9. Dezember 2011

Frau Bock ist der Gärtner

Zwei Jahre nach der letzten grossen nationalen Pisa­Studie liegen die Ergebnisse für einzelne Kantone vor. Die Auswertung war freiwillig, mitgemacht haben dreizehn Stände. Ein Re­sultat sticht heraus: Besonders schlecht schnitt in der Deutschschweiz der Kanton Zürich ab. «Zürcher sind schlechte Schüler», schrieb der lokale  Tages-Anzeiger. Der Grund dafür seien «die vielen Fremdsprachigen». Die Tatsachen sind derart klar, dass sie sich nicht leugnen lassen, auch nicht von den Ver­antwortlichen. Die Zürcher Bildungs-direkto­rin Regine Aeppli (SP) kündigte umgehend an, sie prüfe verschiedene Massnahmen. Sie lau­fen alle auf dasselbe hinaus: mehr Personal, mehr Büro-kratie, mehr Geld. Die Schule, sagte Aeppli weiter, sei nicht die «Reparatur-werkstatt» der Gesellschaft. Es brauche eine «sinnvolle Raum­, Finanz­ und 
Familienpolitik». 
Auffällig an dieser Aufzählung ist, was fehlt: Von einer vernünftigen Auslän-derpolitik war nirgends die Rede. Auch Parteien und Lehrer­verbände redeten um den heissen Brei herum oder flüchteten sich in Gemeinplätze («Leis­tung muss sich auch für schlechte Schüler aus­zahlen»). Bevor irgendwelche bürokratischen Sofort­massnahmen ergriffen werden, deren Wirk­samkeit zweifelhaft bleibt, lohnte sich ein Blick auf das Ganze. Die ernüchternden Ergebnisse sind nicht zufällig entstanden, sie sind das Resultat einer verfehlten Politik. Regine Aeppli und ihre Par­tei­ und Gesinnungsgenossen in Politik, Ver­waltung und Bildungsmilieu haben die Wei­chen eigenhändig in die falsche Richtung gestellt. Jetzt erhalten sie die Quittung.
Jahrelang haben diese «progressiven» Kreise unter dem Schlagwort des «Multikulturalis­mus» verneint, dass die starke Zuwanderung zu Problemen führt. An der Urne haben sie sich Verschärfungen des Ausländerrechts wider-setzt, auch wenn sie mit den Füssen längst anders abgestimmt hatten: Indem sie aus den Quartieren mit hohem Ausländeran­teil  wegzogen, sobald die eigenen Kinder in die Schule kamen. Verschärft zeigt sich die Situation in der Bil­dungspolitik, für die Regine Aeppli als Regie­rungsrätin und wichtige Figur in der Erzie­hungsdirektorenkonferenz (EDK) unmittel­bar verantwortlich zeichnet. Unter ihrer Ägide ist der Kanton Zürich mit einer Reihe von Reformen vorgeprescht, die sich allesamt nachteilig für Immigrantenkinder auswirken. 
Die  Integration leistungsschwacher und verhaltensauffälliger Schüler in die Regelklas­sen erhöht gerade für sogenannte Risikoschü­ler die Herausforderung. Die Betreuungs­intensität nimmt ab. Ihre Leistungen geraten zusätzlich unter Druck.

Falsche Richtung: Bildungsdirektorin Aeppli, Bild: 20min.ch
Wer heute eine Zürcher Schule besucht, wähnt sich an einem fröhlichen Jekami (Jeder kann mitmachen). Ein Schüler arbeitet dort, ein anderer da. Eine Schülerin füllt ein Ar­beitsblatt aus, ihre Kollegin malt etwas aus. Indivi-dualisierter Unterricht nennt sich das. Was zählt, sind Eigenverantwortung und In­dividualität. Das sind hehre Werte, wer hätte etwas dagegen. Nur überfordert die grosse Freiheit zuallererst die schwachen Schüler und die Immigranten. Ein weiteres grossangelegtes Reformprojekt der letzten Jahre betrifft  Frühenglisch und Frühfranzösisch. Bereits die Kleinsten sollen  Fremdsprachen lernen. Wieder sind die Fol­gen für Ausländerkinder negativ: Sie müssen weitere Sprachen lernen, bevor sie richtig Deutsch können. 
Ausländerfreundlich ist eine solche Politik höchstens der Absicht, nicht der Wirkung nach. Frau Aeppli muss über die Bücher.
Aus: Weltwoche Nr. 49/2011, von Philipp Gut 

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