Überlegenheit philosophisch zu begründen. Dabei wäre es eigentlich an ihnen, wissenschaftliche Beweise zu liefern.
Quelle: Weltwoche 1.13 von Lucien Scherrer

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